Werkstatt im Hausboot, Jacuzzi im Kran

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NETHERLANDS GOOGLE(c) APA/EPA/REMKO DE WAAL (REMKO DE WAAL)
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Amsterdam Noord. Auf einem ehemaligen Werftgelände wohnt, werkt und genießt heute die kreative Szene das Leben.

Pausenlos rollen Radfahrer auf die Fähre. Nicht zehn, nicht zwanzig, mehr als hundert müssen es sein. Mopeds, Fußgänger, Radler, 240 Passagiere passen rein. Alle fünf Minuten schippert eine Fähre vom Bahnhof Centraal über das IJ, den alten Meeresarm, der die Altstadt von Amsterdam Noord trennt, Richtung Buiksloterweg nach Norden. Vier Fähren sind 24 Stunden im Einsatz. Das alles kostet keinen Cent.
Der Autoverkehr fließt durch drei Tunnel, an einer Metrolinie wird seit Längerem gebaut, sie verschlingt immer mehr Geld, ähnlich wie der Flughafen BER in Berlin. Die Stadt jedoch musste den Noorderlingen den Berufsverkehr ermöglichen, inzwischen leben 80.000 Menschen in Amsterdam Noord.
Nach dem Bau des Nordseekanals 1876 entwickelte sich in dem vormals dörflichen Viertel rasant die Schiffs- und Chemieindustrie. Arbeiter wurden gebraucht, hinter den Fabriken wurden die Tuindorps errichtet, Gartenstädte mit einstöckigen Reihenhäuschen. Jede Familie sollte ein eigenes Bad haben. Die Gewerkschaften organisierten sich hier, die Sozialarbeiter und auch Parteien am linken und rechten Rand. Doch als Holland sich nach der Werftenkrise nur noch einen Schiffsbaustandort leisten konnte, war das Rotterdam. In Noord gab es Massenentlassungen. Geblieben sind neben Industrieruinen auch manche Sozialwohnungen.

Kulturoase Shell-Hochhaus

Doch jetzt ziehen Yuppies, Künstler und Fremde nach Noord, hier ist viel Platz, auch für Ideen. Steigt man im Buiksloterweg aus der Fähre, baut sich links das riesige, weiße Ufo auf, der Neubau des Filmmuseums Eye aus dem Jahr 2012. Der Entwurf stammt von dem Wiener Architekturbüro Delugan Meissl. Neben Ausstellungen laufen hier täglich zwölf Filme jenseits des Mainstreams. Nebenan ragt das ehemalige Shell-Hochhaus empor. Hier soll eine Kulturoase entstehen, vor allem für die Dance- und House-Szene, natürlich mit einer Skybar.
Für Radfahrer gibt es viel Grün, viel Platz. Naturliebhaber können immer am Wasser entlang bis ins Waterland weiterfahren, vielleicht sogar nach Monnikendam, ein zauberhaftes Städtchen. Doch wir bleiben auf dem Buiksloterweg, passieren die Cafés De Pont und Tolhuistuin, und kommen schließlich zum Distelhafen. Hier hat Ende Juni De Ceuvel eröffnet, Amsterdams jüngstes und spannendstes Sanierungsprojekt. Staunend stehen wir vor schönen, alten Hausbooten, die durch Holzstege verbunden sind. Pflanzen begrünen das Areal, Ruderbootteile dienen als Bänke. Das Amsterdamer Architekturbüro Space & Matter lieferte den Entwurf. Nach der Werftenpleite stand das Gelände zehn Jahre leer. Der Boden war verseucht, die Stadt schrieb einen Wettbewerb für eine Revitalisierung aus. Nachhaltigkeit war gefragt, Raum für Künstler und zukunftsweisende Projekte. Für De Ceuvel holte sich das Architekturbüro die Entwickler von Metabolic mit an Bord – Bioingenieure, Klimaforscher, Spezialisten in Sachen erneuerbare Energien. Auch andere planten mit: Theater- und Filmleute, Öko-Food-Erzeuger, Designer, Sozialwissenschaftler. De Ceuvel ist ein Gemeinschaftsprojekt, in dem jeder mitgestaltet, fast wie eine kleine Zukunftsstadt. 15 Hausboote und ein Café stehen auf dem Gelände. „Als die Leute in der Zeitung lasen, was wir planten, konnten wir uns vor Booten gar nicht retten“, sagt Sascha Glasl, ein deutscher Architekt und Mitarbeiter von Space & Matter. „Heute gibt es strenge Auflagen für das Wohnen im Hausboot, viele wollen ihre alten Kähne daher loswerden.“ Sascha unterrichtet an der Hochschule in Aachen, leitet aber auch Workshops in Boot B in De Ceuvel. Die Renaturierung des Geländes sei äußerst komplex. „Wir benutzen Senfpflanzen zur biologischen Reinigung des Bodens, die brauchen dreißig bis vierzig Jahre zur Komplettreinigung“, sagt Chris Monaghan von Metabolic. Die Abwässer werden in unterirdischen Tanks mit Biofiltern gereinigt, Strom wird durch Fotovoltaik erzeugt. Für zehn Jahre hat die Stadt das Gelände kostenlos zur Verfügung gestellt. „Dann bauen sie hier wahrscheinlich Eigentumswohnungen, wie schon gegenüber“, sagt Sascha.
Inzwischen macht ein Elektroboot am Ufer fest, es bringt Bier für das Café Ceuvel. „Natürlich ist das nicht von einer Industriebrauerei, sondern von einer kleinen Manufaktur“, erklärt Betreiber Toon Maasen. Obwohl er erst 22 ist, wusste er genau, wo er mit seinem Café hinwollte. Urgemütlich, offen und relaxt ist es hier. Man sitzt am Wasser, trinkt ein Gläschen, kann tanzen.
Vorbei am Amsterdam City Camping, einem Stellplatz für Wohnmobile, der vor allem auch wegen des schönen Wasserblicks und der kurzen Fährverbindung direkt ins Zentrum geschätzt wird, geht es weiter zur NDSM Werft, die mit ihren Working Spaces fast schon ein Klassiker ist. Auf dem 18 Hektar großen Gelände entsteht vor allem Kunst. In den Fünfzigerjahren war das Nederlandsche Dok en Scheepsbouw Maatschappijdas (NDSM) das größte Schiffsunternehmen Europas, 1978 meldete es Konkurs an. Zwanzig Jahre später entdeckten Theaterleute das Areal und veranstalteten hier das erste „Over het IJ“-Festival. Überall wurden Gebäude „gekraakt“ – besetzt wurden auch alte Straßenbahnen, Boote, Werkschuppen. Ein rostiges russisches U-Boot fand auch noch Platz im Hafen. Mehr als 250 Künstler zog es auf das Areal, überall Graffitis, Malereien, Kunstobjekte. Schließlich schrieb die Stadt einen Ideenwettbewerb aus und spendierte eine Zehn-Millionen-Euro-Förderung. Inzwischen arbeiten hier vorwiegend etablierte Künstler, Theaterleute und Handwerker, auch die Restaurants Noorderlicht und IJ-Kantine sind gut eingeführt. Im April eröffnete das coole Vier-Sterne-Hotel Brooklyn, ein sehr gepflegtes Haus mit schönem Ambiente und 88 Zimmern mit tollem Ausblick auf das IJ und die Umgebung. Parken ist kein Problem, mit der Fähre geht es alle 15 Minuten kostenlos in die Stadt.

Drei Suiten, ein TV-Studio

Die originellste Revitalisierung erfuhr der Kran 13 der alten Werft, für viele hier das Wahrzeichen von NDSM. In ihn hatte sich auch Edwin Kornmann Rudi verliebt. Der Unternehmer kaufte den Kran für einen symbolischen Euro und machte daraus für drei Millionen Euro aus seinem Pruivaytvermögen das Faralda NDSM Kraan Hotel. „Wir haben den Kran letzten Sommer innnerhalb von vier Tagen komplett auseinandergenommen“, sagt er. Mehr als dreißig Firmen arbeiteten an dem Umbau. Im Oktober 2013 kam der Kran zurück auf seinen alten Standort. Drei exklusive Hotelsuiten beherbergt er nun, alle mit Badewanne und sehr fantasievoll ausgestattet. Natürlich ist so etwas nicht ganz billig. Inklusive Champagnerfrühstück kostet eine Suite ab 485 Euro pro Nacht.
„In fünfzig Metern Höhe haben wir einen Jacuzzi mit einem 360-Grad-Blick eingebaut“, lacht Edwin Kornmann Rudi. Da sich so ein Stahlriese weiter drehen muss, um standhaft zu bleiben, gab es jede Menge Auflagen. „Als wir ihn wieder aufgebaut haben, hatten wir teilweise Windstärke elf, aber so ein Unternehmen kannst du dann nicht einfach abbrechen“, sagt er. Auf Plattform eins ist ein Fernsehstudio installiert, manchmal werden hier Talkrunden für das Fernsehen aufgezeichnet. Die nächste Liftfahrt bringt uns auf eine offene runde Terrasse mit Blick über das ganze NDSM-Gelände. „Hier wird sich noch viel mehr verändern“, sagt Edwin Kornmann Rudi und zeigt uns weitere Projekte.

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