Renaissance des Teilens: Nutzen als neues Besitzen

Renaissance Teilens Nutzen neues
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Das durch Wirtschaftskrise und Digitaltechnologien wieder populäre Sharing von Waren hat nichts mit der christlichen Tugend des Teilens zu tun. Es ist bloß die bequeme Alternative zum Privateigentum.

Es ist eine der ersten Tugenden, die Kindern im Kindergartenalter beigebracht wird: das Teilen. Wer ein guter Mensch ist, teilt seine Jause, die Schokotorte zum Geburtstag und die Lego-Sammlung mit Geschwistern oder Freunden. Sagen der Papa und die Kindergartentante. Doch Kinder wollen nicht immer gut sein, es braucht daher viel Überzeugungsarbeit und Geduld, bis das Hergeben selbstverständlich wird.

Doch aus Kindern werden irgendwann Erwachsene und das Teilen, auf Englisch „Sharing“ genannt, macht für viele von ihnen plötzlich richtig Sinn oder sogar Spaß. Allerdings: Mit der christlichen Tugend des Teilens ohne Gegenleistung, die Kindern gern mit der Legende vom heiligen Martin, der seinen Mantel mit dem Bettler teilt, beigebracht wird, hat das nicht mehr viel zu tun. Aus dem Grundsatz „Ich teile etwas mit dir“ wird „Wir teilen uns etwas, was uns nicht gehört.“ Es geht nicht mehr um das brüderliche Teilen, sondern um den gemeinschaftlichen Konsum einer Sache.

Schuld an der neuen Lust am Teilen sind vielleicht die Fahrräder. Vor gut zehn Jahren waren sie plötzlich in fast allen Großstädten zu finden: mehr oder weniger klapprige Zweiräder, die man gegen eine geringe Gebühr für kurze Strecken ausborgen konnte. Dann kamen die Autos dazu – und nun wird geteilt, was geht: die eigene Herberge (via Couchsurfing), das Büro (Co-Working-Spaces), die Musik (Streaming-Dienste wie Spotify) oder das selbst gekochte Essen (Guerilla Bakery, Private Dining). Freilich (fast) immer gegen Bezahlung. (So fließt etwa beim Couchsurfing kein Geld zwischen Gastgeber und Gast, dennoch entsteht ein Vertragsverhältnis, das auf gegenseitigem Vertrauen beruht.) Das „Time Magazine“ bezeichnet die sogenannte „Collaborative Consumption“ als eine von zehn Ideen, die die Welt verändern werden – als effektive Maßnahme, um Ressourcen und Umwelt zu schonen.


Rentrepreneur statt Entrepreneur.
Wie so oft sind es die Amerikaner, die dem Rest der Welt bei der „Sharing Economy“ um eine Nasenlänge voraus sind. Viele Teil-Modelle haben ihren Ursprung in den USA. So bietet etwa das in San Francisco angesiedelte Unternehmen Airbnb auf seiner Webseite Privatunterkünfte zum Mieten und Vermieten an. Unternehmen wie Zipcar haben sogar im mehr als auto-freundlichen Staat Amerika die Liebe zum Carsharing entflammt.

Begeistert von der beginnenden „New Economy of Reuse“ stürzte sich der Autor Rob Baedeker 2011 in einen Selbstversuch. In einem Essay im Magazin „Newsweek“ schilderte der selbsternannte „Rentrepreneur“ sein Experiment: Er vermietete seinen Wohnwagen um 45 US-Dollar die Nacht, seine Gitarre um 25 Dollar für ein halbes Monat und sogar seine Hündin Clementine um drei Dollar pro Stunde. In zwei Wochen erwirtschaftete er auf diese Weise 654 Dollar. Was zeigt, worum es bei der „Collaborative Consumption“ vor allem geht: ums Geldverdienen.

Das wird gern übersehen, wenn es um die Ursprünge der jüngeren Kultur des „Re-using“ geht. Manche Experten glauben, dass die 2011 entstandene Occupy-Bewegung in den Vereinigten Staaten dem Teilen zur neuen Blüte verhalf. Eine Gruppe von Kapitalismus- und Establishment-kritischen Menschen knüpfe hier an die Ideen von Kommunarden und Hippies der späten Sechzigerjahre an.

Tatsächlich ist die Idee der gemeinschaftlichen Nutzung einer Sache alles andere als neu. Wohngemeinschaften, Bibliotheken, Mehrwegflaschen, landwirtschaftliche Genossenschaften – alle diese Modelle beruhen auf der Vorstellung, Ressourcen gemeinsam zu nutzen, um Kosten zu sparen und die Umwelt zu schützen. Eine breite Kultur von „Nutzen statt Besitzen“ (Motto der Ökologiebewegung in den 1970er-Jahren) wurde aber durch die Umständlichkeit des Leihens und Tauschens erschwert. Deshalb setzten sich lange Zeit nur solche Modelle durch, die an örtlich fixe Einrichtungen gebunden waren: Videotheken, Skiverleih und Waschsalons. Durch das Internet und soziale Netzwerke als Vermittlungsinstanz sowie die Smartphones, die unsere Mobilität erhöhen, haben sich die Rahmenbedingungen nun vereinfacht.
Benutzen statt Besitzen. Dabei hat die heutige Idee des gemeinsamen Nutzens einer Sache nicht mehr viel mit den Modellen der Ökologiebewegung oder des Marxismus (alle besitzen etwas zu gleichen Teilen) zu tun. Vielmehr bilden die Sharing-Plattformen ein neues Geschäftsmodell, das genauso nach den Regeln des Kapitalismus funktioniert. Der Unterschied: Der Kunde zahlt nicht mehr für das Besitzen einer Sache, sondern für das Benützen. Bei Musik, Filmen oder E-Books bekommt der Kunde nicht einmal mehr das Nutzungsrecht an einer physischen Sache, sondern nur das Zugriffsrecht auf eine Zahlenkombination. Für den Philosophen Konrad Paul Liessmann ist es amüsant, „dass diese neuen Modelle des entwickelten Kapitalismus ideologisch betrachtet aus dem Arsenal der Kapitalismuskritik stammen“. Das heißt, einstige marxistische oder sozialistische Denkmodelle wurden vom Kapitalismus übernommen und für eine kommerzielle Nutzung adaptiert.

Nicht nur erfindungsreiche Start-up-Unternehmen, die sinnvolle bis skurrile Ideen für den gestressten Großstädter erdenken, verhelfen den Sharing-Modellen zu so viel Erfolg. Auch die Wirtschaftskrise und die zunehmende Mobiliät der Menschen tragen dazu bei. Was nützt mir ein Auto in der einen Stadt, wenn ich die Hälfte des Jahres in einer anderen lebe? Wozu soll ich eine Plattensammlung im Wohnzimmer anlegen, wenn ich meine Musik vor allem unterwegs, auf Reisen oder auf dem Laufband im Fitnesscenter hören will?

Daher warnt Konrad Paul Liessmann davor, Menschen, die Gegenstände lieber nutzen und nicht besitzen wollen, automatisch als „bessere Menschen“ zu bezeichnen.


Verwöhnt und gelangweilt. Was die teilwilligen Großstädter eher sind: verwöhnt. Die Generation der Zwanzig- bis Vierzigjährigen ist in materiellem Überfluss aufgewachsen. An Spielzeug, tollen Urlauben und Sportgeräten hat es nie gefehlt. Statussymbole ihrer Elterngeneration – der teure Mercedes S-Klasse, die edle Platten- oder Whiskeysammlung – sind nicht mehr erstrebenswert, weil die ohnehin immer greifbar waren. „Statussymbole verschieben sich auch aufgrund beschleunigter Zyklen der digitalen Gesellschaft“, sagt Zukunftsforscher Andreas Reiter. „Junge Leute wollen zwar das neueste iPhone, aber kein Auto besitzen. Auch, weil sie wissen, dass ein Auto im Durchschnitt nur eine halbe Stunde am Tag genutzt wird.“

Der Konsum wird also nicht verweigert, er verändert sich nur. Bekannte Spielarten des Kapitalismus sind langweilig, neue Nutzungsformen versprechen Abwechslung und Spaß. Der neue Status ist der Zugang, nicht das Eigentum.

Ein weiteres Motiv für die Freude am Teilen: Die Generation der Digital Natives kennt das Teilen aus dem Internet. Wer YouTube-Videos und die Fotos vom letzten Urlaub mit anderen teilt, der teilt klarerweise auch Platten und Filme oder sein eigenes Sofa. 1000 Likes auf Facebook sind da plötzlich erstrebenswerter als das Moped, mit dem man vor der Schule vorfährt.


Besser mehr als wenig. „Wenn ich Urlaub in London mache, kann ich wie ein gewöhnlicher Tourist in ein Hotel einchecken, oder ich übernachte bei einem Einheimischen, der mir lokale Informationen zugänglich und mich sozusagen zum Insider macht“, sagt Andreas Reiter. Eine Motivation, die elitär und egalitär zugleich sei: elitär, weil der Zugang ein gewisses Wissen voraussetzt. Egalitär, weil durch die moderne Technologie Transparenz garantiert werden. Im besten Fall führt die Reise zu einem Erlebnis, das man wieder mit den Freunden auf Facebook teilen kann. Die Qualität von Waren oder Leistung – sei es der Klang der Musik, die Sauberkeit des Sofas beim Citytrip in Helsinki – tritt dabei in den Hintergrund. Besser billiger reisen, aber mit Erfahrungen, die mir keiner wegnimmt. Besser das neueste Modell des Snowboards fahren als das eigene, das schon bald wieder veraltet ist. Müsste man ein Mantra der Generation Sharing formulieren, es könnte lauten: Lieber mehr als wenig und am besten sofort!


Sorglos nutzen. Wer in Wohlstand aufwächst, wird auch bequem. Das wissen die Erfinder von Sharing-Plattformen. Der vielleicht wichtigste Vorteil einer Sache, die ich nur nutze, nicht besitze: Ich muss mich nicht darum kümmern. Reifen wechseln, Vignette kaufen, Versicherung zahlen, Garage mieten, Garten gießen oder Platten abstauben – all das macht jemand anders. Die Carsharing-Plattform Car2go belohnt ihre Kunden sogar, wenn sie bereit sind, ein bisschen etwas von ihrer Bequemlichkeit abzugeben: Wer das ausgeborgte Auto wieder volltankt, bekommt 15 Fahrminuten geschenkt. Noch ein Vorteil: Was ich nicht besitze, kann mir keiner wegnehmen.

Philosophen haben bestimmt eine Freude mit dieser neuen Spielart des Konsums. Fragen nach dem Haben und dem Sein waren immer schon große Themen der Philosophie. Arthur Schopenhauer etwa schrieb in seinen „Aphorismen zur Lebensweisheit“, dass unser Lebensglück nur durch das entsteht, was wir sind, nicht durch das, was wir haben. Jüngst erschienen einige Bücher zum Thema: „Wir sind, was wir haben“ (Annette Schäfer, DVA), „Über das Haben“ (Harald Weinreich, C.H. Beck).


Noch kein Massenphänomen. Ein Wertewandel hat zwar im Kleinen begonnen, doch noch ist klar: Österreich hat in der Ökonomie des Teilens noch großen Aufholbedarf gegenüber Städten wie Berlin und London. Vor allem beim Crowdsourcing und Crowdfunding, meint Zukunftsforscher Andreas Reiter. Beim Crowdsourcing wird die Intelligenz der Masse genutzt. Große Firmen gründen Innovationsplattformen, auf denen die Bevölkerung (gegen Prämien) Ideen einbringen kann. Beim Crowdfunding können Projekte oder Start-ups Sponsoren suchen.

Freilich werden selbst in Berlin und London all diese Dienste derzeit nicht von der Masse, sondern von einer kleinen, gut gebildeten Konsumelite in Anspruch genommen. Und auch in Österreich nutzen erst 45.000 Menschen Car-sharing. „Von einer allgemeinen Entwicklung können wir nicht sprechen“, sagt Philosoph Liessmann. „Noch nicht“, meint Forscher Reiter. Er ist sich sicher, dass die Freunde des Teilens rasch immer mehr werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2013)

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