Lutz Hülle: Allein auf weiter Flur

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Lutz Hülle steht in Paris für avantgardistisches Modemachen in seiner reinsten Form. Das gelingt nur, weil er ein einzigartiges Angebot macht.

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Wie das Wiener Kunstpublikum unlängst gezeigt bekam, gilt Velázquez als ein Maler für Maler. Ebenso gibt es Schriftsteller, die zwar nicht auf allen Bestsellerlisten aufscheinen mögen, dafür aber von anderen Literaten hoch geschätzt werden. Und der Deutsche Lutz Hülle, nach einem Modestudium am Saint-Martins-College seit 1995 in Paris ansässig, ist vielleicht einer, den man als „Designers Designer“ bezeichnen könnte – einer, der in der Branche geachtet wird, obwohl – oder gerade weil – ihm Kundinnen nicht die Tür auf der Suche nach It-Pieces und Must-haves einrennen. Und so ist es auch stimmig, dass Hülle vor Kurzem auf Einladung der Austrian Fashion Association nach Wien gekommen ist, um heimische Designer in einem Workshop zu beraten. „Am Ende hat sich das aber eher zu einem allgemeinen Gespräch entwickelt und wir haben uns sozusagen unter Designern ausgetauscht“, so der Kölner, der seit den Neunzigerjahren auf Fotos von Wolfgang Tillmans in Erscheinung tritt. „Man muss sich zwar den Markt anschauen, andererseits aber extrem Antimarketing sein, sodass man Dinge macht, die andere eben nicht machen. Gerade heute, da es so viel Mode und so viele Marken gibt, muss ich meinem Kunden einen Grund liefern, warum er meine Jacke kauft und nicht eine von 50 Millionen anderen, die ihm angeboten werden.“

Singuläre Erscheinung. Nach dem Modestudium heuerte Lutz Hülle Mitte der Neunzigerjahre zunächst als Assistent bei Martin Margiela an, im Jahr 2000 gründete er sein eigenes Label, zwei Jahre später wurde er – ein nicht unwichtiger Schritt in Paris – Vollmitglied der Fédération française de la couture et du prêt-à-porter. „Nach London wollte ich nicht zurück, für New York bin ich wahrscheinlich zu europäisch, und Paris ist in der Mode einfach weiterhin die wichtigste Stadt. Paris ist auch offen für Neues, viel offener als etwa Mailand, wo die Einkäufer, aber auch die Designer konservativer sind“, sagt Hülle. „Das betrifft die Mode, aber auch das Frauenbild und eine gewisse Vorstellung von Feminität. Bei den Franzosen gibt es das natürlich auch, aber zugleich ist man in Paris stolz darauf, dass man Platz macht für neue Positionen, andere Darstellungen.“

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Genau in diesem Spannungsfeld – Bruch mit Bekanntem, Beibehaltung von Bewährtem – entsteht ja im Grund jene Mode, die ihren Weg in die Läden und letztlich in die Kleiderschränke der Konsumentinnen finden will. Hülle, dessen wichtigster Markt „immer schon Japan“ ist, steht als Betreiber eines relativ kleinen, unabhängigen Pariser Labels gewissermaßen für Modeschaffen in seiner Urform. Accessoires, Lizenzen, andere potenziell lukrative Seitenstränge gibt es nicht. „Man muss sich in meiner Situation einfach ständig sagen: Unser Markt ist dort, wo es niemand anderen gibt. Das soll sich nicht überheblich anhören, aber würde ich nicht etwas machen, was meine Kundinnen bei keinem anderen Designer finden, dann wäre ich nicht mehr da.“

Die richtigen Fragen. Einfach nur Mode zu machen, sich eben auf das Entwerfen von Kleidungsstücken zu beschränken, das mutet im aktuellen Branchenumfeld fast ein wenig „vieux jeu“ an – altmodisch, ungewöhnlich, anachronistisch. Hülle wird auch nicht müde zu betonen, wie sehr sich in den letzten zwanzig Jahren das System, dem er angehört, verändert habe. „Manchmal weiß ich gar nicht, ob das alles noch sinnvoll ist, was da passiert. Ob es nicht vor lauter Marketingterror, vor lauter Kram drumherum dazu führt, dass Designer darauf vergessen, einfach Dinge zu entwerfen, die Menschen schöner machen, ihnen Freude bereiten.“

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Natürlich sei auch für Hülle eine mögliche Expansion in neue Märkte in Ostasien ein Thema, und auch er stelle sich der Herausforderung, seine Ästhetik so zu überdenken, dass sie etwa den Wünschen chinesischer Kundinnen entspreche. In China, so Lutz Hülle, sei der Wunsch nach figurbetonten Silhouetten spürbar, nach sogenannten Body-Con-Kleidern. „Und da muss ich mir überlegen, ob das zu uns passt, wenn wir das wollen, machen wir das. Aber so ist die Mode ja generell, jede Saison muss man sich neu erfinden, die richtigen Fragen stellen. Man kann sich im Grund nie ausruhen und muss immer wieder bei null anfangen.“ Da mag es wiederum einen blassen Schimmer des Trostes bedeuten, wenn, Schnelllebigkeit sei Dank, eine falsche Antwort auf die falsch gestellte Frage wenige Monate später schon wieder überdacht werden kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2015)

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