Beziehungen: Lolita und das Liebesverbot

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Nach dem Fall des CDU-Politikers Christian von Boetticher, der ein Verhältnis mit einer 16-Jährigen hatte, tobt der Streit um Beziehungen mit großem Altersunterschied. Wieder einmal.

Und wieder einmal musste Vladimir Nabokov herhalten. Als der CDU-Politiker Christian von Boetticher vergangene Woche unter Tränen seinen Rücktritt als Landesparteivorsitzender in Schleswig-Holstein verkündete, weil er als 40-Jähriger eine Affäre mit einer 16-Jährigen gehabt hatte, tauchte sofort wieder das Schlagwort vom „Lolita-Komplex“ auf. Jenes Schlagwort, das Nabokov mit seinem 1955 erschienenen Roman über ein frühreifes Mädchen prägte. Und das seit damals reflexartig hervorgekramt wird, wenn es um Beziehungen von älteren Männern mit jungen Frauen geht.

Dabei werden auch die unterschiedlichsten Dinge, die wenig miteinander zu tun haben, in einen Topf geworfen und mit dem Label „Lolita“ versehen. So findet man im Lolita-Topf etwa den Fall von Roman Polanski, der 1977 die damals 13-jährige Samantha Geimer mit Alkohol und Drogen gefügig machte, ehe er mit ihr Geschlechtsverkehr hatte. Da stößt man auf Woody Allen, der mit Soon-Yi, der Adoptivtochter seiner früheren Lebensgefährtin Mia Farrow eine Affäre begann, als sie 15 Jahre alt war, und sie später sogar heiratete. Und schließlich rührt man auch noch von Boettichers kurze Affäre in den Topf.

Natürlich, all diese Fälle haben ihre Gemeinsamkeiten. Der Altersunterschied zwischen den handelnden Personen ist groß – bei Polanski waren es 30, bei Woody Allen 36 und bei von Boetticher immerhin noch 24 Jahre. Doch dann muss man schon differenzieren. Polanski mag sich von Geimer, die auf einer Party mit ihm im Whirlpool saß, angezogen gefühlt haben – doch letztlich war es die Vergewaltigung einer Minderjährigen. Bei Woody Allen wiederum ist die familiäre Nähe das Problem – zwar hatte Mia Farrow das Mädchen noch mit ihrem früheren Partner Andre Previn adoptiert, doch hatte Allen durch seine Beziehung mit Farrow quasi die soziale Vaterschaft übernommen. Als er sich in sie verliebte, war sie 15 Jahre alt. Und von Boetticher hatte eine kurze sexuelle Erfahrung mit einer jungen Frau, die er über Facebook kennengelernt hatte – aus Sicht des Strafrechts gibt es an diesem Fall nichts auszusetzen.

Und hier ist man auch schon bei einem Dilemma angelangt. Denn in den Lolita-Topf wird ein Wort stets besonders heftig eingerührt: Abhängigkeit. Es könne doch nicht sein, so der Vorwurf, dass ein junges Mädchen von sich aus eine sexuelle Beziehung zu einem um so viel älteren Mann aufbaut. Das könne doch keine ebenbürtige Beziehung auf Augenhöhe sein. Viel mehr spielten die Männer hier ihre Macht oder ihre Autorität aus, um sich junge Frauen gefügig zu machen.


Willenlose Geschöpfe? „Aber das muss kein Abhängigkeitsverhältnis sein“, sagt Josef Christian Aigner, Leiter des Instituts für Psychosoziale Intervention und Kommunikationsforschung an der Uni Innsbruck. „Damit entwürdigt man die jungen Frauen zu willenlosen Geschöpfen alternder Lüstlinge.“ Es könne auch durchaus sein, dass eine junge Frau eine Beziehung zu einem älteren Mann sehr bewusst eingeht. Weil sie ihn faszinierend findet, weil seine Welt abenteuerlicher ist oder weil sie sich tatsächlich verliebt. Was auch von Boettichers Geliebte so festhielt – sie sprach davon, dass es keine billige Sexaffäre war, sondern ernst gemeinte Liebe.

Aber hier ist ein Punkt, an dem man einhaken muss. Gerade dem älteren Part käme eine gewisse Verantwortung zu, eine Grenze zu ziehen. Denn dass der CDU-Politiker die Beziehung nach wenigen Monaten beendete, weil er warten wollte, bis das Mädchen volljährig ist, zeugt davon, dass er sich der Brisanz durchaus bewusst war. Und dass es abseits der strafrechtlichen auch eine moralische Dimension gibt. Und die sollte in einem solchen Fall zur Vorsicht mahnen. Obwohl ein Mann eine solche Erfahrung reizvoll finden mag. Oder gerade deswegen.

Denn dass jüngere Frauen auf viele Männer eine gewisse Anziehungskraft ausüben, ist kein Geheimnis. „Man könnte einen soziobiologischen Blick darauf werfen“, sagt Experte Aigner, „was ich eher ungern tue.“ Gemeint ist, dass junge Frauen für Fruchtbarkeit und Lebenslust stehen. „Es kann aber auch sein, dass Männer sich von jugendlicher Weiblichkeit verjüngt fühlen.“ Dahinter könne sich eine Sehnsucht nach der verlorenen Kindheit und Jugendlichkeit verbergen. Eine biografische Prägung, die dann eben zur Hebephilie führt, der sexuellen Präferenz für Pubertierende. Die grenzt sich übrigens von der Pädophilie, der Präferenz für präpubertierende Kinder, ab.

„Das hat schon etwas zu tun mit einem Steckengebliebensein in der eigenen kindlichen Entwicklung“, meint Aigner. Umgekehrt dürfe man aber nicht automatisch jedem Mann, der eine Beziehung zu einer um vieles jüngeren Frau hat, unterstellen, „dass er ein Komplexler ist, der sich nicht an Gleichaltrige herantraut“. Es könne natürlich sein, dass von Boetticher ein Problem mit Frauen auf seiner Augenhöhe habe. So wie manch anderer Mann auch. „Aber“, so Aigner, „es muss nicht sein.“

Dazu kommt, dass auch viele Beziehungen im hohen Alter nicht immer auf gleicher Augenhöhe ablaufen. Und dass Liebe und Sexualität in jedem Alter eine Portion Willkür und Unvernunft innewohnt. Doch bei all diesen Punkten, die man zur Verteidigung von Christian von Boetticher in den Lolita-Topf einrühren könnte, darf man eines auf keinen Fall tun. Nämlich damit einen Freibrief für Männer ausstellen, die – dem Klischee entsprechend – im Cabrio vor der Schule vorfahren.

Der Roman
Vladimir Nabokov veröffentlichte 1955 den umstrittenen Roman, in dem die Beziehung zwischen einem älteren Mann und einem zwölfjährigen Mädchen geschildert wird.

Die Wirkung
Seit damals steht der Name Lolita synonym für eine Kindfrau. Als Lolitakomplex wird ein erotisches oder sexuelles Verlangen von Männern zu Mädchen oder jungen Frauen bezeichnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2011)

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