Keine neue Piefke-Saga

Keine neue Piefke-Saga oder: Warum wir heute abend alle Daumen für Deutschland drücken.

Am Ende dieser Woche müsste man natürlich noch etwas über das historische WM-Halbfinale zwischen Brasilien und Deutschland schreiben. Denn diesmal besprechen sogar Menschen das 1:7, die sich normalerweise gar nicht mit Fußball auseinandersetzen. Wie das zuvor in Ansätzen der Chilene Luis Suárez geschafft hat, indem er den Italiener Giorgio Chiellini gebissen hat.

Doch irgendwie trauen wir uns nicht recht. Denn plötzlich ist das Thema Deutschland wieder ein bisserl heikel geworden. Zur Erinnerung nur die Vorgeschichte: Rund um all jene deutsche Eigenschaften (kombiniert mit einem ordentlichen österreichischen Minderwertigkeitskomplex), die unter anderem in der Piefke-Saga von Felix Mitterer plastisch herausgearbeitet worden waren, manifestierte sich im vergangenen Jahrtausend in Österreich eine deutliche und ziemliche übertriebene Deutschland-Abneigung.

Die brach mit der prinzipiellen Ver-Berlinisierung Deutschlands kombiniert mit anderen Einzelargumenten (Harald Schmidt, Helge Schneider, deutscher Fußball) auf und schlug in eine Wohlgesinntheit gegenüber dem Nachbarland um. Die unter uns gesagt auch zu einer großen Befreiung führte. Gegen ein ganzes Land negativ eingestellt zu sein, ist nicht nur provinziell und nicht begründbar, sondern auf Dauer ziemlich anstrengend.

Wir haben uns daran gewöhnt, auf heimischen Skihütten nicht nur in der Schlange mit deutschen Gästen anzustehen, sondern auch am Tisch von deutschen Servicekräften bedient zu werden, viermal im Jahr nach Berlin zu fahren und Borussia Dortmund in der Champions League die Daumen zu halten (nur Bayern München war immer noch schwierig. Sorry, David!).

Doch mit dem Kantersieg gegen Brasilien hat sich etwas verändert. Ein Teil hält immer noch Deutschland die Daumen, damit sie endlich wieder einmal Weltmeister werden (und wenn es nur ist, damit wir nicht länger an Andreas Brehme erinnert werden). Anderen wiederum wird es plötzlich zu viel. Deutsche Fußballdressen schon um neun Uhr in der Früh in Wiener Straßenbahnen (statt grün-weißer oder violetter) ist irgendwie komisch. Und wenn wir im ZDF Fußball schauen, müssen wir ein wenig an Felix Mitterer denken.

Trotzdem kämpfen wir gegen den Rückfall an – und halten im Zweifel zu Deutschland.

florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.