Schlagen und dominieren: Wien liegt im Spitzenfeld

Anhänger von BDSM haben es gut in Wien. Die Szene ist hier besonders stark ausgeprägt.

Gleich einmal vorweg, es passiert häufiger, als viele glauben wollen: In Österreich wird geschlagen, gewürgt, unterworfen, dominiert, und das auch noch zum Wohlgefallen aller Beteiligten. Die Rede ist von der heimischen BDSM-Szene (Abkürzung für Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism), veraltet auch als Sadomasoszene bekannt. Die soll in Wien nämlich besonders gut ausgeprägt sein. Das erzählt Esther Crapélle, Inhaberin und Geschäftsführerin des Ateliers Mystique im 17.Bezirk in Wien und selbst seit fast 30 Jahren in diesen Kreisen tätig.

„Die nicht kommerzielle Wiener BDSM-Szene ist international gesehen ziemlich führend“, sagt Crapélle und meint damit alle BDSM-Locations und -Veranstaltungen, in die keine oder kaum professionelle (und bezahlte) Dominas involviert sind. Sie stützt diese Aussage auf die guten Rahmenbedingungen, die Anhänger von BDSM in Wien seit Jahren vorfinden: Cafés, Events, Messen, Partys.

So gibt es in Wien bereits seit dem Jahr 1999 das SMart Café. Weltweit eines der Einzigen seiner Art, weil sich dort BDSM-Anhänger und Interessierte zwanglos treffen konnten. Auch die Sadomachismus-Initiative „Libertine“ (zu deren Gründungsmitgliedern übrigens Lebenskünstler Hermes Phettberg zählt) wurde bereits vor 26 Jahren gegründet. Zu einer Zeit, als BDSM-Magazine in Österreich verboten waren.

„Die mussten wir damals noch illegal in einer Wäscherei abholen, weil sie im Geschäft beschlagnahmt wurden“, erzählt Crapélle. Der österreichische Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch war schon Mitte des 19.Jahrhunderts für seine ausschweifende Unterwerfungs- und Schmerzliteratur bekannt („Venus im Pelz“). Das Wort „Masochismus“ ist aus seinem Namen abgeleitet.

Wenig Spielraum im Bundesland. In den Bundesländern sieht die Situation freilich anders aus. In Österreich weiß Crapélle noch von einer besser entwickelten Szene in den Städten Graz, Linz und Innsbruck. Aus Kärnten sei ihr zum Beispiel nicht viel bekannt. Und: „Viele kommen am Wochenende nach Wien.“ In einer kleinen Stadt laufe man zu große Gefahr, erkannt zu werden.

Wie viele Österreicher sich heutzutage dem „Spiel“ mit der Gewalt verschreiben (als Spiel wird BDSM sowohl von Anhängern als auch von Sexualexperten bezeichnet), weiß niemand. Die österreichische Sexualpsychologin Daniela Renn geht von zehn bis 25 Prozent der Bevölkerung aus, die damit experimentieren. „In Gedanken sind es mehr“, sagt sie. Repräsentative Studien dazu gibt es nicht.

Keine psychische Krankheit. Wichtig sei ihr trotzdem die Unterscheidung zwischen „psychischer Erkrankung“ und dem Ausleben von BDSM-Praktiken. „Solange ein Mensch auch anders Lust empfinden kann, ist es keine psychische Krankheit“, sagt Renn. Erst, wenn die Betroffenen ins Extreme gehen und das Erleben und Zufügen von Schmerz in Richtung schwere Körperverletzung gehe, kämen viele zu ihr in die Praxis.

Mit „völlig abstrusen und falschen Vorstellungen“ hat Esther Crapélle auch heute noch zu kämpfen. „Manche Leute glauben ja, dass sich bei BDMS alle blutig schlagen. Aber so extrem ist nur ein ganz kleiner Teil“, sagt sie. Vielmehr würden subtile Machtspiele (Stichwort: Befehle geben und diese uneingeschränkt ausführen) ausgeübt und natürlich auch in leichter bis starker Form geschlagen, gewürgt und gefesselt. „Das sind die Mainstream-Handlungen“, sagt Crapélle, die immer wieder betont, wie wichtig es sei, vorher zu wissen, wie weit man bei den Sexspielen gehen wolle. Dann hätte BDSM auch viel mit Nähe und Zärtlichkeit zu tun. So empfindet sie das.

Schmerz und Lust, das passt nach Meinung von Renn auch „gut“ zusammen. „Durch den Schmerz kann die Lust getriggert werden“, sagt sie. Das sexuelle Empfinden sei so intensiver. Ihrer Erfahrung nach würden übrigens – entgegen dem gängigen Vorurteil – mehr Frauen den devoten, also unterwürfigen, Part übernehmen. „Frauen übernehmen viele Aufgaben gleichzeitig. Vielleicht empfinden sie es als Erleichterung, sich auch einmal ganz fallen zu lassen.“

Auch die Annahme, dass viele erfolgreiche Geschäftsmänner auf die Schläge von Dominas stehen würden, kann Crapélle nicht bestätigen: „BDMS wird von allen Gesellschaftsschichten gleich häufig praktiziert.“ Nur eines hat sie bemerkt: Die Zahl der Leute, die BDSM ausprobieren, hätte in den vergangenen Jahren ziemlich zugenommen. Was wohl einerseits an Literatur wie „Shades of Grey“, andererseits am leichten Zugang durch das Internet liegt. Außerdem: „Ein bisschen Fetisch gehört heutzutage wohl einfach dazu.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2012)

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