Haute Couture: Alles ist möglich

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Die Haute Couture wurde schon oft totgesagt. Dass sie mehr als lebendig ist, zeigten die wenigen zugelassenen Couturiers in Paris. Höchste Zeit, Antworten auf zehn längst fällige Fragen zu finden.

1. Haute Couture, was ist das überhaupt?
Die „gehobene Schneiderei“, wie sie wörtlich übersetzt heißt, ist die Königsklasse der Mode. Die daraus resultierenden Kleider sind Unikate, in denen meist über 100 Arbeitsstunden stecken und die der späteren Trägerin auf den Leib geschneidert werden. Zum Teil handgefertigt, zeigen sie auf sehr eindrucksvolle Weise die Kunst der Mode.

2. Wer bestimmt die Regeln?

„Haute Couture“ ist in Frankreich ein gesetzlich geschützter Begriff, der vom Chambre de commerce et d’industrie de Paris (der Wirtschafts-kammer) definiert wird. Damit ein Modemacher sich Couturier nennen darf, muss er der Kammer angehören (Chambre syndicale de la haute couture) und folgende Kriterien erfüllen: Erzeugung von Unikaten mit persönlichem Fitting, ein Atelier in Paris mit mindestens 20 Angestellten, zwei Kollektionen jährlich à 35 Modelle. Ähnliche Organisationen existieren in Italien und den USA.

3. Welche Designer erfüllen diese Aufnahmekriterien?
Nach dem 2. Weltkrieg gab es rund 60 Couture-Häuser, heute sind es gerade mal elf Vollmitglieder. Unter ihnen: Chanel, Dior, Christian Lacroix, Givenchy, Adeline André, Ann Valerie Hash, Dominique Sirop, Emanuel Ungaro, Jean-Paul Gaultier, Franck Sorbier und Maurizio Galante. Armani, Elie Saab, Valentino und Maison Martin Margiela werden als „Korrespondierende Mitglieder“ akzeptiert, weil sie nicht alle Bedingungen erfüllen können. Um den Nachwuchs nicht ganz zu vergraulen, lädt man seit kurzem rund 15 sogenannte „Guest Members“ ein. Unter ihnen Cathy Pill und Felipe Oliviera Baptista.

4. Was soll der ganze Zirkus?
Federn, Pailletten, Volumen, Überschwang, seltsame Regeln. Die Haute Couture lebt Protz und Prunk nicht hinter verschlossenen Türen aus. Hier dürfen sich Designer frei von kommerziellen Gedanken ihren Fantasien hingeben. Oder wie John Galliano für Dior ausgiebig in der Vergangenheitskiste kramen.

5. Welchen Nutzen haben Modehäuser von Haute Couture?
Vordergründig sehr wenig. Hier geht es nicht um Verkaufszahlen. Verschlingt eine Kollektion doch zwei bis drei Millionen Euro, in Chanel-Dimensionen gesprochen. Ein höchst defizitäres Geschäft also. Aber imagemäßig eine Bombe. Gehen doch die Bilder von den Kleiderträumen um die ganze Welt. Proportional dazu steigt der Verkauf von Accessoires, Prêt-à-porter-Mode, Parfums und anderen Lizenzprodukten.

6. Für wen ist Haute Couture dann interessant?
In die Kategorie Extrem-Luxus fallend, ist sie lediglich für einen kleinen Kreis von 200 bis 300 Damen weltweit zugänglich. Damen, die rund eine Million Euro Shoppingbudget haben und insgesamt laut französischer Wirtschaftskammer jährlich 50 Millionen für Haute Couture ausgeben. Zusätzlich werden die exklusiven Roben für besondere Anlässe an Prominente verliehen, was die Publizität eines Modehauses enorm steigert.

7. Wurde die Haute Couture nicht bereits für tot erklärt?
Ja, aber Totgesagte leben länger. Denn seit einigen Jahren sind es nicht mehr nur die amerikanischen Eliten und Ölprinzessinnen, die sich von fünfstelligen Beträgen keineswegs abschrecken lassen, sondern immer mehr neue Kundinnen aus Russland, Indien und China. Die hohe Schneiderkunst erlebt gerade eine regelrechte Renaissance. Couture-Häuser wie Chanel, Lacroix oder Givenchy verzeichnen Zuwächse von bis zu 40 Prozent.

8. Hat Haute Couture eine kulturelle Funktion?
Ja. Den Erhalt und die Weitergabe von altem europäischen Handwerkswissen. Von Dingen, die mit Sicherheit nicht in dieser Qualität in Industriebetrieben produziert werden können. Sei es die händische Erzeugung von Posamenten, Ornamenten, Stickereien, Kunstblumen oder aber von Maßschuhen und Hüten. Ohne dieses Wissen hätte die heutige Haute Couture keine Überlebenschance. Um diesen Spitzenhandwerkern ihrerseits das Überleben zu sichern, hat das Haus Chanel 2002 die Tochtergesellschaft Paraffection (Wertschätzung) gegründet und bisher sieben Meisterbetriebe aufgekauft. So befinden sich zum Beispiel Maison Desrues für Ornamente, Maison Lemarié für Federn und Kamelien, die berühmte Kunststickerei Lesage, Schuhmacher Massaro und Maison Michel für Hüte unter Chanels Obhut.

9. Hat Haute Couture etwas mit zeitgenössischer Mode zu tun?
Nein. Früher war sie Nährboden und Ideengeber für Modebewegungen. Diese Zeiten sind lange vorbei.

10. Wie war’s früher?
Haute Couture ist eine zutiefst französische Angelegenheit. Obwohl der Engländer Charles Frederick Worth als Vater der Haute Couture gilt, seit er 1857 in Paris das erste Modehaus gegründet hat. Bald folgten seinem Vorbild große Couturiers wie Jean Patou, Paul Poiret, Elsa Schiaparelli, Madame Vionnet und Coco Chanel. Das goldene Zeitalter der Haute Couture begann aber erst 1947 mit Diors New Look. Zu dieser Zeit gab es auch eine interessante High-Fashion-Bewegung aus England, bei der sich Hardy Amies besonders hervortat, die allerdings immer von den französischen Kollegen überschattet wurde. In den 1960ern geriet das System mit dem Aufkommen von Prêt-à-porter und der dazugehörigen Demokratisierung der Mode langsam ins Wanken. Und ist erst seit kurzem wieder auf dem modischen Vormarsch.

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