Kunstwandern: Schritt für Schritt

Die Kunst ist dabei, eine der ältesten Fortbewegungsarten wiederzuentdecken: Das Gehen.

Es ist einer dieser besonders schönen Herbsttage, als sich vor dem Bad Kleinkirchner Hallenbad rund 200 Menschen zum "Kunst-Wandern" einfinden. "Public Art Walk mit Hamish Fulton" heißt die Veranstaltung zum Start des "nock/art-Festivals". Obwohl sie nur für eine Stunde anberaumt ist, sind die Teilnehmer gut ausgerüstet. Viele tragen Wanderschuhe, einige auch Hightech-Funktionskleidung. Man kann ja nie wissen . . . Um 10.15 Uhr tritt der Künstler vor die Menge und erklärt den Ablauf: In sechzig Minuten soll eine 300 Meter lange Strecke zurückgelegt werden. Nicht mehr, nichts sonst. Die Menge wird in zwei Gruppen geteilt und soll sich von zwei unabhängigen Punkten in einer regelmäßigen Einerreihe gegenläufig aufeinander zubewegen, um anschließend den Ausgangspunkt der jeweils anderen Gruppe anzusteuern.
Die erstaunte Reaktion der Teilnehmer über die Kürze der Strecke, die langsame Gehgeschwindigkeit, ist dem britischen Künstler nicht fremd. "Sie fragen sich vielleicht", fährt er fort, "warum soll man das tun? Wann habe ich so etwas das letzte Mal gemacht? Nun, es gibt kein letztes Mal. Es geht darum, dass Sie es noch nie getan haben und dass dieses Mal das erste Mal sein wird. Es geht um die Erfahrung. Vielleicht fragen Sie sich auch: Ist das Kunst? Nun, ich bin Geh-Künstler, das ist die Art von Kunst, die mich interessiert. Wir gehen und bauen auf diese Weise gemeinsam eine Erfahrung, kein Objekt. Das Kunstwerk, das entsteht, besteht aus Menschen."

Mehr als Land-Art. Für Hamish Fulton (Jahrgang 1946), eine der Schlüsselfiguren der internationalen Konzeptkunst, ist Gehen seit langem ein zentraler Bestandteil seiner Kunst. Natur und die Bewegung in ihr spielt da eine zentrale Rolle. Die Verbindung mit der Land-Art, die ihre hauptsächliche Ausprägung im skulpturalen Objekt findet, greift aber zu kurz. So meditativ und ästhetisch Fultons Aktionen auch erscheinen: Bei ihm geht es stets auch um die Mitwirkung und Teilhabe der Teilnehmer   manchmal auch um eine politische Geste, etwa beim "Slowalk (In support of Ai Weiwei)" für die Freiheit der Kunst. Mit seinen Walks rührt Fulton an einen Nerv der Zeit, der sich im aktuellen Kunstgeschehen widerspiegelt. Zwar ist das Gehen vor allem seit der wechselseitigen Durchdringung der bildenden und performativen Künste in den 1970ern zum eigenen künstlerischen Formelement geworden. Man denke etwa an die Aktionen des Rumänen Andr  Cadere (1934 78), der mit einem bemalten Stock durch die Straßen und Galerien von Paris wanderte, so dass seine Kunst gar keine Ausstellungen brauchte. Oder an die dreimonatige Performance "Great Wall Walk" von Marina Abramovi & Ulay, mit der das Künstlerpaar 1988 seine private Trennung besiegelte. Auch die Arbeiten von Janet Cardiff & Georges Bures Miller zählen dazu, z. B. ihr "Video Walk" auf der documenta 2012, bei dem sie das Publikum mit iPod und Kopfhörern auf eine Wanderung durch Raum und Zeit schickten.

Inspiriert von abgeschiedenen Gebieten. Eine eigene Renaissance erlebt das Gehen in der jüngeren Generation. Zumal die heimische Szene zeigt hier stark auf. Michael Höpfner etwa (Jahrgang 1968) entwickelt seine Kunst aus meist mehrmonatigen Wanderungen durch oft unbekannte, abgeschiedene Gebiete. Das Gehen sei für ihn "ein Werkzeug, um die Umwelt auf sehr direktem Weg zu erfassen". "Künstlerische Arbeit in der Landschaft, die Verbindung von Umwelt und menschlichen Aktivitiäten, ökologische und sozio-politische Realitäten   das verhandelt die Kunst seit den 1990ern", beschreibt er diese "Environmental Art". "Begriffe wie Land-Art, Arte Povera passen da nicht mehr."

Vorlage für die bis zu sechsstündigen Geh-Performances des Salzburger Shooting-Stars Peter Fritzenwallner sind Demonstrationen, die er radikal ihres politischen Sinns entleert. "Das Gehen im Kollektiv ist für mich eine institutionelle Praxis. Durch die Entleerung des Mediums bekommt es einen absurden Beigeschmack." Ausgehend von urbanistischen, künstlerischen oder literarischen Inhalten werden Sinnlosigkeit, Ortlosigkeit und Nutzlosigkeit zu Triggern, um Stimmungen zu produzieren.
Wahrnehmung ist die zentrale Kategorie für die Stadtperformances von Oliver Hangl, für die er die Teilnehmer mit Kopfhörern ausstattet, um mit ihnen anschließend durch die Straßen zu ziehen, oft bis zu fünf Stunden lang. "Die Realität", sagt er, "ist mein künstlerisches Aktionsfeld   ein Setting, das ich nicht kontrollieren kann und in dem oft unvorhergesehene Dinge passieren. Die Kopfhörer eröffnen da einen ganz eigenen Wahrnehmungsraum. Je länger es dauert, um so mehr bist du in dir. Das ist wie ein Trip."

Das Gehen als Möglichkeit der Rezeption ist auch Ausgangspunkt der kuratorischen Praxis des Ausstellungsmachers und Kritikers Vitus H. Weh. Es bildet die Grundlage für die Themen-Passagen im Museumsquartier: "Wie in den alten Gemäldegalerien geht es mir um eine Wahrnehmung im Gehen, radikal gesprochen im Vorbei-Gehen: Man taucht ein in eine Vorstellungswelt, geht hinein und wieder heraus. Diese spezielle Erfahrung, wo man sich wichtiger nimmt als das Bild, ist weitgehend verloren gegangen. Die Themen-Passagen zu Literatur, Klang, Street-Art, Comics etc. sind ein Angebot, um das Gehen und Rezipieren im Gehen wieder mehr zu betonen."

INFO

Die Themenpassagen im MQ: TONSPUR passage, KABINETT comic passage, STREET ART PASSAGE WIEN, Typopassage Wien, Meteoritenpassage, LITERATURpassage. www.mq.at

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