Schönborn: "Weihnachten war damals nicht gemütlich"

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Kardinal Christoph Schönborn sieht im starken evangeliumsgemäßen Impuls von Papst Franziskus eine Herausforderung selbst für Kardinäle und Bischöfe - und dieser Impuls provoziere auch Widerspruch und Ablehnung.

Die Presse:Weihnachten 2014: Mit welchen Gedanken gehen Sie in dieses Fest, angesichts der Vorgänge in Syrien und Umgebung, ertrinkender Flüchtlinge im Mittelmeer und des siebenten ökonomischen Krisenjahres, in das wir soeben gehen?
Kardinal Christoph Schönborn:

Als Jesus in Bethlehem geboren wurde, war die Zeit auch nicht besser: Wenn man sieht, wie viel Blut auf dem Weg zur Macht von Kaiser Augustus vergossen wurde, wie es dem jüdischen Volk unter der Besatzung gegangen ist, wie die Situation der Armen damals war. Ich denke heuer bewusst an das Weihnachten 1914, als die Illusion vorbei war, dass dieser Krieg, den man mutwillig vom Zaun gebrochen hat, ein ganz kurzer sein würde. Wenn ich an Syrien, den Irak und die Ukraine denke: Weihnachten war damals nicht gemütlich, und ist es für viele Menschen heute auch nicht, und trotzdem gibt es die Weihnachtsfreude. Es gibt die Freude auch in trostlosesten Momenten. Weihnachtsfreude und Notsituation schließen einander nicht aus. Das ist das Geheimnis von Weihnachten.

Sie erwähnen das Jahr 1914. Sehen Sie angesichts der Spannungen zwischen Russland und der EU Parallelen zur Gegenwart?

Die Geschichte wiederholt sich nie, aber es gibt Parallelen. Es ist besorgniserregend, dass sich Europa wieder in einer Konfrontationssituation mit Russland befindet. Es gibt viel Grund zur Sorge. Es sind jetzt sechs, sieben Jahre seit Beginn der großen Finanzkrise vergangen. Wenn wir sehen, wie der Realwert der Einkommen gesunken ist, dann muss das Grund zur Sorge sein. Das ist nicht das Ende eines Prozesses. Wir haben keine wirkliche Lösung für die Schuldenberge der Staaten in Sicht, die die Zukunft belasten werden.


Weihnachten ist nach christlicher Überzeugung das Fest der Menschwerdung Gottes. Wie ist ein derartiges Ereignis in einer relativ gründlich säkularisierten Welt zu vermitteln?

Zweifellos ist das Wissen um den Sinn von Weihnachten nur noch in Spurenelementen vorhanden. Ich bin aber nicht so pessimistisch. Die säkulare Welt ist nicht so religionslos, wie man früher gedacht hat. Das hat sich längst als Irrtum erwiesen. Es gibt sehr säkulare Gesellschaften wie die USA, die eine sehr hohe religiöse Praxis haben. Die positive Seite der säkularen Gesellschaft ist, dass sie einen großen Freiraum bietet, wenn Sie so wollen, einen Markt der Anschauungen, der Ideen. Da können sich die Glaubensüberzeugungen in gewisser Weise freier artikulieren als in einer Situation, in der die Kirche Staatskirche war, in der die kaiserliche Familie die Rückenstärkung war. Wobei ich persönlich trotzdem dem Haus Habsburg zutiefst dankbar bin, dass es durch Jahrhunderte diesen starken Akzent auf den Glauben gesetzt hat. Aber heute leben wir nicht mehr in dieser Zeit...

Sie sehnen sich auch nicht danach zurück...

Absolut nicht. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass das Schlechtmachen oder Glorifizieren der damaligen Zeit genauso falsch wäre wie das Schlechtmachen oder Glorifizieren der heutigen Zeit. Die heutige Gesellschaft bietet der Kirche neue Chancen, einen neuen Raum. In diesem kann das Evangelium in großer Freiheit angeboten werden, ohne die Zwangsmittel staatlicher Autorität – in der Freiheit der Verkündigung des Angebots und vor allem auch des gelebten Beispiels. Das bedeutet eine Umstellung, die wir in Österreich erst zu lernen beginnen. Wir kommen aus einer volkskirchlichen Situation, in der Katholisch-Sein die Grundselbstverständlichkeit des Österreicher-Seins war. Wir leben in einer Zeit, in der Christ-Sein eine Überzeugung ist, die einem nicht selbstverständlich mitgegeben ist.

Sie sprechen vom Markt, der Marktanteil der katholischen Kirche wird in Österreich immer kleiner. Auch unter Franziskus. Wo bleibt der Franziskus-Effekt?

Es gibt zwar deutlich weniger, die sich explizit als Mitglieder der Kirche verstehen, und ihre Zahl wird weiter zurückgehen. Aber es gibt immer mehr Menschen, die ich als Sympathisanten bezeichnen würde. Papst Franziskus hat nicht einen Boom an Kircheneintritten bewirkt, aber er hat bei sehr vielen Menschen eine neue Sympathie für das Evangelium geweckt. Das ist der entscheidende Effekt. Das Vorbild von Papst Franziskus wirkt weit über den Rahmen kirchlicher Institutionen hinaus.

Aber Franziskus hat nicht nur keinen Boom bei den Kircheneintritten bewirkt, es gibt doch auch nicht einmal einen Rückgang bei den Austritten, oder?

Ja, der Sockel der Austritte ist nach wie vor hoch. Es gibt im Moment keine Spitzen, aber es gibt nach wie vor einen starken Trend. Das Spannende ist, dass es Papst Franziskus gelungen ist, große Grundthemen des Evangeliums zur Sprache zu bringen, an allererster Stelle die Aufmerksamkeit für die Armen. Seine erste Reise in Italien war jene nach Lampedusa. In Straßburg hat er gesagt, das Mittelmeer dürfe nicht zu einem großen Friedhof werden. Das sind starke Gesten, starke Bilder, die schon etwas bewirken.

Auch bei Bischöfen und Kardinälen? Manchmal erwecken sie den Eindruck, dass sie zu ihm blicken und vielleicht Applaus spenden, aber das Ihre nicht tun, um wirken zu lassen, was Franziskus sagt und lebt.

Ich nehme das als Aufforderung zur Selbstbesinnung. Sie haben völlig recht, der starke evangeliumsgemäße Impuls, der von Papst Franziskus ausgeht, ist eine Herausforderung und kann durchaus auch Widerspruch und Ablehnung provozieren.

Provoziert er ja auch.

Provoziert er auch, ja.

Hat dieser Impuls des Papstes bei Ihnen selbst Änderungen bewirkt?

Hat er. In drei Punkten: Die Spontaneität von Papst Franziskus ist nicht Willkür, sondern eine ganz starke Verfügbarkeit für das, was der Moment erfordert. Ich sage es jetzt in der Glaubenssprache: Verfügbarkeit für den Heiligen Geist. Jetzt, hier, diese Geste, dieses Wort, auf diesen Menschen zugehen. Das spürt man, das ist echt, das kann nicht angelernt sein. Das Zweite ist seine unglaubliche Gabe für Bilder. Es ist diese Freude, sich auf das Wort der Bibel einzulassen. Es wird in seiner Verkündigung gschmackig. Ich hoffe, dass meine Predigt durch sein Beispiel lebendiger geworden ist. Das Dritte ist die Freiheit, die Freiheit der Rede. Das, was er uns bei der Synode gesagt hat – „Bitte redet freimütig und demütig; traut euch, die Sachen zu sagen; traut euch, frei und offen zu reden“ –, das verändert sehr stark das Klima, da haben auch Kontroversen Platz. Es muss auch gerungen werden. Es muss auch konflikthaft auf Dinge geschaut werden. Erst im gemeinsamen Ringen kommt eine reichere Perspektive zustande. Diese drei Dinge lerne ich von ihm und erlebe ich als etwas sehr Erfrischendes und Wohltuendes.


Wann werden Sie Franziskus in Wien begrüßen dürfen?

Ich hoffe natürlich darauf. Die Einladung, die der Herr Bundespräsident an ihn ausgesprochen hat, können wir nur begrüßen.

Sehen Sie eine realistische Chance? Haben Sie im Vatikan schon Termine vorgefühlt?

Wir haben noch nicht vorgefühlt. Ich bin mir dessen bewusst, dass wir das Privileg von vier Papstbesuchen in den vergangenen 30 Jahren hatten, und dass Papst Franziskus sehr gezielt zuerst die armen Länder besucht. Seine erste Auslandsreise in Europa war Albanien. Das ist ein starkes Zeichen. Derweil freuen wir uns, nach Rom zu fahren und ihn dort zu erleben.


Sie sind ja öfter in Rom und vom Papst mit mehreren Aufgaben betraut. Wie unterscheidet er sich in persönlichen Gesprächen von seinem Vorgänger?

Mit seinem Vorgänger bin ich seit 42Jahren im Gespräch und in langjähriger Freundschaft verbunden. Das kann ich von Pater Bergoglio nicht sagen, den ich erst 1997 kennengelernt habe. Papst Franziskus hat mir Zeichen seiner Wertschätzung gegeben. Ich bin unglaublich dankbar dafür, dass der Heilige Geist uns deutlich angestoßen hat, ihn zu wählen.

ZUR PERSON

Christoph Schönborn, geboren am 22. Jänner 1945 in Skalken bei Leitmeritz in Böhmen, entstammt einer altösterreichischen Adelsfamilie. Nach der Matura trat er in den Dominikanerorden ein und studierte Theologie. Er lehrte als Professor an der Uni Freiburg. 1991 wurde er Wiener Weihbischof, 1995 Erzbischof, 1998 Kardinal.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2014)

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