Ex-Guantánamo-Häftling: "Ich hatte keine Angst"

(c) Dapd (Klaus-Dietmar Gabbert)
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Der Ex-Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz erzählt im Gespräch mit der "Presse am Sonntag" von den fünf langen Jahren, die er ohne Anklage im US-Gefangenenlager festgehalten wurde.

Murat Kurnaz, der Deutschtürke, der knapp fünf Jahre im US-Gefangenenlager Guantánamo inhaftiert war, lebt heute wieder in seiner Heimatstadt Bremen. Er ist zum zweiten Mal verheiratet, hat eine Tochter. Der 29-Jährige versucht ein normales Leben zu führen – soweit das möglich ist. Die Erfahrungen von Guantánamo prägen weiterhin sein Leben – auch wenn seine Entlassung im Jahr 2006 schon fünf Jahre her ist. Diese Woche wurde in Wien im Rahmen des Menschenrecht-Filmfestivals „This Human World“ die Dokumentation „War on Terror“ präsentiert (Regie: Sebastian J. F.), in der auch Kurnaz' Schicksal ein Thema ist. In der zweiten Jahreshälfte 2012 soll der Spielfilm „Fünf Jahre“ in die Kinos kommen. Kurnaz hat Regisseur Stefan Schaller bei Drehbuch und Film beraten. Doch seine Bekanntheit wird für den 29-Jährigen im richtigen Leben oft zum Verhängnis.


Sie haben ein Buch über Ihr Leben veröffentlicht, Filme sind über Ihr Schicksal erschienen. Fällt es schwer, die eigene Geschichte aus der Hand zu geben?

Murat Kurnaz: Es ist schön, wenn man über die eigene Geschichte berichten kann. Viele meiner ehemaligen Mithäftlinge können das nicht, weil sie politischem Druck ausgesetzt sind; andere sind psychisch oder physisch nicht dazu in der Lage. Allerdings kommt nicht immer alles so rüber, wie ich es gerne hätte. Bei den Dokumentar- und Spielfilmen werden etwa manche meiner Aussagen über bestimmte Politiker bewusst weggelassen.


Abgesehen von Ihrer Beratertätigkeit: Können Sie als Murat Kurnaz überhaupt einen Job finden?

Ich finde immer nur vorübergehende Jobs. Einmal hab ich einen und einmal nicht. Das hängt damit zusammen, dass ich Murat Kurnaz bin und nicht irgendwer. Ich bin doch ziemlich bekannt in Deutschland, das macht mir mein Leben ein bisschen kompliziert. Wenn ich einen Job suche und ich werde erkannt, bekommen die Leute Angst. Die Chefs sagen dann: Was werden meine Mitarbeiter sagen?


Und was ist Ihnen sonst wichtig im Leben?

Meine Familie ist mir wichtig. Sport ist auch wichtig, ich mache viel Kampfsport. Das habe ich auch schon vor meiner Haft gemacht.


Es ist jetzt zehn Jahre her, dass Sie nach Pakistan gefahren sind, um mehr über den Islam zu erfahren. Im November 2001 wurden Sie verhaftet und danach an die Amerikaner übergeben. Haben Sie damals geahnt, was Sie noch alles erwarten würde?

Nein, das habe ich nicht geahnt. Ich wusste ja nicht einmal, warum ich in Haft genommen wurde.


Was dachten Sie, dass da passiert?

Ich dachte mir, dass die Behörden nach jemand anderem gesucht haben. Ich dachte mir: Das kann nur einen Tag oder ein paar Tage dauern, und dann bin ich wieder frei. Eine Woche später dachte ich dann: Das kann höchstens einen Monat dauern und immer so weiter. Ich konnte nicht wissen, wie lange es dauern könnte.


Aber Pakistan war ja nicht irgendein Land.

Ich war damals 19, politisch war ich absolut uninteressiert und unerfahren. Ich konnte die Situation dort nicht einschätzen, denn sonst hätte ich die Reise nicht unternommen. Als ich am 3. Oktober wegfuhr, gab es noch keinen Krieg zwischen Afghanistan und den USA. Meine lang geplante Reise wollte ich nicht abbrechen. Erst später ist mir bewusst geworden, dass es besser gewesen wäre, diese Reise nicht zu machen.


Bevor Sie fünf Jahre in Guantánamo verbrachten, wurden Sie am Militärstützpunkt im afghanischen Kandahar festgehalten. Was war eigentlich schlimmer?

Das kann man nicht vergleichen. Das Klima war ganz anders: In Afghanistan war Winter, in Guantánamo im „Camp X-Ray“ Sommer. Ich war im Freien untergebracht – in Kandahar hatte es minus zehn Grad oder weniger. Wenn es regnete, fror alles fest. Dazu kam dann noch die Folter.


Was kann man da als Gefangener machen?

Man kann gar nichts machen. Man kann nur das Beste hoffen – dass es vorübergeht.


Als Häftling lebten Sie jahrelang in absoluter Ungewissheit. Sie wussten nicht, wann Sie freikommen würden. Wird selbst das Leben als Gefangener einmal zur Routine?

Nein. Man muss immer mit dem Tod rechnen. Ich habe so viele Menschen sterben sehen – Menschen, die vor meinen Augen totgeschlagen oder gefoltert wurden. Das ist nicht nur einmal passiert. Wenn man das erlebt hat, weiß man: Man kann jederzeit der Nächste sein. Jeder Tag ist anders, da stellt sich keine Routine ein.


Hatten Sie Angst in Guantánamo?

Bestimmt gibt es Menschen, die Angst haben. Ich hatte keine Angst. Sterben wäre eine Erleichterung gewesen. Ich wurde tagtäglich mit Elektroschocks gefoltert. Ich sollte ein Papier unterschreiben, auf dem stand, dass ich ein Mitglied von al-Qaida bin. Ich habe es nicht unterzeichnet, daher wurde ich gefoltert. Wenn man unter solchen Bedingungen lebt, ist der Tod eigentlich eine Erleichterung.


Wie kann man solche Erfahrungen überhaupt verarbeiten?


Man darf nicht zu soft sein in diesem Leben. Wenn man zu sensibel ist, ist man schon verloren. Es gibt Kinder in Mexiko, die leben in Armut und auf der Straße, sie müssen betteln und Drogen verkaufen. Es gibt Menschen, die machen viel Härteres durch als ich. Ich war 19 Jahre alt, als ich verhaftet wurde. Ich war jung und stark, ich konnte einiges wegstecken. Es war noch zu ertragen. Aber es gab einige Häftlinge in Guantánamo, die waren 85 Jahre alt. Und der Jüngste war neun. Für die war die Situation noch schwieriger als für mich.


Als Sie in Haft waren, wurde über Ihre mögliche Verwicklung in den Terrorismus gemutmaßt, Medien bezeichneten Sie als „Taliban von Bremen“. Dann hat sich herausgestellt, dass Sie zu Unrecht gesessen sind. Kann man die Menschen wirklich von seiner Unschuld überzeugen?


Nein, kann man nicht. Ich versuche das auch gar nicht, ich will niemandem etwas beweisen. Wenn jemand an meiner Geschichte interessiert ist, erzähle ich sie. Wenn mir die Menschen glauben, ist es gut für mich – und für sie, weil sie dann nämlich der Wahrheit glauben. Wenn es jemand anders haben will, ist das seine Sache. Ich bin ein freier Mensch, ich lebe mein Leben.


Aber bei Ihnen hat sich bis dato niemand entschuldigt. Es gibt keine offiziell erwiesene Unschuld, ganz zu schweigen von Schadenersatz.

Das stimmt. Ich hatte keine Möglichkeit, gerichtlich gegen die Verantwortlichen vorzugehen.

Glauben Sie, dass ein Gerichtsverfahren zu Ihren Lebzeiten noch möglich sein wird?

Mein Anwalt Bernhard Docke glaubt das nicht. Ich persönlich hoffe natürlich, dass es dazu kommt. Wenn man so etwas durchgemacht hat und in einem angeblich demokratischen Land lebt und dennoch keine Möglichkeit hat, Klage einzureichen, wo soll es dann funktionieren?


Haben Sie eigentlich einen Hass auf die USA oder die verantwortlichen Politiker entwickelt?

Ich habe viele amerikanische Freunde. Ich hasse nicht die Amerikaner für etwas, das ihre Regierung verübt hat. Viele haben sich dafür eingesetzt, dass Guantánamo geschlossen wird. Die verantwortlichen Politiker sind natürlich Menschen, die zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Da versuche ich auch alles rechtlich Mögliche zu unternehmen. Mein Anwalt hat in Kanada Klage gegen den Expräsidenten George W. Bush wegen des Verstoßes gegen die Anti-Folter-Konvention eingereicht, sodass bei seiner Einreise nach Kanada strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn aufgenommen werden müssen.


Was ist Ihnen an jenem Tag, als Sie aus Guantánamo entlassen wurden, aufgefallen? Hatte sich die Welt sehr verändert?

Die Welt hatte sich extrem verändert, und auch mein eigenes Leben: Als ich in das Gefangenenlager kam, war ich verheiratet – als ich entlassen wurde, erfuhr ich, dass sich meine Frau hatte scheiden lassen. Meine Großmutter war gestorben. Ich hatte vor meiner Haft keine Mobiltelefone mit Farbdisplay gekannt. Als ich dann wieder herauskam, machten die Beamten, die mich abholten, mit dem Handy ein Foto mit mir.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2011)

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