Helene Fischer ist keine Weltmeisterin

Helene Fischer ist keine Weltmeisterin oder: Warum die besten Kicker keine Künstler aus der Kreisklasse verdient haben.

Weltmeister Joachim Löw leidet seit dem Ende der Fußballweltmeisterschaft unter Schlaflosigkeit. Er habe zu viel Adrenalin in sich und sei emotional immer noch zu aufgewühlt, um Ruhe zu finden, erklärte der deutsche Nationaltrainer. Uns geht es da genau umgekehrt: Seit dem WM-Ende schlafen wir endlich wieder, statt bis weit nach Mitternacht vor irgendwelchen Elfmeterschießen herumzuhängen.

Dass das Finale erst eine Woche her ist, können wir kaum glauben. Zu hart wurde die Fußballdroge abgesetzt, weit und breit keine nationale Meisterschaft, die uns als Methadon-Ersatzprogramm dienen könnte.

Auch der Empfang der deutschen Nationalmannschaft in Berlin sitzt uns noch ein wenig in den Knochen. Denn während am Ende des Sommermärchens im Jahr 2006 immerhin noch die Sportfreunde Stiller den Soundtrack zum Fiebern und Feiern lieferten („Mit dem Herz in der Hand und der Leidenschaft im Bein werden wir Weltmeister sein“), hat man nun den Musikantenstadel unters Brandenburger Tor verlegt. Wir wollen hier keine Helene-Fischer-Debatte vom Zaun brechen. Aber nur deshalb, weil das Ergebnis schon feststeht. Man hätte sich etwas anderes – genauer: Besseres – einfallen lassen müssen.

Das Argument, Fußball sei eben genau so, zählt nicht. Denn Lahm und Co. sind auf dem Spielfeld tausendmal besser als Frau Fischer in ihrem Fach (sie ist als Sängerin maximal Kreisklasse, wie man in Deutschland sagen würde). Man hätte für die Weltmeister ruhig jemanden aus der künstlerischen Champions League engagieren können.

Doch die Feierstimmung ist uns nach dem Absturz der Passagiermaschine über der Ukraine, bei der knapp 300 Menschen ums Leben gekommen sind, ohnehin vergangen. Am Rand des Unglücks melden sich nun wieder alle möglichen Menschen, die eigentlich auch irgendwie mitabgestürzt sind.

Nur eine Überbuchung, ein Diensttausch mit einer Stewardess-Kollegin oder eine Verspätung im Stau habe verhindert, dass man dem Flugzeug und damit dem Tod entronnen sei. Auch die umgekehrten Geschichten kursieren, von Unglücklichen, die es gerade noch an Bord geschafft haben.

Bei all diesen Geschichten sind wir wieder bei der Schlaflosigkeit. Nur nicht wegen zu viel Adrenalin, sondern vor lauter Grauen.

florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2014)

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