Liebe im Wohnmobil: Chroniken einer Annäherung

Hat einen Film ganz nach seinem eigenen Geschmack gedreht, ohne Zugeständnisse und Kompromisse: Regisseur Hans Weingartner.
Hat einen Film ganz nach seinem eigenen Geschmack gedreht, ohne Zugeständnisse und Kompromisse: Regisseur Hans Weingartner.(c) Stanislav Jenis
  • Drucken

In seinem neuen Film „303“ wandelt Hans Weingartner auf den Spuren von Richard Linklater. Das Road-Movie ist eine Hommage an das nächtliche Philosophieren in der Küche einer Studenten-WG.

Es gibt für einen Regisseur nicht viele Herausforderungen, die größer sind als ein Comeback nach einem veritablen Flop. Der in Vorarlberg geborene und in Berlin lebende Hans Weingartner versucht es seit nunmehr elf Jahren – seit seinem katastrophalen Bauchfleck mit „Free Rainer“. Bis dahin hatte er sich mit „Das weiße Rauschen“ und „Die fetten Jahre sind vorbei“ zum Shootingstar des deutschsprachigen Independent-Kinos gemausert. Angesichts seiner Kompromisslosigkeit und nicht genrekonformen Zugänge wurde ihm sogar eine internationale Karriere zugetraut.

Dann kam „Free Rainer“, seine Abrechnung mit der TV- und Medienbranche, die von Kritikern verrissen wurde und Weingartner ungewöhnlich viel Reputation kostete. Daran habe er lange zu nagen gehabt, bekennt der 47-Jährige, der sagt, dass er heute manchmal selbst ungläubig den Kopf schüttle, wenn er an die Mängel im Film denke. Der damit verbundene Karriereknick sei daher weniger diesem einen Flop zuzuschreiben, sondern seinem Umgang damit. Gemeint ist die vierjährige Auszeit, die er sich verordnete und die man auch als Schreibblockade bezeichnen könnte.

Ein erster Comeback-Versuch mit „Die Summe meiner einzelnen Teile“ scheiterte grandios. Jetzt – weitere sieben Jahre später – versucht er es erneut mit dem Road-Movie „303“, der am kommenden Freitag ins Kino kommt. Und, so viel dürfte feststehen, es wird ihm wieder nicht gelingen, sich zurück in die Oberliga der deutschen Filmemacher zu katapultieren. Dafür ist der Film, es lässt sich nicht anders sagen, um eine knappe, quälende Stunde zu lang.

145 Minuten dauert die Fahrt der beiden Studenten Jule (Mala Emde) und Jan (Anton Spieker) quer durch Europa. Jule fährt in ihrem alten Mercedes-303-Wohnmobil nach Portugal, um ihrem Freund von ihrer Schwangerschaft zu erzählen – und nimmt unterwegs Jan mit, der in Spanien seinen leiblichen Vater kennenlernen will. Diese Reise bietet Weingartner die ausgiebige Gelegenheit zu ausschweifendem Sinnieren über Beziehungen und die Natur des Menschen.

„Before Sunset“ als „Leuchtturm“

„Während sie in leidenschaftlichen Diskussionen über sich und die Welt philosophieren, bleibt Weingartner in naturalistischer Manier und vor atemberaubender Landschaftskulisse immer ganz nah an den beiden jungen Menschen“, schrieben die Verantwortlichen der Berlinale bei der Weltpremiere. Klingt nett, sagt aber nichts über die Qualität des Films aus, den man die deutsche Version von Richard Linklaters „Before Sunrise“ nennen könnte.

Daraus macht auch Weingartner kein Geheimnis und bezeichnet den Klassiker sogar als „Leuchtturm“ und seine Motivation, „303“ ohne Zugeständnisse bezüglich der Länge der Dialoge zu drehen. Er spüre beim Publikum durchaus eine „Sehnsucht“ nach solchen Filmen. Womit er angesichts des Erfolgs vergleichbarer Streifen nicht ganz Unrecht haben dürfte, aber der Unterschied ist, dass „Before Sunset“ und seine Fortsetzungen Geschichten für Erwachsene sind, „303“ richtet sich an verträumte Jugendliche.

Die langen Gespräche seien unbedingt notwendig, um mehr über das Innenleben der beiden Protagonisten zu erfahren, meint Weingartner. Den Film verstehe er als Hommage an die nächtlichen Gespräche in Studenten-WGs, die quasi zum Selbstzweck geführt werden – und nicht, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Eine „Kultur des Versumpfens“ nennt er dieses Phänomen, das in Wien, anders als in Berlin, nicht nur gepflegt, sondern geradezu zelebriert werde. Weswegen er auch große Hoffnungen auf den österreichischen Markt setze.

Wobei der kommerzielle Erfolg seiner Filme nicht das Wichtigste sei, es gehe ihm auch um eine „künstlerische Selbstverwirklichung“. Daher habe er kritische Stimmen, etwa vom Verleih, ignoriert und eher auf enge Freunde gehört, die ihn darin bestärkt hätten, nicht zu kürzen. Bis auf einen: Daniel Brühl, Hauptdarsteller aus „Das weiße Rauschen“ sowie „Die fetten Jahre sind vorbei“ und Weingartners Wunschkandidat für die Rolle des Jan in „303“. Er habe abgelehnt mit der Begründung, die Dialoge seien zu lang. Hätte Weingartner bloß auf ihn gehört.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.