Fondation Louis Vuitton: Konkurrenz für den Eiffelturm

A general view shows the Fondation Louis Vuitton designed by architect Frank Gehry in the Bois de Boulogne, western Paris
A general view shows the Fondation Louis Vuitton designed by architect Frank Gehry in the Bois de Boulogne, western Paris(c) REUTERS (BENOIT TESSIER)
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Mit der Fondation Louis Vuitton schuf Frank Gehry ein neues Denkmal für Paris. Auch als Schauplatz für Gegenwartskunst hat die Institution Relevanz.

Zum Defilee einer wichtigen Marke zu eilen, das hat auch für Abgebrühte immer etwas Aufregendes. Und als vor wenigen Wochen Louis Vuitton zur Präsentation der Kollektion für das kommende Frühjahr lud, war die Spannung gleich noch ein bisschen größer. Die Gäste würden nämlich behaupten können, unter den Ersten gewesen zu sein, die in Bernard Arnaults neues Allerheiligstes vorgelassen wurden – das von Frank Gehry erbaute, im Jardin d’Acclimatation des Bois de Boulogne stehende, nein: thronende Gebäude, in dem die Fondation Louis Vuitton fortan beheimatet sein wird. 
Aber der Modebetrieb hat so seine Eigenheiten: Nicht das Bauwerk selbst, das schon von Weitem mit lautem metallischen Klopfen, so als ob ein zürnender Gigant zwei riesige Metallstäbe gegeneinanderschlagen würde, die Herbeieilenden lockte, wurde von den in großer Schar den Eingang umringenden Street-Style-Fotografen mit der gebührenden Aufmerksamkeit bedacht. Nein, die zur Show geladenen Berühmtheiten gerieten in das Blitzlichtgewitter. Auch der Spiegelsaal im Untergeschoß, eine aufwendige Lasershow und eine eigens für den Anlass geschaffene Videoinstallation waren nur Beiwerk eines mit an Perfektion grenzender Genauigkeit inszenierten Spektakels – wie alles, was LVMH-Boss Bernard Arnault in Auftrag gibt. An der Kunst aber, um die es in diesem Gebäude ja zuvorderst gehen wird, wurde das Modevolk vorbeigelotst; nur eine im Außenbereich angebrachte Installation von Ólafur Elíasson wäre zu sehen gewesen, hätte jemand darauf hingewiesen. Um Kunst ging es an jenem Tag jedoch noch nicht: Das Herz der Fondation hatte noch nicht zu schlagen begonnen. 

Der König von Paris. Nun ist es aber bald so weit: Am 24. Oktober wird mit einem Wochenende der offenen Türen die Fondation Louis Vuitton endgültig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Pariser haben einen neuen Kulturschauplatz, und Paris hat, das kann man wohl nicht anders sagen, nun auch ein neues Wahrzeichen. Überhaupt, Paris: Bei dem Pre-Opening, zu dem nur Pressevertreter zugelassen waren, betonte Jean-Paul Claverie, der künstlerische Berater Arnaults, wie sehr man sich der Stadt verpflichtet fühle und wie gut man zusammengearbeitet habe. Nun gut. Man musste für die Realisierung dieses Mammutvorhabens allerdings auch zueinanderfinden, denn das Grundstück, auf dem das Gebäude der Fondation steht, gehört der Municipalité. Der Nutzungsgesellschaft wurde es für 55 Jahre, und zwar ab 2007, zur Bespielung überlassen, danach geht das Museum in den Besitz der Stadt über. „Es handelt sich also um ein Geschenk von LVMH und insbesondere Bernard Arnault an Paris“, so Claverie. 

Beinahe größeres Augenmerk als der im Museum gezeigten Kunst galt bei der Eröffnung der Museumsarchitektur. Kein Wunder: Es handelt sich um ein Werk von Frank Gehry, einem der wichtigsten Architekten der Gegenwart, der die Formensprache seiner Disziplin in den letzten 50 Jahren entscheidend beeinflusste. „Frank Gehry est le roi de Paris“, sagt Claverie vollmundig – der König von Paris sei Gehry. Vergessen auch der etwas schwierige Kasus des American Center in Bercy, von Gehry Mitte der Achtzigerjahre geplant, das bald als unbenutzbar verrufen war und später zu einem Nebenschauplatz der Médiathèque française wurde. Mit dem Gebäude für Bernard Arnaults Fondation hat Gehry nun diese Episode vergessen gemacht und ein neues Monument für die französische Hauptstadt geschaffen, die in architektonischer Hinsicht nicht zu den lebendigsten Metropolen der Welt zählt. 

Gedächtnisübung. Doch die modulare, sich teilweise nach außen öffnende Struktur dieses Gebäudes setzt einen wichtigen Akzent. Sogar Probleme mit dem Denkmalamt konnten weitgehend umgangen werden: Frank Gehry ließ sich nämlich vom Genius Loci des Jardin d’Acclimatation inspirieren. „Ich dachte an all die Erinnerungen, die hier geborgen liegen, an alle, die, wie Marcel Proust, hier als Kinder gespielt haben.“ Eine der Inspirationen für das Museum sei ein Palmenhaus gewesen, das früher hier stand. Subtile Zitate findet der Besucher nun auf den zwei Dachterrassen, die die innere Gebäudestruktur, den sogenannten Eisberg, krönend abschließen.

Apropos krönender Abschluss. „Bei dem Guggenheim-Museum in Bilbao handelt es sich natürlich schon um eine formidable Arbeit von Gehry, dem Stadtplaner, und von Gehry, dem Architekten“, sagt Frédéric Migayrou. „Das Gebäude der Fondation Louis Vuitton aber ist meiner Meinung nach der Höhepunkt seines Schaffens – es handelt sich um sein Meisterwerk.“ Migayrous Wort gilt, denn er ist einer von Frankreichs anerkanntesten Architekturkennern und wurde auch eingeladen, einen Überblick der Entstehungsgeschichte dieses neuen Bauwerks zusammenzustellen. Zudem initiierte er eine Gehry-Retrospektive im Centre Pompidou im Stadtzentrum. „Die Bedeutung von Gehry rechtfertigt dies, und eine umfassende monografische Ausstellung war noch nie gezeigt worden.“

In Beaubourg ist neben vielen anderen Beispielen von Gehrys Baukunst auch ein Modell der Fondation ausgestellt – ein Amuse-Gueule, wenn man so will, das Lust darauf machen soll, in die Métro zu steigen und sich ein paar Stationen westwärts in den Bois de Boulogne zu begeben. Einmal mehr bleibt die Anbindung an den institutionalisierten Kulturbetrieb gewahrt – die Achse Fondation–Pompidou verdeutlicht dies.

Ein lebendiger Ort. Die Gehry-Retrospektive kontextualisiert die Fondation außerdem in Gehrys Gesamtwerk: Das modular angelegte, vielseitig nutzbare Gebäude ist charakteristisch für seine Arbeit, zugleich um vieles zugänglicher als frühere experimentelle Entwürfe. „Meine Gebäude sollen nicht statisch sein. Auch die Fondation wirkt irgendwie unfertig, und zwar mit Absicht“, sagt Gehry. „Vor Kurzem habe ich Daniel Buren getroffen, und er zeigte mir Entwürfe für die Fassade, wo die Glaspaneele mit Farbflächen beklebt werden. Das wäre dann kein Frank-Gehry-Bau mehr, sondern ein Daniel-Buren-Bau. Aber ich mag die Vorstellung, mir gefällt die Offenheit.“ Auf noch etwas freut sich der Pritzker-Preisträger: „Ich bin gespannt, wie Suzanne Pagé das Museum bespielen wird, welche Wege sie findet, mit Kunst auf die Architektur zu reagieren.“

Die erwähnte Dame, ehemalige Direktorin des Musée d’art moderne de la Ville de Paris und in der Kunstwelt keine Unbekannte, ist im Auftrag von Bernard Arnault für die Ausstellungsgestaltung zuständig. Schon die erste Hängung zeigt, wohin es gehen soll: Man wird Auftragsarbeiten von etablierten und emporstrebenden Künstlern zeigen, außerdem miteinander korrespondierende Höhepunkte aus der LVMH-Unternehmenssammlung und aus Bernard Arnaults Privatbesitz. Ergänzt wird dieses auf bildende Kunst fokussierende Programm von eigens konzipierten Veranstaltungsreihen: Auch Konzerte, Lesungen und Performances sollen unter dem von Gehry geplanten Dach, das eher eine umhüllende Membran ist, stattfinden. Noch im November kommt, und über eine Woche lang, die Band Kraftwerk für Liveauftritte in die Fondation.

Richter, Genzken, Boltanski. „Die Werke aus der Sammlung“, so Pagé, „sollen entlang vier thematischer Achsen zugänglich gemacht werden: Kontemplation, Pop-Art, Musik und Klang, Expressionismus.“ Die Hängung wird sich in der näheren Zukunft alle drei Monate ändern. Bei ihrer Eröffnung wartet die Fondation mit einer großzügigen Präsentation berühmter Namen auf: Ein ganzer Raum ist etwa Gerhard Richter gewidmet, im Foyer grüßt Isa Genzken, auch Thomas Schütte, Christian Boltanski und Elsworth Kelly sind vertreten. 

Um zu zeigen, dass Mäzenatentum und die Ermöglichung neuer Kunstwerke weiterhin wichtig sind, hat sich die Fondation auch an prominente Gegenwartskünstler gewendet, damit diese ortsspezifische Auftragsarbeiten produzieren: Bereits erwähnt wurde eine Installation von Ólafur Elíasson, der mit gelb leuchtenden Paneelen einen Arkadengang im Außenbereich bespielt. Auf einer der Dachterrassen steht ein Werk von Adrián Villar Rojas: „Where the Slaves Live“ ist eine organisch anmutende, skulpturale Arbeit – nahezu ein Fremdkörper in diesem neuen Kunstmuseum, das jedoch mit den biomorphen Linien von Gehrys Architektur korrespondiert. Schön ist auch eine performative Arbeit, die der junge Brite Oliver Beer auf Einladung der Fondation geschaffen hat – die „Composition for a New Museum“ ist eine Klang-Performance in einer der höher gelegenen, nach oben offenen Galerien der Fondation: Drei Sängerinnen des Cris-de-Paris-Ensembles stehen in Ecken des Raumes, ihre Rücken sind den Betrachtern zugewandt. Während der drei oder zehn Minuten langen Performance bauen sie miteinander einen Klangteppich auf, der von allen Seiten widerhallt und über die Öffnung des Raumes auf die Dachterrassen entschwebt. Auch dort ist Beers „Composition“ also zu hören – eine schöne atmosphärische Fortsetzung dessen, was im Inneren der Fondation passiert. Und außerdem ein ganz anderes Tönen als jenes,
das die Besucher der Modeschau im September zu Gehrys Flaggschiff-Konstruktion lockte: wärmer, menschlicher, organisch. Ob Bernard Arnault damit der Modewelt wohl etwas mitteilen möchte? 

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