Turrini und die Tänzer: "Wir haben alle Behinderung"

(c) Clemens Fabry
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Tanz: In der idance company tanzen Menschen mit Downsyndrom. Schriftsteller Peter Turrini war skeptisch – und macht jetzt mit Texten selbst mit.

Eigentlich, sagt Peter Turrini, habe er gar nicht hingehen wollen. Sein Leben sei ohnehin „verpfuscht vor lauter Einladungen“, doch wie sagt man einer Aufführung mit Behinderten ab? „Ich habe es als Pflichtübung betrachtet, aber hatte nicht den Mut, Nein zu sagen.“

Zehn Minuten brauchten die Tänzer, um für Peter Turrini die soziale Pflichtübung zur Freude zu machen. „Am Ende war ich beschenkt.“ Beschenkt vom Humor der Tänzer mit Downsyndrom, von ihrem künstlerisch völlig eigenständigen Zugang. Als ihn Bea Vavken, die Leiterin der idance company, fragte, ob sie Texte von ihm verwenden dürfe, war er dabei.

Gestern Abend saß Turrini selbst auf der Bühne der Wiener Kammeroper. Im Scheinwerferlicht die idance company, sie tanzt zu Tango und Xavier Naidoo, zurückhaltend, temperamentvoll, immer ausdrucksstark, manche der Tänzer behindert, andere nicht. Turrini liest dazu Gedichte. Texte, die er vor gut 30 Jahren geschrieben hat: Damals war er 35 und saß in der Psychiatrie. Ein Arzt hatte ihm erklärt, dass er nicht mehr herauskomme, wenn er sich nicht mit den Erfahrungen seiner Kindheit konfrontiere, und verlangte bei jeder Visite ein Gedicht.

19 davon hat sich die idance company ausgesucht und eine Choreografie dazu erstellt. Während Turrini in seinem gleichnamigen erfolgreichen Lyrikband „ein paar Schritte zurück“ in die Vergangenheit ging, verlangt die Tanzgruppe, dass man in der Betrachtung ein wenig zurücktritt, Abstand gewinnt und neu bewertet.

Nicht jeder ist dazu bereit. Ein „prominenter Mensch“, erzählt Bea Vavken, an der Staatsoper ausgebildete Tänzerin und starke Frau hinter der Kompanie, habe ihr erklärt, das sei „keine Kunst“ und die Behinderten nicht schön anzusehen. Man müsse, sagt Vavken, schon von den Standardvorstellungen von Schönheit abgehen und sich trauen hinzuschauen. Was den Tanz betrifft, habe sie selbst dazugelernt. „Heute bin ich meine Angst los und lasse viel mehr Freiheit zu.“

Seit drei Jahren betreibt sie ehrenamtlich das Projekt, trainiert einmal pro Woche mit den Anfang 20-Jährigen. Versucht, aus Schwächen Stärken zu machen und auf die Charaktere vom Casanova bis zum schüchternen Persönchen einzugehen. Direkt und schonungslos ehrlich sind die meisten – das ist nicht immer leicht auszuhalten, und vor der Vorstellung gehen die Emotionen erst recht noch einmal hoch.


Hoch ist auch Vavkens Anspruch: nicht Therapie, sondern Kunst. Aber natürlich gebe es Auswirkungen, die jungen Leute hätten heute mehr Selbstvertrauen, würden sich im Alltag weniger gefallen lassen, manche würden sich langsam als echte Künstler sehen. Tatsächlich attestiert auch Turrini der Kompanie, auf dem Weg zu professioneller Kunst zu sein. „Insofern“, sagt er, „arbeite ich hier mit Kollegen zusammen.“ Deren Downsyndrom zwar nicht verschwindet, „aber eine eigene Qualität bekommt“. Ohnehin habe er stets das Gefühl gehabt, dass sich in Behinderung etwas spiegle, das wir alle in uns tragen. „Und Schriftsteller wie ich sind ja lebenslang auf Erkundungsreise eigener und fremder Behinderung.“

Auf einen Blick

Die idance company entstand 2008 aus Renato Zanellas Initiative „off-ballet special“ am Wiener Staatsopernballett. Die Gruppe wird von der Tänzerin Bea Vavken geleitet und tritt regelmäßig auf. Die aktuelle Produktion „ein paar schritte zurück“ wurde in Kooperation mit Peter Turrini gestaltet. Für die Aufführung am 8. April in der Kammeroper gibt es noch Karten.
Die Akademie der idance company bietet in drei Altersgruppen Tanz für Kinder mit Downsyndrom. Informationen: www.idancecompany.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2011)

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