Sadomaso: Die Lust an der Unterwerfung

Lust Unterwerfung
Lust Unterwerfung(c) Www.BilderBox.com
  • Drucken

Seit Autorin James mit ihrem Erstlingswerk über Sadomaso-Abenteuer die Bestsellerlisten stürmte, wird "Shades of Grey" in allen Schattierungen diskutiert: Literatur oder Schund?

Die Söhne von E. L. James aus Westlondon können einem Leid tun: Teenager finden ihre Eltern schon unter normalen Umständen recht peinlich. Aber wie groß muss die Pein sein, wenn die Mutter – wenn auch unter Pseudonym – über Sex schreibt? Und dadurch schlagartig weltberühmt wird. Neulich, verriet die Bestsellerautorin während einer Signierstunde, neulich wurde ihr Sohn von einer Klassenkameradin gebeten, den ersten Teil ihrer „Shades of Grey“-Triologie signieren zu lassen. Man kann sich die Gesichtsfarbe des 15-Jährigen dabei unschwer vorstellen.

Seit James (49) mit ihrem Erstlingswerk über die Sadomaso-Abenteuer der naiven Studentin Anastasia Steele mit dem reichen Geschäftsmann Christian Grey die Bestsellerlisten zuerst in den USA und dann in Großbritannien stürmte (der erste Teil wurde seit April weltweit über 20 Millionen Mal gekauft; schon vor Erscheinen der Übersetzung stand es auch im deutschsprachigen Amazon auf Platz eins), wird „Shades of Grey“ in allen Schattierungen diskutiert: Literatur oder Schund? Befreiend oder frauenfeindlich? Und vor allem: Warum wollen das so viele Frauen lesen?

Kritiker und Fans sind sich weitgehend einig: Am literarischen Wert des „Mummy Porn“, wie diese neue Gattung erotischer Literatur für Frauen verächtlich getauft wurde, liegt es nicht. „Guardian“-Kritikerin Sarah Crown etwa gab die Lektüre nach zwei Dritteln des ersten Bandes entnervt auf: Das Buch sei so schlecht geschrieben, dass das Gehirn rebelliere – und so erotisch „wie nasse Wolle“. Der Satiriker Craig Brown beschwerte sich in der „Daily Mail“, dass dem Leser Porno versprochen, aber der erste Kuss erst auf Seite 78 und Sex überhaupt erst auf Seite 117 geliefert werde.



Gefährlich. Auch auf seine sexual- und gesellschaftspolitische Botschaft wurde die eher schlichte Saga um Anastasias Intimbegegnungen mit Peitsche, Handschellen und Faustverkehr in zahllosen Artikeln und Talkshows untersucht – wobei James es erstaunlicherweise schaffte, Feministinnen wie Konservative und SM-Verteidiger gleichermaßen zu verstören: Die „Independent“-Kolumnistin Yasmin Alibhai-Brown etwa empörte sich darüber, dass Grey die Lippen seiner Angebeteten nicht küssen, sondern beißen will – „sehr gefährlich“ sei diese Botschaft von Gewalt und Dominanz.

Die Sexualtherapeutin Pamela Stephenson Connolly beschwerte sich im „Guardian“ dagegen, dass das Werk Sadomasochisten stigmatisiere – weil es ihre Gepflogenheiten etwa im Umgang mit Kabelbindern nicht realistisch schildere und zudem unterstelle, dass solche Neigungen Ausdruck einer tiefen psychischen Störung seien (Greys Dominanzfantasien werden mit einem frühkindlichen Missbrauchstrauma erklärt). Dabei sei SM doch nur eine weitere Spielart menschlicher Sexualität. In Teilen der USA sieht man das anders: In Wisconsin und Georgia wurde die Trilogie wegen ihres pornografischen Inhalts aus den öffentlichen Bibliotheken verbannt, in Florida ein entsprechendes Verbot erst nach öffentlicher Empörung über Zensur wieder aufgehoben.

Den Erfolg von „Shades of Grey“ schmälern die erregten Debatten freilich nicht, im Gegenteil. Die Filmrechte gingen schon im März für fünf Millionen Dollar nach Hollywood, als Produzenten wurden vergangene Woche die Oscar-Preisträger Michael De Luca und Dana Brunetti verpflichtet, und die Spekulationen über die Besetzung der Hauptrolle (Scarlett Johansson? Angelina Jolie?) laufen auf Hochtouren.

Eine bemerkenswerte Karriere für eine gelangweilte TV-Produzentin und Mutter: Sie habe schon von Kindheit an davon geträumt, Geschichten zu schreiben, in die Leser sich verlieben könnten, aber diese Träume für Familie und Beruf zurückgestellt, heißt es auf James Website. Dann bekam sie 2008 von ihrem Mann, dem Drehbuchautor Niall Leonhard, die „Bis(s)...“-Romane von Stephenie Meyers geschenkt, verschlang sie in vier Tagen – und fing an zu schreiben: zunächst auf „Fan Fiction“-Seiten im Internet, dann auf der australischen Plattform „Writer's Coffee Shop“.

Ihr Buch sei „meine Midlife-Crisis, großgeschrieben!“, so James in einem raren Fernsehinterview. „Alle meine Fantasien sind da drin.“ Außerdem recherchierte sie gründlich: Um herauszufinden, ob Sex auf dem Rücksitz eines A8 überhaupt möglich ist, verließ sie sich nicht auf das „Nein!“ eines Händlers, sondern setzte sich selbst rein und entschied „Ja!“. Außerdem habe sich ihr Gatte dankenswerterweise sehr kooperativ gezeigt: „Mein Mann rollt immer noch mit den Augen und sagt: ,Gott, was müssen wir jetzt wieder tun?‘“

Erste Liebe. Dass Frauen jeden Alters das Ergebnis dieser Recherchen schätzten, erzählt mit merkwürdig ältlich wirkender Stimme der belastend pseudointellektuellen Ich-Erzählerin (welche 20-Jährige sagt ständig „Oh my!“ und spekuliert über den Zustand ihrer „Medulla Oblongata“?), erklärt sich James so: „Es ist eine Fantasie über die erste Liebe. Und wenn man wie ich 400 Jahre verheiratet ist, dann ist es schön, noch einmal die erste Liebe zu erleben – und das kann man mit einem Buch. Und es ist so eine Fantasie: Die lässt einen das Geschirr und die Wäsche vergessen.“

Außerdem half wohl der ungewöhnliche Verbreitungsweg des Buches: Mangels eines traditionellen Verlags veröffentlichte James zunächst über die Eigenverlagsoption bei Kindle, dem elektronischen Buchverlag von Internethändler Amazon – und wurde zum meistverkauften E-Buch aller Zeiten. Ohne professionelle PR- und Marketingmaschine, aber auch ohne verräterisches Coverbild – so musste frau sich in der U-Bahn oder im Bus nicht für die Lektüre schämen.

Porno ist cool. Mittlerweile aber, mutmaßte Viking-Verlagsdirektorin Venetia Butterfield kürzlich in der „Sunday Times“, mache der pornografische Inhalt das Buch erst so attraktiv: „Modernen Frauen ist es peinlich, wenn sie Schmalzromane lesen, aber der Porno macht es cool und akzeptabel... auch wenn es eigentlich eine gute alte Romanze ist.“

Warum auch immer: James hat offenbar den „G-Spot“ der heutigen „Mummy-Generation“ gefunden – und damit angeblich sogar eine kleine sexuelle Revolution entfesselt. Die britische Sexshopkette „Ann Summers“ will ihren Umsatz sprunghaft gesteigert haben – allein der Vertrieb der im Roman detailliert beschriebenen „Lustkugeln“ habe sich seither mehr als verdoppelt.

James schreibt unterdessen an ihrem vierten Roman, will sich von ihren Tantiemen eine neue Küche leisten – und hofft derweil, dass ihre Söhne ihre Bücher niemals lesen. „Sie würden sich schämen! Ich würde mich schämen! Es wäre einfach zu peinlich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.