Der Belgier Raf Simons, ein ehemaliger Industrie- und Möbeldesigner, wird Kreativchef von Dior. Ein Duell mit Hedi Slimane ist programmiert.
Dior, das große Pariser Haus, hat sich Zeit gelassen. Mehr als ein Jahr ist es her, dass man Chefdesigner John Galliano nach rassistisch-antisemitischen Ausfällen vor die Tür gesetzt hat. Seither brodelte die Gerüchteküche, liefen im Hintergrund wohl mehrere Verhandlungen, doch bei Dior hielt man sich bedeckt: „Die Leute, die reden, wissen nichts, und die Leute, die etwas wissen, sagen nichts“, kommentierte Dior-Chef Sidney Toledano im September.
Nun wusste es Suzy Menkes, Modejournalistin der „International Herald Tribune“, und Dior bestätigte schneller als erwartet: Nicht Marc Jacobs, nicht Haider Ackermann – der Belgier Raf Simons wird neuer künstlerischer Direktor der Luxusmarke. Simons, zuletzt bei Jil Sander, werde für die Haute-Couture- und die Prêt-à-porter-Kollektionen sowie für Accessoires verantwortlich sein. Die erste Kollektion soll er im Juli in Paris vorstellen. Der für seine Zurückhaltung bekannte Simons antwortete mit Superlativen. Christian Dior sei für ihn immer „der inspirierendste Couturier“ gewesen; er sei „demütig und geehrt, künstlerischer Direktor im gefeiertsten französischen Haus der Welt“ zu werden.
Schon rein äußerlich könnte der Unterschied zwischen Galliano und seinem Nachfolger nicht größer sein. Auf den britischen Exzentriker mit Hut, langen Haaren und wallendem Gewand folgt ein Designer, der vor allem durch seine eigene Unscheinbarkeit auffällt: Simons trägt blaue Hemden unter dem Pullover, und während andere Modeschöpfer nach der Schau gern ihr Publikum abschreiten, zeigt er nur kurz seinen Kopf. „Meine Sachen gehören auf die Bühne, nicht ich“, sagt er.
„Sachen“, also Kleider, entwirft der 44-Jährige seit 1995. Beigebracht hat er es sich selbst, gelernt hat Simons etwas ganz anderes: In einfachen Verhältnissen geboren, hat er Industrie- und Möbeldesign studiert, dann als Möbeldesigner für Galerien und private Auftraggeber gearbeitet. In der Mode sorgte er mit seinem Männerlabel für Furore. Er ließ sich von der Jugendkultur inspirieren und kleidete – lange vor Hedi Slimane, dem zwischenzeitlichen Männerchef bei Dior – die Herren in ultraschmale Anzüge. 2005 schließlich wurde Simons Kreativdirektor bei Jil Sander – bis zum heurigen Februar, als er quasi über Nacht arbeitslos wurde, weil Namensgeberin Jil Sander wieder die Führung übernahm.
Simons weinte zum Abschied, war aber ohnehin schon als möglicher Dior-Chef ins Gespräch gekommen – ebenso wie für die ebenfalls vakante Stelle bei Yves Saint Laurent. Die ging schon im März an seinen einstigen Männermodenrivalen Hedi Slimane. Simons hingegen wurde nun von Bernard Arnault, Chef des Luxuskonzerns LVMH, mit der Aufgabe betraut, Dior ins 21. Jahrhundert zu führen. Ein „episches Patt“, wie Suzy Menkes schreibt.
Wobei die Entscheidung von LVMH nicht nur den Belgier adelt – sondern im Nachhinein auch ziemlich viele Modestudenten in Wien: Immerhin hat Raf Simons von 2000 bis 2005 die Modeklasse an der Angewandten geleitet – und Studenten wie Anna Aichinger unterrichtet.
Zur Person
Raf Simons (44) wurde im belgischen Neerpelt in einfachen Verhältnissen geboren. Er studierte Industrie- und Möbeldesign und lancierte 1995 sein eigenes Männermodelabel. 2005 wurde er als Designer für Jil Sander engagiert. Er steht für einen nüchternen, linearen Stil sowie für eine moderne Vision und folgt Yves Saint Laurent, Marc Bohan, Gianfranco Ferré und John Galliano als Kreativdirektor des Pariser Modehauses Dior.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2012)