Edit Schlaffer: "Fast alle Väter fühlen sich ertappt"

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Die Soziologin und Feministin Edit Schlaffer erklärt, wie sie sich die ideale Partnerschaft zwischen Mann und Frau vorstellt und warum Kinder Orientierung und keine ängstlichen Eltern brauchen.

Sie wurden soeben in New York zu einer führenden Frauenpersönlichkeiten des 21.Jahrhunderts gewählt. Ein weiter Weg für jemanden, der in Stegersbach aufgewachsen ist. Wer hat Sie auf diesen Weg gebracht?

Edit Schlaffer: Mein Vater, ein Beamter, und meine Mutter, eine Lehrerin, arbeiteten in Eisenstadt. Ich sah sie nur am Wochenende. Ich bin die ersten sechs Lebensjahre bei meiner Großmutter auf einem Bauernhof in Stegersbach aufgewachsen. Der Großvater war schon tot. Es war für mich eine Selbstverständlichkeit, dass eine Frau ihr Leben in die Hand nimmt und wirtschaftlich autonom ist. Auch eine Schwester meiner Mutter hat großen Einfluss auf mich gehabt. Sie ist Anfang 20 gestorben und hat sehr viele Bücher hinterlassen. Ich habe eine ganze Serie von Reclamheften in einem Alter verschlungen, wo ich sie kaum begreifen konnte. Das Gefühl, dass die Literatur das Tor zur Welt öffnet, ist mir bis heute geblieben.

Wann kamen Sie nach Wien?

Mit 18 zum Studium.

Da war genau 1968?

68 hat mich nicht sehr beeindruckt. Erst die frühen Siebzigerjahre waren für mich eindrucksvoll. An der Universität habe ich erlebt, wie konservativ die revolutionären Genossen im Umgang mit Frauen waren.

Die 68er waren Machos?

Das war fast schon eine persönliche Enttäuschung. Überzeugt hat mich dann die Frauenbewegung. Da ging es um eine neue Welt, um Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen. Alles war Neuland. Damals war Gewalt in der Ehe ein großes Tabuthema. Dazu habe ich mein erstes großes Forschungsprojekt eingereicht.

Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?

Ich habe damals auch in der Akademie für Sozialarbeit unterrichtet. Sozialarbeiterinnen haben mir erzählt, was Frauen in der Rennbahnsiedlung passiert ist. Das hat mich erschüttert.

Hatten Sie gedacht, dass Frauen im 21. Jahrhundert weiter sein würden?

Im letzten halben Jahrhundert sind Frauen auf einer stürmischen Reise gewesen, die sie weit gebracht hat, aber auch die Rückschläge sind unglaublich. Gleichberechtigung und gleiche Bezahlung gibt es immer noch nicht.

Mussten nicht auch Männer eine ziemliche Reise zurücklegen?

Die Reise der Männer war dramatischer, weil sie nicht freiwillig war. Wir haben unsere Koffer gepackt und alte Rollenerwartungen hinter uns gelassen. Wir wollten nicht mehr zurück in dieses alte Leben. Wir waren entschlossen, alles neu zu lernen, wir waren Architektinnen unserer eigenen neuen Zukunft. Das war sehr, sehr aufregend. Wir haben es mit allen aufgenommen: mit Gewaltverhältnissen und auch mit der internationalen Chauvinisten-Lobby.

Halb zogen Sie ihn, halb sank der Mann also?

Die Männer hatten in ihrer Fantasie, nicht in der Realität, mehr zu verlieren als zu gewinnen. Die Männer haben sich wenig versprochen von Gleichberechtigung. Frauen sind natürlich eine neue Konkurrenz, weil sie ein sehr belesenes, lernwilliges und innovationsbereites Geschlecht sind. Frauen sind nicht die besseren Menschen, aber noch mit viel Elan ausgestattet, weil sie ja im Aufbruch sind. Gleichzeitig kamen bei Männern persönliche Ängste auf. Denn Frauen versuchten nicht nur, sich ökonomisch abzusichern. Sie verlangten plötzlich, dass Männer auch Partner in der Alltagsrealität und im Familienleben werden. Die revolutionäre Erkenntnis, dass das Persönliche politisch ist, hat alles durchgerüttelt.

Glauben Sie, dass es in der Geschichte jemals einen Zeitabschnitt gab, in dem sich Rollenbilder derart verändert haben?

Ich glaube nicht, und vor allem nicht in der Geschwindigkeit.

Führt das nicht zu wahnsinnig viel Verunsicherung und Konflikten?

Absolut. Ich glaube aber, dass Konflikte und Verunsicherungen positiv sind. Konflikte sind der treibende Motor für Veränderung. Wenn wir uns den Konflikten stellen und sie nicht verdrängen, können wir nur gewinnen.

Konfliktkultur ist ja nicht unbedingt eineösterreichische Spezialität.

Stimmt. Die mangelnde Lust an qualifizierter Debatte und die Unfähigkeit, sich inhaltlich auseinanderzusetzen, ist ein sehr österreichisches Phänomen.

Sie haben in „Die Emotionsfalle“ Frauenempfohlen, Gefühle im Kühlschrank aufzubewahren, wenn sie vorwärts kommen wollen. Wie soll so eine Gefrieraktion funktionieren?

Mit Disziplin. Ich führe ein sehr diszipliniertes Leben. Nicht immer gern. Aber in dem Chaos und der medialen Ausgesetztheit, in der wir leben, ist es wichtig, den eigenen Kurs beizubehalten und sich zu fragen, was man eigentlich möchte. Ich reise ja viel, das erzeugt Unruhe. Und da sind Inseln der Disziplin und kontinuierlicher Tagesorganisation ja im Grunde eine Rettung, um etwas weiterzubringen.

Sie schrieben über Frauen, Partnerschaft, Erziehung. Wie kamen Sie aufs Terrorthema?

(Lacht:) Ich habe mich zuerst mit persönlichem Terror auseinandergesetzt. Wie wir Gesellschaft bauen, hat immer eine interpersonelle Komponente. Und deshalb haben wir auch die erste Anti-Terror-Organisation für Frauen geschaffen. Terroristen fallen nicht vom Himmel. Sie werden in Familien gemacht. Und da haben Frauen eine unglaublich wichtige Rolle.

Sie pendeln zwischen Jemen, Indien, Saudiarabien und vielen anderen Ländern. Wie ist es Ihnen gelungen, dieses internationale Projekt von Wien hochzuziehen?

Der Standort Wien ist unschlagbar. Ich bin eine begeisterte Österreicherin, es hat mir in meinem Leben immer nur Vorteile gebracht. Stellen Sie sich vor, Sie bringen die Anti-Terror-Idee im Jemen oder in Saudiarabien mit einem englischen oder einem amerikanischen Pass vor. Das wird schwierig. Als Österreicherin sind Sie willkommen. Wobei das offizielle Österreich zu meiner Arbeit nicht viel beiträgt.

Zurück zum privaten Dialog in der Familie: Was ist für Sie eine ideale Partnerschaft zwischen einem Mann und einer Frau?

Ein langes Gespräch, eine Kette freier Assoziationen, wo man aussprechen kann, was man denkt, ohne sofort auf Widerstand zu stoßen. Der Test ist der Alltag. Es geht in jeder Beziehung – privat oder beruflich – um Arbeitsaufteilung.

Ich habe festgestellt, dass Kinder eine Beziehung auf die Probe stellen. Sie haben selber zwei Kinder. Wie haben Sie das hingekriegt?

Die Ankunft der Kinder war ein Ende des Dahingleitens. Alle Regeln waren plötzlich in Frage gestellt. Wir haben schon sehr viel diskutiert. Zunächst ging es darum: Wer verlässt zuerst das Haus? Wer bleibt über und muss alles auffangen?

In der Regel ist der Mann als erster draußen.

Genau. Wir haben uns die Handlungsabläufe sehr genau angeschaut. Jeder soll seine Stärken einbringen in die Erziehung, jenseits der Rollenbegrenzungen. Ich glaube nicht, dass Väter a priori etwas besser oder schlechter können als Mütter. Abgesehen von der Still-Frage, die ja zeitlich limitiert ist.

Sie haben einmal Väter als Erziehungsmitläufer bezeichnet. Da habe ich mich natürlich gleich ertappt gefühlt.

Fast alle Väter fühlen sich ertappt. Ich glaube nicht an den Mythos der Qualitätszeit, ich glaube an reale Zeit. Man muss sehr viel Zeit mit den Kindern verbringen, auch wenn sie nicht mit Qualität angefüllt ist.

Die Kommunikationsunfähigkeit zwischen Vätern und Söhnen, die Sie in „Einsame Cowboys“ konstatieren, ist geradezu ein klassisches Motiv.

Ich kenne keinen Mann, der gerne eine Randerscheinung der Familie ist. Väter realisieren und bedauern oft erst, wenn die Kinder schon aus dem Haus sind, dass sie keine Beziehung zu ihnen aufgebaut haben. Darum finde ich Maßnahmen wie den Papamonat so wichtig.

Warum beenden viele Eltern die Erziehung, sobald ihre Kinder in die Pubertät kommen?

Weil sie zu ängstlich sind. Unsere Elterngeneration ist unter großem Erfolgsdruck, anders zu sein als die Nachkriegs-Eltern, die von sehr rigiden Erziehungskonzepten geprägt waren. Wir haben voreilig alles über Bord geworfen und wollten Freunde der Kinder sein. Das ist ein Missverständnis. Kinder brauchen Orientierung, einen festen Anker, Autoritäten.

Dafür müssten Eltern zunächst aber über sich selbst nachdenken.

Kindererziehung bedeutet auch Auseinandersetzung mit sich selbst. Sonst ist es schwer, Orientierung zu geben. Daher kommt auch die Verunsicherung. Ganz schlecht ist es, Probleme zu tabuisieren. Nur aus Widersprüchen entsteht Neues. Ich liebe Widersprüche. Das ist meine Lebensmaxime.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2010)

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