Gaia Trussardi: Feiner Familiensinn

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Ein Gespräch mit Gaia Trussardi über den Status Quo der italienischen Mode, Casting-Shows und den großen Nutzen ihres Soziologie-Studiums.

Der Name Trussardi steht wie wenige andere für Modestil und Lebensart aus Italien. In den Siebzigerjahren brachte Nicola Trussardi das von seinem Großvater gegründete, auf Handschuherzeugung spezialisierte Unternehmen auf Vordermann und wandelte es in ein Luxus-Powerhouse um. Die Expansion in den Achtzigerjahren war ein Paradebeispiel für die Entwicklung der italienischen Modeszene jener Zeit. Heute leiten seine Kinder Beatrice, Tommaso und Gaia das Unternehmen, letztere fungiert seit eineinhalb Jahren als Kreativdirektorin aller Kollektionen. Dem „Schaufenster“ hat sie anvertraut, wie sehr sie ihren Vater für seinen Weitblick bewundert, warum Talentförderung zur Firmen-DNA gehört und dass sie alles andere als ein Social-Media-Native ist. 

Sie gehören der vierten Trussardi-Generation seit der Firmengründung an, aber erst der zweiten seit der Neuausrichtung, die auf Ihren Vater zurückgeht. Wie ist das für Sie: zwei oder vier?
Tatsächlich fühlt es sich für mich nicht nach der vierten Generation an, weil das, wofür Trussardi heute steht, zur Gänze auf das Engagement meines Vaters, Nicola Trussardi, zurückgeht. Die Brand Trussardi, wie man sie heute kennt, ist sein Werk; er hat eine Handschuhfabrik übernommen und zum Lifestyle-Powerhouse gemacht. Die große Expansion hat in den Achtzigerjahren stattgefunden, und meine Eltern haben gearbeitet wie verrückt, aber sie waren auch sehr nah an der Marke und den Kollektionen, weil damals das Modebusiness noch viel direkter war.

Die Entwicklung von Trussardi als Lifestylemarke ist also parallel zu der Erfolgsstory der italienischen Mode verlaufen . . .
Absolut. Und ich bewundere meinen Vater dafür, den Weitblick gehabt zu haben, diese Entwicklung zu erahnen. Das umfassende Lifestyle-Konzept, das ihm vorschwebte, existierte damals noch kaum, und Trussardi war darauf ausgelegt, in andere Spielarten der Lebensart auszustrahlen.

Hat Sie all das so fasziniert, dass Sie von klein auf Designerin werden wollten?
Überhaupt nicht. Zum Ersten, weil das ja einfach der Alltag meiner Eltern und ihrer Firma war. Außerdem war ich nicht besonders zielgerichtet, wenn Sie so wollen. Ich war als Kind ein bisschen mehr „nelle nuvole“, wie man so schön sagt, in den Wolken.

Der Weg in die Mode ist dann auch wirklich über Umwege verlaufen. Sie haben auch lange im Ausland gelebt?
Ja, ich habe in London studiert – nicht Design, sondern Soziologie. Nach Studienende bin ich in England geblieben, habe ein bisschen Musik gemacht. Später war ich in Los Angeles, wo ich für einen Fotografen gearbeitet habe.

London gilt als die Modestadt mit den meisten jungen Talenten, in Paris zeigen viele internationale junge Marken, von Mailand heißt es, es gebe Nachwuchsschwierigkeiten. Wie sehen Sie das?
Es stimmt, dass die Situation in Italien schwierig ist, aber man muss auch das große Ganze sehen. Die Branche verändert sich, sich mit neuen Konzepten durchzusetzen, ist sehr schwierig. Die Verücktheit der Runway-Mode ist etwas anderes als das, was in den Laden kommt. Am meisten Spielraum gibt es noch in der Art, wie man seine Vision von Mode kommuniziert – ob als Defilee, als alternative Präsentation.

Ich finde es interessant, dass Sie Soziologie studiert haben, weil sich Prozesse gesellschaftlichen Wandels auch in der Mode manifestieren.
Wie sehr die Soziologie in einem Job wie dem meinen behilflich sein kann, ist für einen Außenstehenden kaum abschätzbar. Sie setzt sich auseinander mit den Menschen, ihrer Kultur, der Geschichte, der Politik, der Wirtschaft und ihren Auswirkungen auf das Leben des Einzelnen und seines Konsumverhaltens. Dieselben Zusammenhänge sind jetzt für meine Arbeit relevant.

Wie denken Sie darüber, dass in der Mode, wenn man global operieren will, ein Produkt gefragt ist, das in Ihrem Fall zwar „Made in Italy“ ist, zugleich aber den Erwartungen von Kunden in ganz unterschiedlichen Gesellschaften gefallen soll?
Das ist unweigerlich die Herausforderung, der wir Modeunternehmer uns heute stellen. Doch funktioniert das Ganze zum Teil flexibel, und die Verantwortlichen für verschiedene Märkte sagen, was etwa für China oder für Russland besonders gebraucht wird, und darauf nehmen wir dann bei der Kollektionserstellung Rücksicht.

Der Aspekt des „Made in Italy“ ist interessanterweise auch bei den Düften von Trussardi relevant: Diese werden in einer in Lodi bei Mailand ansässigen Firma produziert und vermarktet. Die Zusammenarbeit geht auf Ihren Vater zurück?
Ja, mein Vater und unser Partner Roberto Martone haben sich stets gut verstanden. Es gibt also eine sehr persönliche Ebene. Wir arbeiten gerne so, von Familienunternehmen zu Familienunternehmen – die Kommunikation fällt leichter, wenn man sich mit einer vergleichbaren Ausgangslage begegnet.

Es gibt von Trussardi aber nicht nur Parfums, sondern die Marke ist auch in anderen Bereichen aktiv, bis hin zur Gastronomie.
Es gehört zu unserer Firmen-DNA, in unterschiedlichen Welten präsent zu sein – und dabei setzen wir oft auf Pioniergeist, tun unser Bestes, neue, junge Talente ausfindig zu machen. Wir holen uns keine großen Namen, sondern wir erarbeiten lieber gemeinsam mit jemandem ein stimmiges Konzept. Das war bei Luigi Taglienti so, dem Chef unseres Restaurants Trussardi Alla Scala in Mailand, und auch bei Massimiliano Gioni. Als meine Schwester Beatrice ihn mit 27 Jahren als Kurator der Fondazione Trussardi engagierte, war er weitgehend unbekannt; heute gehört er zu den bekanntesten Namen der internationalen Kunstszene.
Auch der Gewinner der ersten italienischen Staffel der Designer-Castingshow „Project Runway" ist derzeit Teil Ihres Teams. Ihr Bruder Tommaso war Juror bei der Fernsehsendung?
Das stimmt, seit Juni arbeitet Marco Taranto bei uns – wir werden sehen, wie das funktioniert. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich dem Bild, das in solchen TV-Formaten transportiert wird, besonders hinsichtlich der Arbeit eines Designers, skeptisch gegenüberstehe. Heikel wird es dann, wenn ein junger Mensch sich von diesem Bild beeinflussen lässt, wenn er diesen Beruf anstrebt.

Andererseits gehört auch so etwas heute zur zeitgemäßen Markenkommunikation und zur Art, wie Menschen und Firmen sich präsentieren und funktionieren wollen: die Casting-Mentalität, das Self-Broadcasting mit Selfies und Blogs...
Wahrscheinlich. Aber offen gestanden, ich selbst halte mich da zurück. Dieses dauernde Abfotografieren mit Smartphones zum Beispiel, das ist überhaupt nichts für mich. Es entspricht einfach nicht meiner Mentalität. Auch meine Mitarbeiter aus der PR-Abteilung sagen immer: Du solltest auf Instagram sein und auf Twitter, aber es interessiert mich einfach nicht. Ich habe es zwar probiert, es gibt Profile von mir auf Twitter und auf Instagram, aber ich habe nie einen Tweet abgeschickt oder ein Foto gepostet – weil es mir fernliegt. Lustigerweise habe ich aber trotzdem schon ein paar Follower, wer weiß, warum. Aber vielleicht macht es ja eines Tages bei mir klick, und ich kippe doch noch auf den Social-Media-Spirit hinein.

Der Autor reiste auf Einladung von Industrie Cosmetiche Riunite nach Mailand.

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