Burgtheater: „Springerstiefel geben Macht und Ansehen!“

(c) Burgtheater/Reinhard Werner
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Mord im Milieu rechtsradikaler Jugendlicher: Im Vestibül hat am 30. Jänner „Der Kick“ Premiere, ein Stück nach einer wahren Geschichte. Ein Gespräch mit zwei der jungen Mitwirkenden, Marlene Del Bello und Frederik Rauscher.

„In uns steckt ein guter und ein böser Wolf, es kommt immer drauf an, wen man füttert“, sagt Marlene Del Bello. Mit ihrem Kollegen Frederik Rauscher u. a. probt sie im Rahmen des Theaterjahres der Jungen Burg in der Regie von Peter Raffalt das Stück „Der Kick“ von Andres Veiel und Gesine Schmidt, ab kommendem Freitag im Vestibül zu sehen. In Deutschland hat das Drama, das auf einer wahren Geschichte beruht, für viel Aufsehen gesorgt. Es wurde am Schauspielhaus Basel und am Berliner Gorki-Theater gezeigt und 2006 von Veiel selbst verfilmt: 2002 töten im brandenburgischen Potzlow die neonazistischen Brüder Marco und Marcel nach stundenlanger Folter den 16-jährigen Marinus Schöberl. Im Internet kann man Fotos von ihm und seinem Grabstein sehen. Schöberl war unbeholfen, stotterte.

Er sah Marcel und Marco als seine Freunde an, es wurde viel getrunken, Marinus erkannte nicht, was ihm drohte. Mindestens drei erwachsene Potzlower waren bei der Tat anwesend. Erst vier Monate nach dem Mord wurden die Überreste der Leiche in einer Jauchegrube entdeckt. Veiel und Schmidts Text beruht auf Recherchen und 1500 Seiten Originalgesprächsprotokollen. Er zeigt eine Gesellschaft, in der Arbeitslosigkeit, Trunksucht, Vorurteile und Gewalt eine explosive Mischung ergeben.

Wo Pegida und Co. herkommen

„In Leipzig gibt es diesen Pegida-Ableger, Legida“, erzählt Frederik Rauscher, der im Rahmen des Theaterjahres an die Burg gekommen ist, aber davor am Leipziger Schauspiel tätig war: „Legida ist noch eine Stufe härter als Pegida, sie rufen dazu auf, dass Deutschland sich endlich nicht mehr für den II. Weltkrieg schuldig fühlen soll usw. Ich weiß nicht, woher das alles kommt. In Dresden oder Leipzig gibt es kaum Ausländer. Aber in einer Gesellschaft, in der man sich mit einem Klaps auf den Hinterkopf begrüßt, ist Gewalt eben nah – und dann kommt auch noch der Alkohol dazu. Wenn einem im Rausch die Faust ausrutscht, wird das dort gar nicht als so ernsthaft aufgefasst.“ War er selbst schon mit Gewalt konfrontiert? Rauscher: „Ich bin in einem Dorf groß geworden, 20 Kilometer von Augsburg. Es gab einen Maitanz, da kommen alle Leute aus der Umgebung, und es fließt natürlich auch reichlich Alkohol. Da wurde ich angegriffen und zu Boden geschubst, aber ich war geistesgegenwärtig genug, sofort wegzurennen.“ Del Bello war noch nicht direkt mit Gewalt konfrontiert.

Die Recherchen für die Aufführung, die Dokumentationen, die sich die Junge-Burg-Gruppe angesehen hat, haben sie erschreckt. Del Bello: „In den Protokollen spricht Marcel über seine ersten Springerstiefel, die er als 12-Jähriger bekam, und sagt, mit diesen Stiefeln kriegst du Macht, Ansehen, Status. Der Mord an Marinus selbst war irrsinnig brutal. Schockierend finde ich aber auch die fehlende Zivilcourage in dieser Gesellschaft, das Schweigen, Wegsehen der Erwachsenen. Ich habe immer dieses Bild von dem Jungen im Kopf und versuche, mir vorzustellen, was er machen würde, würde er noch leben.“

„Kick“-Ko-Autor Andres Veiel wurde 1959 in Stuttgart geboren. Er ist Film- und Theaterregisseur und Schriftsteller. Veiel drehte u. a. den mehrfach ausgezeichneten Kinodokumentarfilm „Blackbox BRD“, der beim Europäischen Filmpreis 2001 als bester Dokumentarfilm geehrt wurde. Veiel stellt darin die Biografie von Alfred Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, der 1989 von der RAF ermordet wurde, jener des RAF-Terroristen Wolfgang Grams gegenüber. Aus Gesprächen mit Topbankern entwickelte Veiel das Stück „Das Himbeereich“, das (u. a. mit Joachim Bissmeier) in Berlin und Stuttgart großen Erfolg hatte.

Für die beiden Jungkünstler Del Bello und Rauscher ist vorerst fix, dass sie am Theater bleiben wollen. Die Konkurrenz ist groß. Aus 130 Bewerbungen für die Burg wurden 80 für ein Probespiel ausgewählt, doch nur zehn Personen wurden aufgenommen, die nun eine Saison die Bühnenkunst von allen Seiten kennenlernen. Mit 13 Jahren hat Del Bello, die das Gymnasium in der Kundmanngasse absolviert hat, bei einer Schauspielagentur gejobbt, in der ihre Freundin tätig war: „Meine Eltern haben sich anfangs ein bisschen geweigert, aber dann haben sie mich voll und ganz unterstützt“, erzählt sie: „Ich habe mit Werbespots angefangen, und dann hatte ich Glück und durfte mit Andreas Prochaska ,Der erste Tag‘ drehen, einen TV-Film über eine Atomkatastrophe im österreichisch-tschechischen Grenzgebiet. Ich habe dann noch einmal mit Prochaska gedreht. Aber irgendwie hat mir das Theater gefehlt, und dann kam die perfekte Chance mit dem Theaterjahr.“

Theater für das Publikum von morgen

Die jungen Leute wurden gleich kräftig eingesetzt, Del Bello hat bei Peter Turrinis „Bei Einbruch der Dunkelheit“ die Regieassistenz übernommen und ist in „Lumpazivagabundus“ aufgetreten: „Zwei Wochen nach Beginn des Theaterjahres gleich auf die große Bühne, das war echt aufregend“, schwärmt sie. Besonders viel Spaß macht die „SchauSpielBar“ im Kasino am Schwarzenbergplatz, der nächste Termin ist der 28. 2. Spontan oder angemeldet dürfen hier junge Leute ihre Acts vorstellen: Improvisation, Sketches, Musik: „Da kommen 250 Leute, das Publikum ist immer super drauf“, erzählt Rauscher. In Deutschland hat jede große Stadt für ihr Theater eine eigene Jugendsparte, die das Publikum von morgen heranziehen soll, in Leipzig gibt es das Spinnwerk, „eine große Jugendwerkstatt mit festem Team, in dem 150 Jugendliche Stücke erarbeiten“, so Rauscher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2015)

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