Kurt Langbein: "Ich kämpfe darum, am Leben zu bleiben"

Kurt Langbein kaempfe darum
Kurt Langbein kaempfe darum(c) FABRY Clemens
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Der Wissenschaftsjournalist Kurt Langbein machte Karriere damit, dem Medizinsystem kritisch auf die Finger zu schauen. 2009 wurde aus der Theorie Praxis, Langbein erkrankte an Prostatakrebs.

Warum haben Sie ein so persönliches Buch über Ihre Erkrankung geschrieben?

Kurt Langbein: Zunächst dachte ich gar nicht an ein Buch. Ich habe Tagebuch geführt, zum ersten Mal. Ich wollte etwas hinterlassen, falls das alles schiefgeht. Während des Schreibens bin ich draufgekommen, wie gut mir das getan hat, weil es mir gelungen ist, Empfindungen zu formulieren und zu präzisieren, die ich nie ausgesprochen hätte. Es fehlen einem die Worte. Und es fehlt einem die Möglichkeit, diese Worte an irgendjemanden zu richten.


Weil man gerade mit den Leuten, die einem nahestehen, darüber nicht sprechen will oder kann?

Deren Angst spürt man natürlich auch, und man will sie nicht noch mehr ängstigen. Andere wiederum senken gleich den Blick, wenn sie das Wort „Krebs“ hören und suchen mental und auch physisch möglichst schnell das Weite. Da teilt sich ja die Welt in Leute, die diese Angst aushalten, und sogar gute Freunde, die sie nicht aushalten. Ich bin da niemandem böse. Es ist schwierig, das anzuschauen und freundlich-offensiv und empathisch damit umzugehen. Das kann niemand aus dem Stand. Ich wollte deshalb ein Buch machen, das Krebspatienten auch ihren Angehörigen geben können und sagen: „Lies das, so geht's mir.“


Was war das Härteste?

Den eigenen Tod anzuschauen. Darüber habe ich relativ bald begonnen zu sprechen, habe jedoch lang gebraucht, um das emotional wirklich zu durchleben. Das ist aber ganz wichtig, um wieder freier sein zu können und weniger Angst zu haben. In dem Augenblick, in dem ich mir mein eigenes Sterben vorstellen konnte, habe ich mich wieder gesünder und besser gefühlt.


Haben Sie an irgendeinem Punkt eine Art Schlussstrich gezogen?

Schlussstrich nicht. Ich hoffe, dass der Schlussstrich noch ein gutes Stück nach hinten verschoben wird. Ich habe gute Chancen, weiß aber, dass man zwar hoffen und auch vertrauen kann, doch wissen tut man's nicht. Ich habe aber gelernt, mit meiner Sterblichkeit umzugehen und zu akzeptieren, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit an diesem Krebs sterben werde. Ich akzeptiere dieses Anderssein, aber ich kämpfe darum, am Leben zu bleiben.


Dieses Anderssein ist ja besonders hart. Für alle anderen geht das Leben weiter, für den, der Krebs hatte, nicht.

Ja. Und ich war auch überrascht über die Intensität dieses Andersseins. Ich habe davor ja Filme gedreht über das Leben mit Krebs, Langzeitbegleitungen. Das Überraschende war die Intensität der Empfindungen, die weit über alles hinausgehen, was man davor gedacht hat zu verstehen.


Wie ging Ihre Familie damit um?

Meine Frau und mein Sohn waren eine enorme Stütze für mich. Sie haben mich aufgefangen, gehalten, getragen. Da hat es aber auch geholfen, dass das nicht meine erste Krebsdiagnose war, sondern meine dritte. Die Verzweiflung und die Wut der Angehörigen auf denjenigen, der sich hier anschickt, sie zu verlassen – den Prozess haben wir bei der leichter zu verkraftenden Diagnose eines krebsartig entarteten Darmpolypen durchgemacht.


Wussten Sie von Anfang an, dass Sie Prostatakrebs haben?

Ich habe mehr und mehr bewusst eine Ahnung in mir wachsen gefühlt. Das hat sich in vielen Kleinigkeiten gezeigt, in einer Art Endzeitstimmung. Ich habe auch mit etlichen Krebsmedizinern geredet, die sensibel genug sind, die Gefühle ihrer Patienten nicht für Wehleidigkeit zu halten. Und die erzählen auch, dass die meisten eine Art Ahnung haben. Aber das emotionale Erdbeben kam trotzdem danach.


Krebs ist ja trügerisch. Man wird operiert, man wird behandelt, alles scheint gut. Und dann kommen die Mühen der Ebene: die Nachbehandlungen, die Kontrollen.

Das stimmt, ich lebe in Quartalsberichten. Wenn man nicht so eingebettet und privilegiert ist, wie ich mich erlebe, ist man in der Zeit der Nachuntersuchung noch mehr allein als in der Zeit der Therapie. Ein Wunsch an unser Gesundheitssystem wäre, dass man Krebspatienten einen persönlichen Betreuer gibt, der über psychoonkologische Kenntnisse verfügt und die Menschen auch in den Jahren danach begleitet. Der ein Anker ist für sie. Davon ist man allerdings im Medizinbetrieb meilenweit entfernt.


Andere Wünsche ans Gesundheitssystem?

In allen Industrieländern ist in der Krebsbehandlung eine grundlegende Neuorganisation nötig. Für eine funktionierende Therapie wäre die Mobilisierung der Selbstheilungskräfte ausschlaggebend. Dafür bräuchte man entsprechende Mittel und Personen.


Sie standen ja auch Vorsorgeuntersuchungen kritisch gegenüber – wie zum Beispiel dem PSA-Wert, der als Indiz für Prostatakrebs gilt. Genau so eine Untersuchung hat Ihnen dann das Leben gerettet. Sehen Sie das jetzt anders?

Die Zahlen, die über unnötige Operationen inklusive Folgen wie Inkontinenz und Impotenz vorliegen, werden immer eindrucksvoller. Die Amerikaner haben sich von der Empfehlung, das als Vorsorge flächendeckend anzuwenden, verabschiedet. Weil eben statistisch gesehen sehr viele Leute draufzahlen, damit einige wenige gerettet werden. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass einer dieser Mahner ausgerechnet der ist, der von einer solchen Untersuchung profitiert hat. An meiner Haltung gegenüber der Sorge, die durch Vorsorgeuntersuchungen verursacht wird, ändert das nichts.


Bei Krebs geht der Körper gegen sich selbst vor. Wie hat das Ihr Verhältnis zu Ihrem Körper beeinflusst?

Ich hatte bis zu dieser Erkrankung das Gefühl, dass ich mit meinem Körper ganz guten Kontakt habe. Ich habe relativ viel Sport gemacht, bin ganz gut mit ihm umgegangen, und er mit mir. Mit der Erkrankung habe ich meinem Körper gegenüber ein tiefes Misstrauen entwickelt und habe lange über die Zeit hinaus, in der ich Beschwerden hatte, Mühe gehabt, einen positiven und vertrauensvollen Kontakt mit ihm wiederherzustellen. Und ein Rest Skepsis bleibt.


Sie vertreten die These, dass ein durch psychische Belastungen geschwächtes Immunsystem eine der Hauptursachen für den Krebs ist. Wie begründen Sie das?

Das ist eine Mischung aus persönlicher Überzeugung und wissenschaftlicher Erkenntnis. In den USA gibt es Untersuchungen über Frauen mit Brustkrebs, die eine eindeutige Korrelation zwischen hohen Stressfaktoren, vor allem armer Frauen, der Krebshäufigkeit und der Schwere der Erkrankung belegen. Die Studienlage über psychische Faktoren ist dürftig. Das spricht meiner Meinung nach allerdings gegen die, die diese Studien machen. Wenn man meint, man muss eine „Krebspersönlichkeit“ finden, um psychische Faktoren nachzuweisen, dann ist das Quatsch. Aber es gibt Lebensumstände und Rahmenbedingungen, die negativen Stress zu einem chronischen Problem machen, und das schwächt das Immunsystem. Ich kann mich an solche Zeiten erinnern, und ich weiß, wie schlecht es mir da gegangen ist.


Wie stärken Sie Ihr Immunsystem?

Gegen meine Entzündungsneigung nehme ich erfolgreich indischen Weihrauch. Ich spritze mir, mit Pausen, Mistelextrakt. Das ist ein alternatives Verfahren, das anerkannterweise auch die Begleiterscheinungen der Chemo- und Strahlentherapie reduziert. Und ich mache eine psychoonkologische Therapie, für die schwierigen Momente. Das tut mir gut.


Sie haben ja auch zu tanzen begonnen.

Genau, sehr zu meiner Überraschung bin ich vom Tanzmuffel zum Tänzer geworden und besuche mittlerweile den Goldkurs. Das gehört auch zur wiedergewonnenen Freude an der Bewegung. Ich treibe regelmäßig Sport, laufe, spiele Tennis.


Und wie fühlen Sie sich?

Gut, gelassen, recht ruhig, zuversichtlich, und mit einer für meine Verhältnisse recht hohen Bereitschaft, mich zu freuen.


Gibt es Zeiten, in denen Sie nicht an den Krebs denken?

Er ist schon ein bisschen in den Hintergrund getreten, wird aber immer wieder aufgeweckt. Wenn zum Beispiel die Zeit für den nächsten Befund kommt. Es ist nie so, dass er völlig weg ist. Dieser Exzess des Lebens wird mich für immer begleiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2012)

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