Unter dem Fly-over

Unter dem Fly-over oder: Warum der Marathon auch bei vielen Nichtläufern Sympathien genießt.

Der Wiener City Marathon lässt sich ja bekanntlich auf zweierlei Arten konsumieren. Jene, die gern in großen Trauben laufen, können in großen Trauben laufen. Der Rest der Bevölkerung nutzt die Laufveranstaltung als mentale Vorbereitung auf den Wiener Baustellensommer.

Gesperrte Straßenzüge sind ja immer eine gute Gelegenheit, jede Menge über sich selbst zu lernen. Muss ich tatsächlich genau in den fünf Stunden, in denen die Straße XY gesperrt ist, dorthin, wohin man nur über die Straße XY gelangen kann? Oder will ich eher gerade deshalb dorthin, weil ich gerade nicht hinkann? Und ist das vielleicht nicht nur bei gesperrten Straßen so? Sondern überhaupt mit allen Dingen, die ich nicht haben kann? Und was sagt mir das über mich?

Auch die eigene Reaktion auf den Grund für eine Verkehrsbehinderung ist durchaus aufschlussreich: Bin ich zum Beispiel mit demobedingten Straßensperren eher einverstanden, wenn das demonstrierte Anliegen auch das meine ist? Rufe ich „Habt ihr nix besseres zu tun am helllichten Tag?“, wenn mich der Inhalt der Kundgebung gar nicht betrifft oder ich gar dagegen bin? Bin ich Demokrat genug, um das hohe Gut der Demonstrationsfreiheit über mein akut beeinträchtigtes Fortbewegungsbedürfnis zu stellen?

Interessanterweise können ja marathonbedingte Sperren auf eine besonders große Toleranz in der Bevölkerung zählen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sich die meisten Nichtläufer ertappt fühlen. Man sollte dringend selbst wieder einmal etwas Sport machen. Wenn schon nicht gleich ein so unrealistisch hohes Bewegungsziel wie über 40 Kilometer am Stück durchlaufen, dann aber doch zumindest öfter die Stiege statt des Lifts benützen. So kommt dann selbst jenes arme Würstel, das ein paar Stunden, nachdem der Marathon-Sieger schon im Ziel ist, als Letzter des Läuferfeldes immer noch den Verkehr für Millionen blockiert, in den Genuss von empathischen Anfeuerungsrufen aus schlechtem Gewissen.

Die werden den Sanierern unter dem Fly-over der Süd-Ost-Tangente im Juli und August eher nicht zuteil werden. Vielleicht sollte man die Bauarbeiten ja als Laufveranstaltung tarnen? Ein echter Marathon sind sie ja ohnehin. Und wir beginnen am Montag mit dem Training für 2016. Bestimmt.

florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2015)

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