Nadine Labaki: Libanons mutigste Filmemacherin

(c) Tobis
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Der Libanon hat einen Filmstar. Die 38-jährige Nadine Labaki schuf mit ihrem zweiten Film „Wer weiß, wohin?“, eine Komödie über Haschkekse, Stripperinnen und den Krieg.

Die Geschichte beginnt in einem kleinen, namenlosen Dorf, völlig abgeschieden, wahrscheinlich irgendwo im Libanon. Christen und Moslems streiten nur über Nichtiges, eigentlich herrscht Frieden – bis Nachrichten von einem neuen Konflikt durchdringen und die Männer zu den Waffen greifen. Nur die Frauen sind wenig begeistert von der Vorstellung, schon wieder ihre Ehemänner und Söhne zu verlieren. Und entwickeln ungeahnt kreative Energien, um sich ihnen in den Weg zu stellen – ein erfundenes Wunder, Haschischkekse und ukrainische Stripperinnen inklusive.

Das ist witzig und traurig, das Kinopublikum lacht und weint. Nicht nur im Libanon, in Toronto etwa wurde der Film mit dem Publikumspreis ausgezeichnet und schlug damit gleich zwei Werke George Clooneys. Und Filmemacherin Nadine Labaki ist zufrieden, weil sie für diesen Film ihr Ziel erreicht hat, und zwar weit über die Grenzen ihres eigenen Landes hinaus. „Ich will“, sagt sie im Gespräch mit der „Presse“, „die Leute berühren. Das ist der Grund, warum ich Filme mache.“

„Wer weiß, wohin?“ ist der zweite Film der 38-jährigen Libanesin. Wie in ihrem erfolgreichen Debüt, „Caramel“, über einen Beautysalon in Beirut spielt sie auch diesmal selbst die Hauptrolle. Vor allem aber ist sie Regisseurin: „Das wollte ich schon als Kind werden.“ Ihr Wunsch, „selbst Welten zu erschaffen“, ist eine Folge des Bürgerkriegs, in den Labaki geboren wurde. „Ich habe meine Kindheit in Bunkern, hinter Sandsäcken oder zu Hause verbracht. Wir durften nicht hinaus zum Spielen, deshalb ist das Fernsehen für uns sehr wichtig geworden.“ Schon früh habe sie ihrer Familie erklärt: „Irgendwann fahre ich nach Cannes.“

Dass ihr das schon mit „Caramel“ gelungen ist, findet sie heute trotzdem „unglaublich. Denn im Libanon gibt es keine Filmindustrie; jeder Film ist ein Kampf, und ich hatte keine Erfahrung.“ Was sie weiß, brachte sie sich mit der Produktion von Musikvideos und Werbeclips bei. „Natürlich hat mein Film Fehler, ich experimentiere, habe meinen Stil noch nicht gefunden. Aber die Leute verstehen, was ich meine.“


An die Initialzündung zu ihrem neuen Film erinnert sie sich genau – sie liegt ebenfalls in einem (Beinahe-)Krieg, 2008. „Damals gab es Probleme zwischen zwei Parteien, und schon waren die Leute wieder auf der Straße und begannen, einander zu töten. Nachbarn, die 20 Jahre friedlich nebeneinander gelebt hatten, wurden innerhalb von Stunden zu Feinden. Es war völlig absurd.“ Labaki war zu diesem Zeitpunkt mit ihrem ersten Kind schwanger. „Ich habe mir vorgestellt, mein Sohn wäre schon 18 und überlegt: Was würde ich als Mutter tun, um ihn aufzuhalten?“

So entstand die Geschichte, eine eigentümliche Mischung „aus Märchen und Realität“, wie es Labaki beschreibt. Die Musik, die Lieder, die örtliche Unbestimmtheit sorgen für den märchenhaften Charakter. Weil die Geschichte, die Labaki erzählt, „nicht spezifisch libanesisch ist, sie könnte überall spielen. Es geht einfach darum, dass sich Leute voreinander fürchten, weil sie vermeintlich anders sind.“


Gleichzeitig arbeitet sie mit Laiendarstellern, die einfach „sie selbst“ sein sollen. „So identifiziert man sich leichter. Das ist das, was ich selbst von einem Film erwarte. Ich will, dass diese zwei Stunden mein Leben verändern, mich auf etwas aufmerksam machen.“ „Wer weiß, wohin?“ sei auch eine Botschaft an ihren heute dreijährigen Sohn. „Ich hoffe, dass er ihn eines Tages sieht und dann zweimal überlegt, bevor er zur Waffe greift.“ Angesichts seiner Mutter sollte er sich wohl hüten. „Wenn man sehr verzweifelt ist, fallen einem die irrwitzigsten Sachen ein. Ich hätte ihm auch in den Fuß geschossen, bevor er rausgeht und getötet wird.“

Im Libanon schlägt Labakis Film alle Box-Office-Rekorde. Und wie ist die Stimmung, wohin bewegt sich das Land? „Wer weiß“, sagt Labaki. „Wenn ich es wüsste, hätte ich meinen Film anders benannt.“

Zur Person

Nadine Labaki (38) ist eine libanesische Regisseurin und Schauspielerin. Sie wuchs im Bürgerkrieg auf und kennt, wie sie sagt, „niemanden, der nicht irgendjemanden verloren hat“. Das Filmemachen brachte sie sich als Produzentin von Musikvideos und Werbung bei. Ihr erster Spielfilm, „Caramel“, wurde ein internationaler Erfolg. „Wer weiß, wohin?“ (ab 23. März im Kino) erhielt u.a. den Publikumspreis in Toronto. Labaki ist mit dem Filmkomponisten Khaled Mouzannar verheiratet, hat einen dreijährigen Sohn und lebt in Beirut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2012)

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