Herausgeputzt vor dem Spiegel der Zeit

Opernball
Opernball(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Vom Fest der Hoffnung zum maroden Spektakel – und zurück? Die Geschichte des Wiener Opernballs ist auch eine Geschichte der Zweiten Republik. Ein Rückblick auf 60 Jahre Kleider, prominente Gäste – und Lamento über Parvenus.

Schon der erste Opernball begann mit einer Enttäuschung. Zumindest für Rittmeister und Tanzlehrer Willy Elmayer. Der stand nur bei der Generalprobe als Zaungast dabei, weil sein Konkurrent Willy Fränzl die Eröffnung leiten durfte, nicht ahnend, dass seinem Adoptivenkel Thomas Jahrzehnte später ähnliche Schmach drohen sollte: 2009, als Desirée Treichl-Stürgkh auch noch die Bundesländer ins Boot holte.

Damals, 1956, waren die Bundesländer freilich eher noch kein Thema, die weite Welt noch weniger. Ein sehr Wienerisches „Who's who von damals“ konstatiert Treichl-Stürgkh beim Blick auf die Debütantenliste im alten Ballprogramm; von Attems über Kinsky bis Zichy. „Wenn es die ,Bunte‘ damals schon gegeben hätte, wären sie die Stammgäste gewesen.“ Weiß sei Modefarbe gewesen, rapportierte Thomas Chorherr, für die „Presse“ als schreibender Debütant im Einsatz – gemeinsam mit Jungherren wie Außenministersohn Johannes Figl oder Felix Hurdes junior. Dem sollte Qualtinger später noch ein Lied widmen: „Der Papa wird's schon richten . . .“ Ausgelassen dürfte die Feier jedenfalls gewesen sein. Wenige Wochen zuvor hatte die Wiener Staatsoper, zehn Jahre nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, feierlich wiedereröffnet. Auch der erste Opernball geriet zum Sinnbild für den Wiederaufbau und den Beginn einer neuen Zeit. Und will man Überlieferungen glauben, dann haben jene, die nicht dort waren, zumindest da noch nicht über die „Großkotzigen“ geschimpft.

Das Spiel mit Sein und Schein hat damals freilich schon begonnen. Eine erstaunliche, unverhohlene Vorliebe auch vermögender Damen für falschen Schmuck diagnostizierte die erste Ballchefin, Christl Schönfeldt. Zitiert wird sie in einem vor gut 20 Jahren erschienenen Opernball-Buch von ORF und Brandstätter-Verlag, das seinerseits für Empörung sorgte: bei Operndirektor Ioan Holender, der sich nicht eingebunden fühlte. Doch das greift vor.

Anders als die Juweliere haben die Modesalons schon früh zu tun: Kleider werden umgearbeitet oder multifunktional gestaltet. „Ein paar Damen sind schon zufrieden“, so Schönfeldt, „wenn sie oberhalb der Logenbrüstung opernballfähig sind“. Später lässt man dann bei Adlmüller schneidern – oder immer noch bei Großmuttern aus Gardinen. Karl Lagerfeld, gerade an der Angewandten engagiert, gibt 1981 (im ersten Jahr Lotte Tobischs) ein Gastspiel als Gestalter des Opernballplakats. Dass es als „Frankenstein-Schöpfung“ rezensiert wird, trägt nicht zur gegenseitigen Wertschätzung zwischen Stadt und Designer bei. Lagerfeld wird kein Stammgast.

Das gilt für die meisten, die immer genannt werden, wenn wieder einmal beklagt wird, dass der Opernball von heute mit der Glanzzeit von früher wenig zu tun habe. Genau genommen hat sich der internationale Jetset selten um Zutritt zum Staatsball gerissen. König Juan Carlos? Kam nur einmal. Caroline von Monaco? Von ihrer Cousine eingeladen sprach sie kein Wort. Und Richard Burton: Der drehte halt gerade in Wien. „Wir hatten einen Vertrag mit der Filmfirma“, sollte Tobisch später erzählen. „Die hätten ordentlich zahlen müssen, wäre er damals nicht aufgetaucht. Und obwohl er sich drüben im Bristol bereits niedergesoffen hatte, haben sie ihn zu uns rübergeschleppt.“ Er landete dem Vernehmen nach im Palmenkübel, randalierte und wurde am Ende gewaltsam entfernt.


Politik und Krise. Prinz Philip wiederum wollte eigentlich nur das WWF-Reservat Lange Lacke inspizieren, was die Opernball-Leitung spitzbekam und die österreichischen WWF-Leute bat, ihn zu überreden. Der Buckingham-Palast sagte zu – wenn der Prinz vor der Mitternachtsquadrille über den WWF sprechen dürfe. Mittlerweile hatte nämlich das Fernsehen breiten Einzug gehalten. Damit wurde der Opernball zunehmend weniger privat. Eine Minute und 50 Sekunden dauerte 1956 der Bericht über den Opernball in der Wochenschau – heute sind dreieinhalb Stunden Sendezeit zu füllen. Was Raum für unsinnige Fragen bietet – und Möglichkeit zur publicityträchtigen Selbstpräsentation. Das Fernsehen, mutmaßte Tobisch, im Jahr 2006 längst außer Dienst, sei ein Grund für den merklichen Imageverfall des glanzvollen Treibens. „Das ist ja langweilig! Immer dieselben öden Interviews!“

Tatsächlich war der Ball schon davor in eine veritable Krise geschlittert. Begonnen hatte es Ende der Achtziger mit den Demonstrationen. Zuerst protestierte man gegen den Besuch des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (respektive gegen die deutsche Atom-Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf), später hieß es: „Eat the rich.“ Nicht ganz zu Recht. „Ich schätze, dass mehr als 50 Prozent der Besucher überlegen, bevor sie sich etwas zu trinken kaufen“, sagt Birgit Sarata, Sängerin, Gesellschaftsdame und seit den Siebzigerjahren auf dem Ball. Sie wickelte sich demobedingt in 30 Meter Plastik aus der Putzerei, um unbeschadet das Opernhaus zu erreichen.

Dann kam der Golfkrieg, 1991 wurde der Ball abgesagt. Danach blieben die Gäste aus. 1993 wurde zum annus horribilis: Anja Kruse klagt über die Neureichen, Ioan Holender will den „Störfaktor“ loswerden, Illustrierte publizieren Umfragen zu etwaiger Abschaffung und fordern zumindest „Totalreform“ des „maroden Spektakels“. Das „Schrille“ nehme überhand, jammert die „Krone“, und dabei hatte sich Wiens bekanntester Baumeister erst mit Joan Collins und Sophia Loren ausprobiert und noch gar nicht Dolly Buster präsentiert. Das mediale Lamento über die Parvenus und das Fehlen echter Prominenz wurde zum Ritual wie das genüssliche private Lästern bei Sekt vor dem Fernseher. Die Damen auf dem Ball trugen Escada oder Eigenkreationen, die Demos schliefen ein.


Scheichs und Chefs. Im geächteten Wendejahr 2000 übernahm Sacher-Chefin Elisabeth Gürtler, fest entschlossen zu Reformen (keine Disco, EU-Vorsitzland-Motto), die sie im zweiten Jahr wieder zurücknahm. Was blieb, waren die Abschaffung der „Billigsdorfer-Nelken“, Farbmottos („Rot“, „Gelb“) und ein klarer Fokus aufs Geld. Logen wurden zur Geschäftsanbahnung nach Branchen sortiert, Scheichs, Coca-Cola-Chefs und südafrikanische Minenbetreiber hofiert, die Spender von 60.000 Rosen mussten sich ihre Karten (beinah) selbst zahlen. „Die Wirtschaft“, verkündete Gürtler, „ist schließlich der Motor der Welt.“ Dass unter Ballettchef Renato Zanella dessen Tänzer die Hosen fallen ließen, kam da weniger gut an.

Auch diese Zeiten sind vorbei. Das Publikum hat sich selbst verjüngt – weil Selbstständige kommen, die sich keinen Compliance-Regeln unterwerfen, keine Entlassungen und sinkenden Aktienkurse rechtfertigen müssen. Damen, die Gesellschaftsredaktionen kontaktieren, weil der eigene Schmuck teurer als jener der im Text erwähnten Dame sei – passé. „Man protzt nicht mehr, und man sagt nicht mehr die Wahrheit“, beobachtet Lisbeth Bischoff, mit 27 Einsätzen längstdienende ORF-Opernballberichterstatterin. „Selbst wenn man wirklich eine teure Robe hat – man behält es für sich.“

Ein Ban Ki-moon, ein Bob Geldof, eine Naomi Campbell kommen immer noch – wenn sie zufällig hier sind, Aussicht auf Spenden wittern oder Waffenhersteller als Gastgeber haben. Die Hörbigers und Morettis feiern immer noch freiwillig. Chefin „Desi“ hat internationale (Hutdesigner Philip Treacy) wie lokale (Michel Mayer, Lena Hoschek) Designer engagiert und erklärt ihre Ziele (jünger, hipper) für erreicht. „Es könnte das Feiern in eine neue Zeit gewesen sein“, sagt sie über den ersten Ball von 1956. „Es war der Beginn jenes Zeitfensters, in dem es keinen Krieg gab, keine Sorgen. Glücklich, wer in jene Zeit hineingeboren wurde.“

Was kommt, weiß keiner. „Die Umwälzung, die passiert jetzt.“ Möglich, dass der Opernball gerade deshalb guten Zeiten entgegensieht. „Die Menschen sehnen sich nach Vertrautem. Das Interview mit dem Präsidenten, der Donauwalzer, da packt jeden die Rührseligkeit.“ Wie gut, dass manche Dinge gleich bleiben. „Viel Eleganz, wenig Prominenz“ klagte selbst „Die Presse“ über den Opernball. Das war 1959.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2016)

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