Rabinovici: "Besser, wenn es keine Helden bräuchte"

Rabinovici Besser wenn keine
Rabinovici Besser wenn keine(c) Fabry
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Der Wiener Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici spricht über zivilen Ungehorsam – und warum Mut nicht die entscheidende Kategorie dafür sein sollte, seine Stimme zu erheben.

Was ist ziviler Ungehorsam? Der Gegensatz zum militärischen?

Doron Rabinovici: Der Begriff des zivilen Ungehorsams kommt vom Theoretiker Henry David Thoreau und beschreibt die Auflehnung des Bürgers gegen ein Gesetz im Namen eines höheren Rechts ohne Anwendung von Gewalt. Im Unterschied zu früher ist es in demokratischen Gesellschaften eher möglich, dem Staat den Gehorsam zu verweigern und die Strafe dafür in Kauf zu nehmen. Ziviler Ungehorsam erfordert zumeist, dass es eine Öffentlichkeit gibt, in der dieser Akt wahrgenommen wird. Der zivile Widerstand folgt dem Prinzip: Die Mittel, die ich einsetze, dürfen nichts Schlimmeres nach sich ziehen, als das, wogegen ich mich wende. Ziviler Ungehorsam ist also ein Begriff, der nicht durch Sophisterei aufgelöst werden sollte, sondern seinen Platz in der politischen Philosophie hat. Über ihn sprach Mahatma Gandhi, über ihn sprach Martin Luther King, über ihn referiert Habermas.

Sie sagen selbst, es braucht die Öffentlichkeit. Diese Inszenierung des Ungehorsams macht das doch zur Show.

Thoreau wandte sich etwa gegen die Sklaverei. In Argentinien kämpften die Madres de Plaza de Mayo. In Israel gibt es die Women in Black bei den Checkpoints und Soldaten, die den Dienst in den besetzten Gebieten verweigern, sie kommen ins Militärgefängnis. Das ist nicht nur eine Show.

Das ist dann so etwas wie militärischer Ungehorsam.

Ziviler Ungehorsam heißt vor allem, dass er gewaltfrei ist. Das reicht von Blockaden gegen Atommülltransporte über Hainburg bis hin zu spielerischen Formen. Eine frühe Begegnung meiner Generation mit zivilem Ungehorsam war der Kampf um Rasen-Freiheit im Burggarten.

Wenn ziviler Ungehorsam vom Kampf gegen die Apartheid bis zum freien Rasenplatz reicht, wird er doch schnell inflationär?

Ja, und es ist degoutant, sich mit den Federn derer zu schmücken, die mehr riskiert haben, nämlich ihr Leben. Bekanntlich wird der Widerstand gegen Hitler seit 1945 stündlich stärker, gleichzeitig ist die Grenze zwischen Tyrannei und Demokratie fließend. Einer der Gründe, warum sich der Nationalsozialismus durchsetzen konnte, war, dass er zuerst das zerstört hat, was wir heute Zivilgesellschaft nennen, und das mit brutaler Gewalt.

Was Sie unter Zivilgesellschaft verstehen, war doch vor der NS-Zeit kaum vorhanden.

Der Aufstieg der Nationalsozialisten passierte nicht von einem Tag auf den anderen. Erich Kästner sagte zu Recht: 1933 hätte 1928 verhindert werden müssen, 1933 war es zu spät. Der Rechtstheoretiker Kaufmann sagte: Der kleine Widerstand ist notwendig, damit der große nicht notwendig wird. Wenn wir nur das Recht hätten, uns gegen einen Hitler zu erheben, dann müssten wir uns unterwerfen, solange nur das Schlimmste nicht geschehen ist, und hätten nichts mehr zu sagen, wenn es bereits an der Macht wäre. Und: Demokratie ist eine tägliche Übung, sie ist ein Prozess der Ausweitung. Was vor ein bisschen mehr als hundert Jahren demokratisch war, nämlich dass Frauen nicht wählen, wäre heute für uns keineswegs demokratisch.

Sie sagen, dass Schwarz-Blau einen Demokratieverlust gebracht hat. Wo erkennen Sie den? Mit der großen Koalition war ein demokratiepolitisches Kartell weg. Ihr ziviler Widerstand wurde größer. Also eigentlich ein Demokratie-Gewinn.

Die Wende brachte eine Legitimierung des populistischen Rassismus. Hetze und Vergangenheitsverleugnung wurden durch Ministerposten belohnt. Ich sehe eine Verbindung zwischen dem und was jetzt in manchen Staaten geschieht und auch, was zuletzt in Italien der Fall war.

Sie glauben doch nicht etwa, dass Silvio Berlusconi wegen der Wende noch einmal ins Amt kam?

Aber ich glaube sehr wohl, dass die Legitimierung von rechtspopulistischen Parteien in ganz Europa durch Schwarz-Blau vorangetrieben wurde. Zugleich führte der Protest gegen jene damalige Regierung dazu, dass man sich der rassistischen Hetze bewusster geworden ist. Aber lassen Sie mich auch zum zivilen Ungehorsam noch etwas sagen. In der offenen Gesellschaft erleben zwei völlig gegensätzliche Strategien der Auflehnung eine Konjunktur: Terrorismus und ziviler Ungehorsam. Gewiss wird sich kaum jemand als Terrorist bezeichnen, sondern viel lieber als Widerstandskämpfer. Terrorismus ist wie Mundgeruch: man merkt es nur beim anderen. Der Terrorismus zielt gegen die Zivilgesellschaft. Der zivile Widerstand lebt in ihr und stärkt sie.

Was sagen Sie zur These, dass es mutig sei, dem eigenen Umfeld zu widersprechen, nicht aber, wenn man das sagt, was alle Freunde gerne hören?

Das ist doch sehr simpel gedacht. Ist es etwa nicht mutig, wenn ich meinem Chef entgegentrete? Wenn ich für meine Kollegen den Job riskiere; wenn ich gegen rassistisches Gegröle in der Straßenbahn anrede; wenn ich höre, wie etwa am Stammtisch gegen Schwule gehetzt wird, und dazu nicht schweige, was ist das? Alles nur Show? War es denn feige, als Pfarrer Friedl der jungen Arigona Zogaj Unterschlupf gewährte? Ist es reine Pose, wenn Ute Bock sich für Flüchtlinge stark macht? Ich könnte unzählige Beispiele von Zivilcourage nennen. Ein Politiker mag etwa gegen die eigene Parteispitze rebellieren und sein Mandat aufs Spiel setzen, weil er sagt, was seine nächsten Freunde gerne hören. Ängstlich ist so einer sicher nicht. Aber Mut ist gar nicht die entscheidende Kategorie. Was soll überhaupt diese Fetischisierung des Heroischen? Wichtig ist, wenn nötig, seine Stimme zu erheben. Umso besser für uns, wenn es dafür keine Helden mehr bräuchte.

Doron Rabinovici (geb. 1961) wurde in Tel Aviv als Kind jüdischer Einwanderer geboren, die aus Europa nach Palästina ausgewandert waren. In seinem Buch „Dank meiner Mutter“ beschreibt er den Leidensweg seiner Mutter durch Ghetto und Vernichtungslager.

1964 kam er mit der Familie nach Wien, wo er Geschichte studiert. Aus Protest gegen die FPÖ-Regierungsbeteiligung rief er im Jahr 2000 zur Großdemonstration „Nein zur Koalition mit dem Rassismus“ auf. Der Autor tritt aktiv gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtspopulismus auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2012)

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