Zögerlich wie ein Schotte

Warum Nation Branding auch mit einem Referendum funktionieren kann.

Es gibt Dinge, die uns wahnsinnig stören, doch kaum sind sie nicht mehr da, wissen wir gar nicht mehr, dass sie jemals ein Problem gewesen sind. Zigaretten in Lokalen oder Ausscheidungen von Hunden auf dem Gehsteig sind so ein Beispiel. Welcher Nichtraucher und Nichthundebesitzer hätte noch vor ein paar Jahren geglaubt, man könne Passivrauchen und Sohlenputzen so mir nix dir nix ausrotten? Auch Alkohol-Razzien im Straßenverkehr sind inzwischen nicht mehr die sichere Einnahmequelle für die Exekutive, die sie früher einmal war. Das Alkolenken ist längst so etwas wie das Hundstrümmerl unter den Verkehrsdelikten.

Dann gibt es Dinge, die uns erst abgehen, wenn es sie nicht mehr gibt. Davor haben wir sie aber kaum bemerkt bzw. schon gar nicht frequentiert (weswegen sie übrigens auch verschwunden sind). Das Programmkino am Eck, das Kaffeehaus, das immer schon da war, oder „Wetten, dass . . .“ waren uns oft nur in der Theorie lieb und teuer.

Und es gibt Dinge, die sind plötzlich da, obwohl keiner sie je vermisst hat. Nation Branding ist so eine Sache. Also der Versuch, einem Land durch eine Kampagne ein anderes Image zu verschaffen. Dazu braucht es normalerweise einen Haufen Markengurus, eine komplizierte Mehrstufenstrategie und vor allem ziemlich viel Geld. Und ob es am Ende auch verfängt, steht in den Sternen.

Die Schotten haben mit dem Nein zu ihrer Eigenständigkeit möglicherweise unbeabsichtigt ein ziemlich wirkungsvolles Rebranding ihrer Nation vorgenommen. Ohne einen Cent dafür zu zahlen. Vielleicht weil sie so geizig sind?

Hat man hierzulande, wenn man mitten in der Nacht jemanden mit dem Wort „Schotten“ aufgeweckt hat, bisher tramhapert die Antworten „geizig“ (99 Prozent), „Dudelsack“, „Rock“, „Nessie“, „Whiskey“, „Sean Connery“ und „absurd verkleideter Mel Gibson“ (in absteigender Reihenfolge) erhalten, könnte künftig ein anderer Begriffs-Cluster (auch so ein Ding, das niemandem abgegangen ist) dazukommen: abwägend, pragmatisch, vernünftig und vielleicht ein wenig zögerlich.

So werden wir nie wissen, ob das alte Großbritannien ein Ding ist, das uns schrecklich abgegangen wäre, oder Schottland only ohnehin gar niemand gebraucht hätte. Ob uns die geizigen Schotten lieber waren als die zögerlichen, wird sich aber noch herausstellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)

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