Mode im Museum: Olivier Saillard

(c) Olivier AMSELLEM
  • Drucken

Ohne Eile, dafür mit viel Fachwissen: Olivier Saillard eröffnete unlängst mit einer großen Alaïa-Retrospektive das renovierte Musée Galliera in Paris.

Zu einer echten Modewelthauptstadt gehört natürlich auch ein zweckgewidmetes, anspruchsvoll bespieltes Museum – darüber kann kein Zweifel herrschen. In Paris ist das das Musée Galliera, unweit des Pont de l’Alma, des Trocadéro und der luxuriösen Avenue Montaigne. Über vier Jahre lang war es geschlossen, und als Olivier Saillard, der charismatische Direktor des Hauses, seine Funktion übernahm, musste er bereits ein Programm für externe Museumsspielstätten konzipieren. Im September öffnete das Musée Galliera wieder seine Pforten, und die erste Ausstellung ist dem von Connaisseurs geschätzten, einem breiten Publikum aber weniger bekannten Couturier Azzedine Alaïa gewidmet. Dem „Schaufenster“ erklärt Saillard, warum er diese Wahl traf, und er gibt Einblick in seine Arbeit als weithin geschätzter Modeausstellungsmacher.

Azzedine Alaïa ist ein großartiger Modemacher, allerdings nicht gerade jemand mit Superstarqualitäten. Warum Alaïa als Gegenstand der ersten Schau nach Wiedereröffnung des Hauses?
Mir war wichtig, diese erste Ausstellung jemandem zu widmen, der wie kein anderer die Welt der Haute Couture inkarniert. Alaïa agiert autonom und hat immer konsequent seine Linie verfolgt. Er versteht sich auf das Handwerk der Mode und auf den Entwurfsprozess und gehört zu jener kleinen Riege von Couturiers, die, wie etwa Cristóbal Balenciaga oder Madame Grès, von der Auswahl des Stoffes bis zur Endfertigung alle Etappen beherrschen. Da er in Tunis ein Bildhauereistudium absolviert hat, versteht er sich auch darauf, ein Kleidungsstück am Körper zu modellieren. Alaïa ist einer der letzten wirklich großen Couturiers unserer Zeit. Ich empfand es fast als Versäumnis, dass es bislang noch keine große Alaïa-Retrospektive in Paris gegeben hatte, und wollte mit dieser Ausstellung auch ein Statement setzen, das auf außerordentliche Talente abzielt.

Seit 2009 war das Museum für Umbauten geschlossen, jetzt hat Paris sein Modemuseum wieder: Entspricht das in der Welthauptstadt der Mode einer legitimen Erwartung des Publikums?
Natürlich ist es schön, dass das Musée Galliera jetzt wieder geöffnet ist. Aber es hat auch in der Zwischenzeit kein Vakuum gegeben. Zum einen hatten wir unser eigenes Ausstellungsprogramm, „hors les murs“, außerhalb der Museumsmauern. Und zum anderen zeigt etwa das Musée des Arts Décoratifs regelmäßig Modeausstellungen. Was die Erwartungen des Publikums betrifft, kann ich natürlich nicht für alle sprechen. Aber ich kann bestätigen, dass alle unsere Ausstellungen und Veranstaltungen außerordentlich gut aufgenommen werden. Eine Haute-Couture-Ausstellung im Pariser Rathaus war zuletzt ein echter Publikumsmagnet, und die Mode ist in Paris mit Sicherheit ein Thema, das von der Öffentlichkeit sehr gut aufgenommen wird. Das Thema Mode gefällt den Menschen. Das mag auch damit zu tun haben, dass die Mode sehr viel zugänglicher ist als beispielsweise Konzeptkunst oder sehr abstrakte Gegenwartskunst. Im Fall des Palais Galliera gibt es gegenwärtig natürlich auch großes Interesse an dem wiedereröffneten Gebäude selbst, das ja aus dem 19. Jahrhundert stammt und in seinem Originalzustand belassen wurde.

Es ist bemerkenswert, wie sich mit der Wiedereröffnung des Musée Galliera dieser Fleck im 16. Arrondissement nun darstellt: Gegenüber ist das Musée d’art moderne de la ville de Paris, außerdem das soeben vergrößerte Palais de Tokyo – hier tun sich doch bestimmt mögliche Synergien auf?
Absolut. Vor 15 Jahren, als es das Palais de Tokyo noch nicht gab, war hier alles anders, durch die Eröffnung dieses Museums mit seiner sehr spezifischen Ausstellungsgestaltung und punktuellen Überlappungen mit der Mode wurde ein anderes Publikum angezogen. Es gibt hier heute also ein sehr schönes Angebot für jemanden, der in diesem Eck von Paris einen Museumsnachmittag oder vielleicht einen ganzen Tag am Wochenende verbringen möchte.

Besteht Potenzial für künftige Zusammenarbeit mit den benachbarten Museen?
Natürlich gibt es das, wir befinden uns auch im Gespräch mit den anderen Museen und erarbeiten Konzepte, die eine Anbindung an die anderen Häuser vorsehen. Im Rahmen der Alaïa-Ausstellung war es zum Beispiel möglich, die frei zugängliche Salle Matisse des Musée d’art moderne de la ville de Paris auf der anderen Straßenseite mit einigen Modellen zu bespielen. Vergleichbares ist auch für die Zukunft geplant.

Welchen Rhythmus planen Sie für neue Ausstellungen in Ihrem Haus?
Wir werden zwei bis drei Ausstellungen pro Jahr zeigen. Ich möchte außerdem jene Reihe von Modeperformances fortsetzen, die wir im Vorjahr im Palais de Tokyo mit Tilda Swinton begonnen haben. Auch eine Kooperation mit dem Pariser Festival d’automne ist angedacht, und Ausstellungen „hors les murs“ wird es ebenfalls weiterhin geben.

Haben Sie das eben erwähnte Format der Mode-Performances konzipiert, weil Sie eine Alternative zu dem gezwungenermaßen sehr statischen Ausstellungsmodus von Kleidungsstücken, zum Beispiel auf Puppen oder in Vitrinen, finden wollten?
Nun ja, mir geht es bei dieser performativen Art der Präsentation nicht in erster Linie um eine Alternative zu der statischen Präsentation, denn eigentlich schätze ich die Stillleben ähnlichen Arrangements sogar. Bei den Performances geht es darum, eine eigene Sprache und neue expressive Wege auszuloten. Wichtig ist mir da in jedem Fall auch ein Unterschied zu den Defilees, die ja ohnehin immer Mode in Bewegung zeigen. Im Grunde möchte ich einen Mittelweg zwischen dem Museums-Modestillleben und der Dynamik der Laufstegshow finden, um die Aufmerksamkeit auf andere Aspekte zu lenken und andere Wertigkeiten aufzuzeigen, etwa hinsichtlich der Verarbeitungsweise. Aber es stimmt schon: Die Präsentation von Kleidungsstücken im Museumskontext ist für Ausstellungsmacher immer eine besondere Herausforderung.

Ein Mittelweg zwischen dem Stillleben und der reinen Performance, wäre das nicht ein Tableau vivant?
Etwas in dieser Art, ja. Oder eben, was Tilda Swinton letztes Jahr gemacht hat: Sie trug die Kleidungsstücke vor sich her, ohne sie anzuziehen, und präsentierte sie losgelöst von und doch nahe am Körper den Zuschauern. Es ging also um das Tragen von Kleidern, aber nicht im gewohnten Wortsinn, beziehungsweise ist der Körper zwar ein Dispositiv für die Zurschaustellung von Kleidungsstücken, die ihn aber nicht umhüllen.

Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass Modehäuser, die zum Gegenstand großer monothematischer Retrospektiven werden, dadurch unweigerlich an symbolischem Wert gewinnen, und wie positionieren Sie ihr Museum in diesem Zusammenhang – auch gegenüber potenziellen Sponsoren?
Glücklicherweise verfügt das Musée Galliera über ein Budget, das es uns erlaubt, weitgehend unabhängig zu agieren. Wir verweigern uns aus Prinzip einem Modus, bei dem Marken zugleich als Hauptsponsoren von Ausstellungen auftreten, die ihnen gewidmet sind. Und selbst wenn wir das Haus mit einer Retrospektive eröffnet haben, wird es etwas Vergleichbares frühestens in zwei Jahren wieder geben. Ich plane, den Schwerpunkt weitgehend auf thematische Ausstellungen zu legen. Das steht in Zusammenhang mit der Rolle eines Modemuseums, wie ich und die meisten meiner Kollegen sie verstehen: Unsere Aufgabe ist es, der Mode außerhalb des saisonalen Geschehens Ernsthaftigkeit zu verleihen. Das Schöne an einer Modeausstellung, ist ja, dass sie vielen Menschen zum ersten Mal die Gelegenheit gibt oder geben sollte, herausragend schön verarbeitete Kleider, zum Teil sogar Couture-Roben, aus nächster Nähe zu betrachten. Dieses Erlebnis sollte deutlich von jeder Auto-Promotion abgegrenzt sein.

Hat die Mode als omnipräsentes popkulturelles Phänomen sich selbst, also das eigentliche Kleidungsstück, über weite Strecken hinter sich gelassen?
Ja, das könnte man so sagen. Darum meine ich auch, dass man sich nicht darin täuschen sollte, was die Mehrzahl der Menschen sehen will, wenn sie eine Modeausstellung besuchen: Kleider, Kleidungsstücke. Trotz der massiven Präsenz von Mode in unserer Gesellschaft gibt es außerdem erstaunlich wenig echtes Wissen darüber, was zum Beispiel in der Gegenwartskunst ganz anders ist, wo ein interessiertes Publikum zumeist auch viel einschlägiges Vorwissen mitbringt.

Folgt ein Museum einem anderen Zeitbegriff als andere Instanzen des Modesystems?
Natürlich, in einem Museum muss ein anderer Rhythmus vorherrschen als bei der kommerziellen Präsentation von Mode, bei der sich die Defilees überschlagen. Eine ähnliche Überproduktion ist auch in anderen Sparten kultureller Produktion zu beobachten, die Filme, die Kunstmessen, die Theaterfestivals erleben eine ähnliche Hochkonjunktur wie die Fashion Weeks. Ein Museum, egal welchem Gegenstand es gewidmet ist, muss sich aus diesem schnellen Betrieb herausnehmen. Vor Kurzem habe ich einige Stücke aus einer Balenciaga-Kollektion von Nicolas Ghesquière aus dem Jahr 2008 angesehen: 2008, das klingt ganz nah, aber im Zeitmaß der Mode ist das fast eine Ewigkeit her. Und da kann es auch die Aufgabe eines Museums sein, dem Publikum zu zeigen: Erinnert euch an diese herausragende Kollektion. Und ich bitte natürlich die Besucher auch, sich mehr Zeit für die Kontemplation auf diese Modelle zu nehmen, als sie es bei einer Modeschau oder dem Besuch eines Geschäfts üblicherweise tun.

Wenn Sie aus Ihrer etwas entrückten Perspektive das aktuelle Modegeschehen und die Defilees der Designer betrachten, sehen Sie dann einen ebenso großen Fortschritt der Mode in puncto echter Kreativität wie in der Vergangenheit? Oder führen das Überangebot und der gesteigerte Rhythmus dazu, dass wahre Originalität auf der Strecke bleibt?
Man könnte aufgrund des ständig wachsenden Angebotes tatsächlich den Eindruck haben, dass die Kreativität im Sinn Ihrer Beschreibung zurückgeht. Meiner Meinung nach gibt es aber heute wie in der Vergangenheit in jedem Jahrzehnt eine immer ungefähr konstante Anzahl von einigen wenigen Designern, deren Arbeit wirklich originell ist, die also zu einem Fortschritt des Modeschaffens beitragen. Es mag schwieriger sein als in der Vergangenheit, inmitten des Dunstes von so vielen Positionen auf die wahrhaft Kreativen
aufmerksam zu werden, aber es gibt sie. Ich gebe aber zu, dass ich mich selbst schon hin und wieder getäuscht habe, dass ich also eine Kollektion für ein gutes Modeprodukt gehalten habe, die aber in Wahrheit nur eine gelungene Kommunikationsoffensive einer bestimmten Marke war. Das gibt es natürlich auch. Hier muss sehr achtsam vorgehen, wer das eigentliche Modeschaffen auf höchstem Niveau verstärkt valorisieren will. Auf der Suche nach echter Originalität muss man sich übrigens nicht immer nur unter sehr jungen, nachrückenden Talenten umsehen, sondern vieles Beachtliche kommt weiterhin von bereits sehr etablierten Designern, die auf eine lange Karriere zurückblicken können – wie eben Azzedine Alaïa.

Tipp

Azzedine Alaïa. Die Ausstellung ist noch bis 26. Jänner zu sehen, palaisgalliera.paris.fr

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.