Irak: "Christen haben keine Schutzmacht"

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Der Vormarsch der IS-Extremisten hat zehntausende Christen zu Flüchtlingen gemacht. Doch auch in der Hauptstadt Bagdad ist die Minderheit ein leichtes Opfer von Verbrecherbanden.

Wir brauchen dringend einen guten Samariter“, sagt der dominikanische Geistliche und seufzt. „Das Problem ist nur: Irgendjemand scheint den guten Samariter gekidnappt zu haben.“ Mit schwarzem Humor versucht der Geistliche, gegen die Hoffnungslosigkeit anzukämpfen, die ihn und seine Gemeinde umfängt. Seinen Namen möchte er lieber nicht in der Zeitung lesen, denn er ist an einem Ort tätig, der sehr gefährlich ist – für alle Bewohner, aber vor allem für Christen.

Der Dominikaner lebt in der irakischen Hauptstadt Bagdad, die fast zwölf Jahre nach dem Einmarsch der US-Truppen und dem Sturz von Diktator Saddam Hussein nach wie vor von Gewalt heimgesucht wird. Seit dem Abzug der US-Kampftruppen aus dem Irak Ende 2011 hat sich die Lage sogar erneut verschärft.

Entführung als Business

„Es gibt keine Sicherheit in Bagdad“, schildert der irakische Geistliche. „Wenn du in die Arbeit fährst, weißt du nicht, ob du dort heil ankommst oder entführt wirst.“ Es ist eine Mischung aus politischer Gewalt und reinem Verbrechertum, die diese Atmosphäre der Angst geschaffen hat. Kidnapping ist in Iraks Hauptstadt ein einträgliches Business geworden – für Mafiabanden, aber auch für extremistische Gruppen, die damit zugleich Geld verdienen und Gegner einschüchtern können.

Alle Iraker leiden unter dieser Gefahr. Aber Christen sind dabei ein besonders leichtes Opfer: Sie werden von Extremisten als Ungläubige angesehen, an denen man sich ohne moralische Bedenken vergehen könne. Und sie haben als Minderheit in einem Staat mit schwachen Sicherheitsstrukturen keine Schutzmacht. In den Jahren nach dem US-Einmarsch schlitterte der Irak in einen Bürgerkrieg zwischen bewaffneten schiitischen und sunnitischen Gruppen, der zuletzt wieder aufflammte. Zahlreiche sunnitische und schiitische Iraker wurden dabei ermordet. Und Minderheiten wie die Christen gerieten in dieser Auseinandersetzung zwischen alle Fronten.

Beschützt von den Stämmen

In Bagdad gibt es mittlerweile ganze Viertel, die entweder von Schiiten oder Sunniten samt ihrer jeweiligen Milizen kontrolliert und gesichert werden. „Die Menschen werden vor allem von ihren jeweiligen Stämmen verteidigt. Die Christen finden dabei aber keine Sicherheit. Sie haben keine Schutzmacht“, erklärt der Dominikaner.

„Wir sind sehr besorgt über die Lage der Christen in Bagdad und auch im übrigen Irak“, sagt Andrzej Halemba, Nahost-Experte der Organisation Kirche in Not. Vor 2003 hätten noch geschätzte 1,2 bis 1,5 Millionen Christen im Irak gelebt, berichtet er. „Jetzt sind es nur mehr etwa 250.000.“

IS steht vor den Toren Bagdads

Nun ist eine Bedrohung dazugekommen, die noch weit gefährlicher scheint als alles Bisherige: Die Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) haben große Teile Syriens und des Irak erobert. Ihr Vormarsch hat die Extremisten bis vor die Tore Bagdads geführt.

Die Stadt Mossul im Norden des Irak wurde bereits im Sommer von IS besetzt, etwas später auch vorwiegend von Christen bewohnte Städte wie Qaraqosh. Etwa 120.000 Christen mussten aus ihren bisherigen Siedlungsgebieten in der Ninive-Ebene im Nordirak fliehen. Die meisten fanden in der vorwiegend muslimischen Kurdenregion des Nordirak Zuflucht.

Es ist schon seit Jahren die Politik der Regierung der Kurdenregion, bedrohten Minderheiten Schutz anzubieten. Auch wenn kurdische Gegenoffensiven mittlerweile erfolgreich waren: Die Gefahr IS setzt auch die Kurdenregion unter enormen Druck.

„Die Christen wurden aus Mossul vertrieben, und die irakische Zentralregierung konnte sie nicht beschützen“, sagt Andrzej Halemba von Kirche in Not. „Die Menschen fühlen sich deshalb betrogen. Sie wollen nicht mehr im Irak bleiben.“ Halemba war erst vor Kurzem mit einer Delegation von Kirche in Not im Nordirak. Die Hilfsorganisation eröffnete dort zuletzt unter anderem neue Schulen für christliche Flüchtlingskinder. Zudem übernimmt sie die Miete von neuen Unterkünften für die Vertriebenen.

„Wir brauchen die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Es ist ihre Pflicht, uns zu helfen“, klagt der Dominikaner aus Bagdad, der anonym bleiben möchte. Was ist dabei das vordringlichste Problem? Der Geistliche überlegt nicht lange: „Zunächst muss die Bedrohung durch IS ausgeschaltet werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2014)

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