Das "andere" Geschlecht: Wenn der Mann zur Frau wird

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sie sorgen nicht mehr für Skandale, aber leicht ist ihr Leben nicht.Transidente Menschen kämpfen viel: mit sich selbst und um Akzeptanz.

Nein, selbst in den schlimmsten Stunden habe es sich nie so angefühlt, als wäre sie im „falschen Körper“ geboren worden. Eher so, als wäre ihr Leben ein seltsamer Traum, eine Art Trancezustand, durch den sie mit schlafwandlerischer Sicherheit wandert. „Ich bin damals oft ohne links oder rechts zu schauen über die Straße gegangen“, erzählt Iris Hajicsek, 44. Denn wer ein Leben führe, das gar nicht real ist, den könne auch ein Auto nicht verletzen.

Iris Hajicsek sitzt in einem Café am Wiener Gürtel. Groß ist sie, mit dicken dunklen Haaren, durch die sich bereits graue Strähnen ziehen, unverkennbar eine Frau, wäre da nicht diese tiefe Stimme, die an eine Zeit erinnert, als Iris Hajicsek noch ein Mann war.

Die 44-Jährige ist damit einer der wenigen transidenten oder Transgender-Menschen in Österreich. Wie viele es von ihnen im Land gibt, weiß niemand so genau; Schätzungen des Selbsthilfevereins TransX beziffern ihre Anzahl mit rund 2000. Alle haben sie gemeinsam, dass sie in einem Körper geboren wurden, dessen Rollenzuschreibung sie nicht annehmen konnten. Mann möchte Frau sein, Frau möchte Mann sein.


Eklat bei „Miss Universe“.
Zuletzt sorgte dies bei der Wahl der „Miss Universe“ Ende März für Aufsehen. Die Kanadierin Jenna Talackova wurde kurzfristig von der Jury disqualifiziert, weil sie „nicht als Frau“ geboren worden war. Denn obwohl Transgender schon längst jedem ein Begriff sein müsste, ist es noch lange nicht gesellschaftlich akzeptiert. Sehr zum Leidwesen der Betroffenen, die sich nicht nur mit der eigenen Identität, sondern auch mit den Vorurteilen ihres Umfelds herumschlagen müssen.

Bei Iris Hajicsek, die damals noch einen männlichen Vornamen trug, kamen die ersten quälenden Gedanken in der Pubertät. „Ich wollte einfach kein Mann sein“, erzählt sie. Es schien ihr die falsche Rolle zu sein. Schon damals hätte sie starke Frauen wie Blondie-Sängerin Debbie Harry als Vorbilder gehabt. Es folgten Jahre, in denen sie sich unwohl in ihrem eigenen Körper fühlte, den Bartwuchs seltsam fand, Frauenkleider probierte, sich Selbsthilfe-Ratgeber in den Wiener Büchereien suchte und nicht wusste, wo sie überhaupt hingehört. „Man versucht das ja auch zu unterdrücken. Fragt sich, ob es nicht doch einfacher geht.“

Der 45-jährige Jo Schedlbauer vom Wiener Verein TransX berät genau solche Menschen. „Es sind immer die gleichen Fragen, mit denen die Leute zu uns kommen: Kann das stimmen, bin ich wirklich so, und wie werde ich mir selbst sicher“, erzählt die zierliche Frau mit den Brillen. „Wenn du es so empfindest, wird es wohl so sein“, sagt Schedlbauer dann im Normalfall.


Mehr Mann als Frau.
Sie selbst hat relativ spät begonnen, ihre Geschlechtsrolle zu überdenken – mit 35. Schon davor hatte sie sich mehr als Mann denn als Frau gefühlt, ist immer wieder mit ihrer burschikosen Art aufgefallen. „Ich bin dann zufällig über Transgender gestolpert.“ Heute will sie sich nicht auf ein bestimmtes Geschlecht festlegen lassen, wenngleich sie sich eher als männlich sieht. Mittlerweile, erzählt sie, würden immer jüngere zu Beratungsgesprächen kommen. „Die Anfragen von Jugendlichen steigen stark“, sagt Schedlbauer, die sich diese Entwicklung mit der zunehmenden Liberalisierung der Gesellschaft erklärt. Sogar Volksschulkinder hätte sie schon beraten.

Auch Iris Hajicsek hätte wohl, im Nachhinein betrachtet, früher dran sein können. Erst mit 34 war sie bereit, sich zu outen. Nach einer zehnjährigen Beziehung mit einer Frau. Die habe nichts geahnt. Oder doch? „Ich wollte es ihr früher sagen, aber sie hat abgeblockt.“ Irgendwann war der Druck so groß, dass Hajicsek nicht mehr damit leben konnte. Dann ging alles schnell. Innerhalb von zwei Jahren machte sie alle Schritte für eine Operation zur Frau: Psychologen, Ärzte, Gutachter. „Weil ich so spät dran war, habe ich gewusst, was ich wollte. Ich hatte ja 20 Jahre Zeit, darüber nachzudenken.“

Operationen sind heute nur mehr der letzte Schritt. Denn seit 2009 ist es nicht mehr notwendig, sich für eine amtliche Namens- und Identitätsänderung die „Geschlechtsteile anpassen zu lassen“, wie Schedlbauer es nennt. Das erleichtert wohl das Coming-out für viele. Die Zahl der Anträge auf Änderung des Personenstandes ist von 48 im Jahr 2008 auf 165 im Jahr 2011 gestiegen.

Geht es nach Schedlbauer und dem TransX-Verein, ist Geschlecht sowieso nur eine Sache der Definition. Etwas, das man für sich selbst bestimmen oder komplett auflösen kann. Schedlbauer ist selbst das beste Beispiel dafür. Mit ihren langen braunen Haaren sieht sie (im Moment) aus wie eine Frau. Ihre Freunde sagen aber „Herr Schedlbauer“ zu ihr. Auch „Es“ ist erlaubt. Das Nehmen von Hormonen stelle derzeit keine Option für sie dar, eine Operation komme nicht in Frage. „Mein Körper ist ja ein Teil von mir.“

Schedlbauer kennt nämlich auch andere Fälle. Menschen, die sich operieren haben lassen und danach unglücklich waren. Denn auch wenn die neuen Geschlechtsteile funktionieren, risikofrei sind solche Operationen nicht. Viele leiden an Komplikationen. Laut einer TransX-Umfrage sagen zwar 80 Prozent aller Transfrauen, dass ihre neue Vagina einwandfrei funktioniere, ganz glauben kann Schedlbauer das aber nicht: „Da wird viel verdrängt.“ Die Operation von Frau zu Mann sei noch komplizierter. Im Moment kenne sie nicht mal einen Arzt in Österreich, der einen Penoidaufbau durchführt.


Sprung ins kalte Wasser. Auch Hajicsek hatte im letzten Moment Zweifel. „Du kannst ja nicht mehr zurück. Ein Sprung ins kalte Wasser.“ Sie hat es dann aber doch gemacht. Und ist glücklich, obwohl sie zwei Jahre gebraucht hat, um mit ihrem neuen Geschlechtsteil zurechtzukommen. Doch mit den anfänglichen Schmerzen kam auch der Neuanfang. Sie singt in einer Band, engagiert sich bei den Grünen und geht wie gewohnt ihrer Arbeit an der Universität Wien nach. Nur in der Öffentlichkeit werde sie noch immer angestarrt. „Eine unangenehme Neugierde“, wie sie sagt. Es ist halt doch zu bemerken. Aber Hajicsek akzeptiert es. Und hat Menschen lieber, die sie offen anreden – und nicht hinter ihrem Rücken flüstern. Sie jedenfalls hat nicht mehr das Gefühl, dass sie schweigen muss. Sie ist in ihrer Realität angekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2012)

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