Ägypten: Die Großbaustelle in der Wüste

EGYPT SUEZ CANAL
EGYPT SUEZ CANAL(c) EPA (Khaled El-Fiqi)
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Kairo baut den Suezkanal aus, damit der Verkehr zwischen Mittelmeer und Rotem Meer verdoppelt werden kann. Präsident al-Sisi sieht das Projekt als Symbol des nationalen Stolzes.

Kairo. Die Baustelle ist noch frisch – und sieht somit auch ein wenig hoffnungslos aus. Dutzende Bulldozer graben sich durch die Wüste. Laster fahren die Sandrampen hinauf, um den weggegrabenen Sand wieder irgendwo abzuladen. Am Horizont ist nichts anderes als Wüste und Sand zu sehen.

Fast 150 Jahre nach Eröffnung des Suezkanals soll hier erneut Geschichte geschrieben werden: Seit August wird an einer zweiten parallelen Fahrrinne gebaut, die sich ein paar hundert Meter westlich vom bestehenden Kanal befindet. Die Idee, die hinter dem Projekt steckt, ist einfach. Bisher kann der Suezkanal nur alternierend in einer Richtung befahren werden. Der Gegenverkehr muss warten. Das führt zu langen Wartezeiten von bis zu elf Stunden an den Einfahrten des Kanals.

(c) Die Presse

Wenn die zweite Fahrrinne fertiggestellt ist, soll diese eine gleichzeitige Nutzung des Kanals in beiden Richtungen möglich machen. Die Wartezeiten würden damit auf drei Stunden reduziert. Die Einnahmen aus dem Kanal sollen damit von 5,3 Milliarden Dollar im Vorjahr auf 13,5 Milliarden erhöht werden, verkündet die Suezkanal-Behörde. Statt wie derzeit 49 Schiffe pro Tag sollen bis zum Jahr 2020 bis zu 97 Schiffe täglich die Schnittstelle zwischen Asien und Afrika passieren können. Die Kosten für das Projekt werden auf vier bis acht Milliarden Dollar geschätzt.

Moderne Gigantomanie

Alles um die Baustelle ist gigantomanisch: 35 Kilometer Kanal müssen in den Sand gegraben werden, auf weiteren 37 Kilometern müssen bestehende parallele Wasserwege verbreitert und vertieft werden. Das Ziel ist, eine Million Kubikmeter Sand am Tag zu verschieben. Dazu sind 4500 schwere Fahrzeuge im Einsatz: Bulldozer, Bagger und Lkw. Fast 50 Firmen arbeiten auf der Baustelle unter der Aufsicht des ägyptischen Militärs.

Für dessen ehemaligen Chef und heutigen Staatspräsidenten, Abdel Fattah al-Sisi, ist das Projekt so etwas wie seine eigene persönliche Pyramide. Es wird als ein großes nationales Projekt angepriesen, mit dem das ägyptische Selbstbewusstsein gestärkt werden soll – so wie vor 50 Jahren, als der damalige ägyptische Präsident, Abdel Nasser, den Assuan-Staudamm hat bauen lassen. Ägyptens Zentralbank hat eigens Investmentzertifikate mit einer Verzinsung von zwölf Prozent aufgelegt, höher als alle anderen Sparmöglichkeiten in ägyptischen Banken. In nur zwei Wochen waren die Zertifikate ausverkauft und 8,5 Milliarden Dollar eingesammelt. Die Zinsen sollen mit den gegenwärtigen Einnahmen des Kanals finanziert werden.

Und al-Sisi hat es eilig. Die Ingenieure des Militärs und der Suezkanal-Behörde hatten ursprünglich eine Bauzeit von drei Jahren veranschlagt. Der Präsident überraschte sie dann auf einer Pressekonferenz mit der Ankündigung, alles müsse in einem Jahr fertig sein. Den Generälen blieb nur noch, etwas verunsichert vor den Augen der Journalisten zu salutieren, während die Chefingenieure der Suez-Behörde freundlich nickten. Und weil das Ganze mehr als nur eine Baustelle ist und dazu dient, die Effektivität und Leistungsfähigkeit der Präsidentschaft al-Sisis unter Beweis zu stellen, mischen sich unter die Baufahrzeuge die Besucherbusse, mit denen Menschen aus dem ganzen Land herbeigekarrt werden.

An diesem Tag haben Ägyptens Berufsverbände eine Kanalbaustellen-Visite organisiert. Hunderte Menschen stehen am Rand der Grube, halten eine ägyptische Fahne hoch und schießen Erinnerungsfotos. „Das ist ein Traum für die Ägypter, an den sie die Hoffnung für ihre Zukunft knüpfen“, sagt Abdel Nasser Saber, ein Reiseleiter aus Assuan im Süden.

Keine Machbarkeitsstudien

Zurück in Kairo hat der Politökonom Amr Adly von der Carnegie-Stiftung einen etwas distanzierteren Blick. Das Projekt habe echtes Potenzial, beginnt er, aber ein Problem sei die Informationspolitik der Regierung und der Militärs. Es gebe keine öffentlich zugänglichen Machbarkeitsstudien. Mit dem Argument, es handle sich um ein Projekt, das die nationale Sicherheit betrifft, bleiben diese Studien unter Verschluss, erklärt er. Außer ein paar Zahlen, die die Suezkanal-Behörde und al-Sisi in Pressekonferenzen und Reden in den Raum geworfen haben, gibt es auch keine ernsthaften Kalkulationen über Kosten oder Einnahmen. „Es gibt zu wenig Transparenz und zu wenig echte Informationen, um das Projekt von außen wirklich bewerten zu können“, fasst der Politökonom Adly in einem Gespräch mit der „Presse“ zusammen.

Erinnerung an Nasser-Projekte

Der Kanalbau sei eine Wiederauflage der nationalen Projekte aus der Nasser-Zeit und den 1960er-Jahren. Die Regierung wolle zeigen, dass sie etwas im großen Stil unternimmt. „Sie wollen einfach die Legitimität des Staates erneut etablieren, die nach der Revolution gegen Mubarak verloren gegangen ist“, lautet Adlys Fazit.

So mischen sich in den nationalen Enthusiasmus die ersten kritischen Stimmen, wenn auch nur leise. Denn mit der Baustelle am Suezkanal versucht sich nicht nur der Präsident ein Denkmal zu bauen. Dort werden auch die Hoffnungen vieler Ägypter aus dem Sand gehoben, dass es endlich wieder aufwärts geht.

HINTERGRUND

Durch den Bau der zweiten Fahrrinne des Suezkanals sollen – laut Regierung – die Einnahmen von 5,3 Milliarden Dollar (im Vorjahr) auf 13,5 Milliarden erhöht werden. Statt wie derzeit 49 Schiffe pro Tag sollen bis 2020 bis zu 97Schiffe täglich die Schnittstelle zwischen Asien und Afrika passieren können. Die Kosten für das Projekt werden auf vier bis acht Milliarden Dollar geschätzt. Machbarkeitsstudien und genaue Berechnungen des wirtschaftlichen Nutzens gibt es allerdings keine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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