An kaum einer Person scheiden sich die Geister so sehr wie an Alice Schwarzer. Die Kölner Journalistin und Autorin ist Deutschlands bekannteste Frauenrechtlerin, ihre Verdienste um die Gleichberechtigung werden allgemein anerkannt. Schwarzer, die am 3. Dezember 70 Jahre alt wird, ist aber auch heftig umstritten und kennt Anfeindungen und Häme als ständige Begleiter.
Alice Schwarzer wurde am 3. Dezember 1942 als uneheliches Kind in Wuppertal geboren. "Unerwünscht" von der eigenen Mutter, wächst sie bei den Großeltern auf.
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Während ihre Oma lieber liest, politisch debattiert und manchmal auch ausrastet, zieht ihr gutmütiger Opa Ernst Alice auf. Sie nennt die beiden "Mama" und "Papa". Mit ihnen erlebt sie, wie Bomben auf die Stadt fliegen, während die leibliche Mutter Erika weg ist. Unter anderem wohnt sie nach einer "Panikheirat" am Karlsplatz in Wien.
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Später, als Schwarzer in die Schule geht, arbeitet ihre Mutter als Vertreterin. "So etwa einmal im Jahr hat sie einen Auftritt als 'Mutter'. Dann moniert sie meine 'Tischmanieren' (..) oder kommt zu einem Elternabend im dekolletierten Sommerkleid, mit Hut und roten Fingernägeln." Eine Freundin beneidet Schwarzer um ihr "schicke" Mutter. Sie selbst sieht das anders: "Als Kind hat man eher lieber eine biedere Mutter."
1964 geht Schwarzer als Au-pair nach Frankreich. Ab 1966 arbeitet sie als Journalistin. Wobei es anfangs mehrere Rückschläge gibt. Bewerbungen scheitern, bis ein Volontariat bei den "Düsseldorfer Nachrichten" klappt.
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Danach folgt ein kurzes Gastspiel bei der Frauenzeitschrift "Film und Frau" - mit Mode und Diäten als Hauptthema. Das ödet die "immer noch dicke Alice" ( Schwarzer hatte 65 Kilo bei 1,70 Metern) an, geht aber auch nicht ganz spurlos an ihr vorüber. Sie ist sehr modebewusst, was ihr später eine Mitstreiterin von MLF (Le Mouvement de Liberation des Femmes) vorwirft: "Wir sind alle in Hosen. Nur Alice trägt mal wieder ein Kleid."
Alice Schwarzer schreibt für das provokante Monatsmagazin "pardon", als Nachfolgerin von Günter Wallraff, und wird später Paris-Korrespondentin für mehrere Medien. Sie erzählt über ihr Arbeitsleben, etwa von einer Reportage über den damals noch neuen "Club Med". Dort lernt sie Udo Jürgens kennen, der sie heftig "anbaggerte". "Ich habe reichlich Hände wegzuschieben von meinem Bikini."
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Oder das Interview mit dem Schriftsteller und Philosophen Jean-Paul Sartre. Mitten im Gespräch "dreht sich ein Schlüssel im Schloss - und wer betritt die Wohnung? Simone de Beauvoir." Die Autorin vom "Anderen Geschlecht", das Schwarzer für die umfassendste Analyse des Feminismus hält, ignoriert sie. Schwarzer erleidet "Höllenqualen", weil sie sich vorstellen kann, was De Beauvoir über die 28-jährige Blondine denkt, deren sommerliches Minikleid noch dazu hochgerutscht ist. Später werden die beiden Freundinnen.
In der französischen Frauenbewegung wird debattiert, aber auch getrunken und gefeiert. Und es werden Aktionen durchgeführt. Die erste Aktion ist die Selbstbezichtigung von 343 Frauen, unter ihnen Catherine Deneuve: "Ich habe abgetrieben - und fordere das Recht dazu für jede Frau." Dieser Appell ist eher ein politisches Manifest als ein persönliches Geständnis. Etliche dieser Frauen, auch Schwarzer, haben nie abgetrieben.
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Schwarzer initiiert denselben Appell in Deutschland. Das Bekenntnis der 374, "Wir haben abgetrieben", erscheint am 6. Juni 1971 im "Stern" und wird Auslöser für die neue deutsche Frauenbewegung. Doch im Vergleich zu Frankreich weht in Deutschland, wohin sie 1974 zurückkehrt, ein anderer Wind.
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Insbesondere ab 1975, nachdem sich Schwarzer verstärkt öffentlich für die Rechte der Frauen einsetzt, bläst es ihr eiskalt entgegen. Schlagzeilen wie die "Hexe mit dem stechenden Blick" oder "Schwanz-ab-Schwarzer" muss sie ertragen, ebenso wie Boykott-Aufrufe und Gehässigkeiten direkt aus der Frauenbewegung.
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Doch die Feministin geht den Weg weiter, den sie für richtig hält. Ihr zweites Buch "Der kleine Unterschied", das sich mit Mann-Frau-Beziehungen sowie Sex auseinandersetzt, wird zum feministischen Bestseller.
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Im Jänner 1977 erscheint das Frauenmagazin "EMMA", dessen Herausgeberin und Chefredakteurin Schwarzer bis heute ist. "Neben all den Aggressionen hat es immer auch sehr viel Zuneigung gegeben, von Anfang an. Sonst hätte ich das vermutlich gar nicht überlebt", sagt Schwarzer, die nun glücklich mit einer Frau lebt. Manche werfen ihr vor, dass sie sich nicht längst als Lesbe geoutet hat. Doch Schwarzer sagt: Das bin ich nicht.
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Alice Schwarzer ist auch keine Männerhasserin. "Das Ärgste, was mir von ihm droht, ist erotische Überforderung", schreibt sie über ihren ersten Liebhaber. Die Beziehung zu ihrer ersten großen Liebe hält zehn Jahre lang.
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Mit dem Franzosen Bruno denkt sie sogar an Heirat und Kinder. Doch sie entscheidet sich dagegen, nachdem sie sieht, "wie unendlich schwer" es Mütter haben. "Ich habe es nie bereut", sagt Schwarzer. "Ich hätte ganz sicher die EMMA nicht machen können, wenn ich eine Mutter gewesen wäre."
2011 hat die prominenteste deutsche Feministin über ihre ersten 35 Jahre eine Autobiografie geschrieben, die sie in neuem Licht erscheinen lässt. "Alice Schwarzer: Lebenslauf", 464 Seiten, gebunden, Euro 23,70, www.kiwi-verlag.de
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70 Jahre ''Schwanz-ab-Schwarzer'' in neuem Licht
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