Der Life Ball: Wiens Vertreter in der Glamour-Welt

(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
  • Drucken

Er hat Schwulsein ins Zentrum gerückt, gibt jedem die Chance zur Inszenierung und wurde zu Österreichs einzig echtem Glamour-Event von internationalem Format: Der Life Ball, Wiens Beitrag zur Popkultur.

Es beginnt mit dem rosa Teppich, auf dem Stars einschweben und all jene, die sich mit ihren Kostümen selbst zum Star gemacht haben. Dann erklingt Chopin – auf 20 Flügeln zwischen Rathaus und Burgtheater. Die Debütanten ziehen ein: 99 „normale“ Pärchen und ein schwules; sie sehen wie historische Kerzenleuchter aus und werden von Thomas Schäfer-Elmayer dirigiert. In einer feurigen, Tannhäuser-inspirierten Grotte tritt eine Venus auf, ehe sich die Bühne dreht: Im nachgebauten Theater an der Wien bittet man Gesellschaft und Demimonde zum Ball.

Beim 20. Life Ball wurde so klar wie selten, was Organisator Gery Keszler nie verschwiegen hat: Dass der Life Ball auch deshalb funktioniert, weil er so lokal verankert ist. Popkultur trifft Wiener Geschichte, und die Welt schaut, in schnell geschnittenen Medienhappen, zu. Zumindest fast seit 20 Jahren – vom ersten Ball gibt es kaum Fotos, weil selbst die Macher nicht an eine Wiederholung dachten. Die kündigte „Die Presse“ 1994 zum ersten Mal an. Es sei „dies kein Ball im herkömmlichen Sinn, sondern eine Mischung aus Informationsveranstaltung, Benefiz-Gala und Discothek“, hieß es damals, „eine Kostümprämierung ist ebenfalls vorgesehen. Bundeskanzler Franz Vranitzky hat sein Kommen zugesagt“. Fortan beobachtete man, wie der Ball größer, prominenter, selbstsicherer wurde, immer mehr Politiker sich tapfer zwischen nippelkostümierten Partygästen ablichten ließen.


Schwul wird akzeptiert.
Keszler hat das ursprünglich schwule Event geschickt in den Mainstream platziert. Den Verhaltensregeln des bunten Exhibitionismus, der seine Wurzeln in der von Schwulen dominierten Disco-Szene der späten Siebzigerjahre hat, beugen sich längst auch gerne biedere Politiker jeglicher Couleur. Aus allen „Walks of Life“ strömen sie herbei, um „Offenheit und Toleranz“ zu bekunden.

Richtig stolz wurde man, als nach Modezaren und schon damals nicht ganz aktuellen Schauspielerinnen à la Bo Derek 2001 erstmals Everybody's-Schwulendarling Elton John auftauchte, um Geld für seine Aids-Stiftung entgegenzunehmen: Der Life Ball hatte entschieden, das Spendenfüllhorn nicht mehr nur über Österreich auszuschütten, sondern sich, mit Hilfe anerkannter Organisationen, auch für andere Weltgegenden verantwortlich zu fühlen.


Glamour, international.
Was prompt eine Neid-Diskussion auslöste, weil so mancher die Spenden lieber nur aufseiten der „Unsrigen“ gesehen hätte. Was aber auch erst dazu führte, dass aus dem Ball jenes globale Event werden konnte, dessen Termin Bill Clintons Büro von selbst freihält und das mit dem Besuch glamouröser amfAR-Botschafterinnen wie Sharon Stone oder, heuer, Milla Jovovich rechnen darf. Die großen Stars kommen nicht, weil's am Life Ball so lustig ist – sondern weil er, und sie, Aufmerksamkeit für die Sache garantieren. Nichtsdestotrotz hat Wien damit sein erstes, einziges, Glamour-Event, das international registriert wird.

Mehrere tausend Journalistenanfragen verzeichnet man jedes Jahr, bei 500 zu vergebenden Akkreditierungen für Mode- und Medizin-, Gay- und Lifestyleberichterstatter. Vieles von dem, was rund um den Globus geschrieben wird, hat trockenen Nachrichtencharakter, mitunter wird es mehr: Eine Komposition aus Hedonismus, Ausschweifungen und Amok laufender Fantasie nannte die kanadische Modejournalistin Jeanne Beker das Geschehen nach ihrem Besuch 2009. Es sei eine Party, „so grell, so unverschämt, so dekadent und schlichtweg so affektiert“, schrieb Alice Wyllie vom „Scotsman“, dass Elton Johns jährlicher „white tie and tiara ball“ dagegen wie ein Tanz in einer Dorfscheune aussehe. Manchmal geht freilich ein bissl schief, etwa wenn sich die britische „Daily Mail“ allzu sehr auf Katy Perrys Beziehungsstatus konzentriert und den Popstar dabei beim Life Ball im Hotel Le Meridien in Vienna, Germany, verortet. Die Mehrheit rapportiert indes brav auch die Message und macht ein wenig Werbung für Wien gleich mit. Wenn Milla Jovovich ihren 957.517 Twitter-Followern mitteilt, dass sie ihre neue Single beim Life Ball in Vienna präsentiert, hüpft auch das Touristikerherz; denn echte Stars kämen zwar auch sonst gern nach Wien, aber, leider, immer inkognito.

Bei den Wienern selbst ist der Life Ball in seinen 20 Jahren zum fixen Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses einer ganzen Generation geworden. Die nachrückende feiert auch gern, teilt aber nicht mehr die Angst (die Zahl der HIV-Neuinfektionen steigt), vielleicht auch nicht die überbordende Lebensfreude der Anfangszeit.

Dabei ist der Life Ball, anders als der Opernball, sakrosankt. Dass Alfons Haider, Lifeballmoderator der ersten Stunde, kürzlich Gery Keszler gar für den Friedensnobelpreis vorschlug, nahm man im hektischen Getriebe um die Jubiläumsausgabe gar nicht mehr zur Kenntnis. Mit viel Verve wird da für den guten Zweck champagnisiert, mischen sich Prominente mit Semiberühmtheiten und anonymen Feiernden. An diesem rauschenden Abend sind alle gleich. Beinahe zumindest. Es ist der hierzulande so ausgeprägte Starkult, der auf die feinen Unterschiede besteht. Waren es früher bei den Salonkollekten die Operettendiven, die innigst verehrt wurden, so fliegen heute die Sympathien Modedesignern, Popsternchen und anderen Viecherln aus dem Fernsehprominentenzoo zu. Weil die großen Kaliber so virtuos verschwinden, bleiben für die Liebesavancen nur die wacker feiernden B-Prominenten.


Jeder ist ein Star. Nebenbei verändert der Life Ball auch den allgemeinen Geschmack, was Selbstinszenierung anlangt. Die Menschen haben mehr und mehr Mut und Lust, sich auch im Alltag bunter zu geben. Die Lust am Distinktionsgewinn, wie ihn der Philosoph Pierre Boudieu in seinem Werk definierte, wird in dieser Stadt nicht unwesentlich durch den Life Ball befeuert. Lifestyle ist schließlich nicht nur sinnfreier Luxus und eitles Gepränge, sondern auch der Boden, auf dem Kulturkampf stattfindet. Nicht zufällig hat mit Bürgermeister Helmut Zilk ein Politiker der progressiven Linken die ganze Chose überhaupt erst ermöglicht.

Das alte Problem, dass man berühmt werden will, aber nicht weiß, womit, ist beim Life Ball für einen Abend ausgesetzt. Jeder schrill Inszenierte hat die Chance, in die Illustrierte oder in die Seitenblicke zu kommen. Jedem seine zehn Minuten Ruhm. Schaum und Licht beherrschen die Szene. Der Star-Effekt ist in Wien genauso halbseiden wie in Hollywood beschaffen: ein phantasmagorisches Wechselspiel von Schleier und Juwelen, von Durchlässigkeit und Widerschein, diffuse Voraussetzung aller Illusion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

flammender Hilfsappell
Salon

Life Ball: Ein flammender Hilfsappell

Der Life Ball hat seinen 20er gefeiert: Feurig, bombastisch, mit viel Prominenz und nicht mehr ganz jungem Publikum. Das Motto, „Fight the Flames of Ignorance“, wurde mehrheitlich flammend umgesetzt.
Tanzen statt Life Ball
Salon

"Tanzen statt Tod": Das war der 20. Life Ball

Tickernachlese Milla Jovovich sang, Conchita Wurst lief. Der diesjährige Life Ball hatte alles: Stars, Show und Sternchen. Eine Nachlese.
Prominenz am Life Ball

Models, Musen und Milla Jovovich

Life Ball 2012

Fotos in Flammen


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.