Tanzen „wie Gnus, die grasen“

"Sinfonien" (c) Martin Schlaepfer / Ballett am Rhein
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Das Ballett am Rhein zeigt in St.Pölten „Sinfonien“. Choreograf Martin Schläpfer über das „Kreatürliche“ bei Brahms und warum er keinen „Nussknacker“ macht.

Tanz ist eine universelle Sprache; Botschafter für eine friedliche Welt, für Gleichheit, Toleranz und Mitgefühl.“ Der Satz von Sasha Waltz ziert den inneren Umschlag des Programmhefts für die Saison 2015/16 am Festspielhaus St.Pölten, das sich mehr denn je dem Tanz widmet und mit großen Namen glänzt: Waltz und Sylvie Guillem werden kommen, das Tanztheater Wuppertal und Lucinda Childs. Und einer, der von sich selbst sagt, er wäre „nicht so bekannt international“, vielmehr eher ein „Außenseiter“ – aber einer, dem die Leitung des Berliner Staatsballetts angetragen wurde. Martin Schläpfer lehnte ab und blieb lieber bei seinem Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg. Dort baut ihm die Stadt ein eigenes Balletthaus mit 3000 Quadratmetern Studios, Ruheräumen, Garderoben. Das war seine Bedingung. Sie wurde erfüllt und zeigt, mit wem man es bei diesem zierlichen, höflichen, leisen Menschen zu tun hat: „Ich bin rabiat“, sagt er einmal ganz ruhig im Gespräch mit der „Presse“.

Schon heute trifft das Publikum in St.Pölten auf diesen Charakterkopf und sein Ballett am Rhein, das vom Magazin „Tanz“ 2013 und 2014 zur „Kompanie des Jahres“ gekürt wurde. Diesen Samstag gibt es zwei Hauptwerke Schläpfers zu sehen, bevor seine Kompanie im April 2016 mit einem Stück zu Mahlers 7.Sinfonie („7“) fast den Rahmen des Orchestergrabens sprengt. Zunächst aber: „Sinfonien“, ein zweiteiliger Abend, erstmals zu Livemusik, gespielt von den Niederösterreichischen Tonkünstlern. Schläpfer entschied sich für zwei Stücke: Eines zu Werken von Wilhelm Killmayer, „eine sehr tonbezogene, filigrane, karge Musik“, das andere zu Brahms Symphonie Nr.2, die für ihn „eine seltsame Art von anderer Welt“ hervorzaubert, „eine Welt der Symbole, der Archetypen, der Zauberer, Feen und Elfen“, findet er.

„Noch nie so Langsames choreografiert“

Das Stück zu Killmayer hält Schläpfer für „sicher eine der seltsamsten Arbeiten, die ich je gemacht habe“. Die leisen Töne ließen ihn an eine „eingewandete Welt“ denken, die vier Paare auf der Bühne würden in ihren folkloristischen Kostümen wirken „wie ein kleines Naturvölkchen“, wie „übrig gebliebene Menschen auf der Alm, die anders glauben, anders kommunizieren als der Rest der Welt“. Zu den leisen Tönen gesellen sich langsame Bewegungen: „Ich habe noch nie etwas so Langsames choreografiert. Die Tänzerinnen stehen manchmal 15 Sekunden auf einem Bein – sie müssen den Boden wegstemmen, um das auszuhalten und nicht in den Schuh zu versinken. Das gibt dem Ganzen eine Art Askese.“ Dann kommt eine Art Priester oder Wegbeschreiter, der die Paare leitet, eine Aufbruchsstimmung, das Gefühl des Auswanderns – und der Bruch, „als ich merkte, ich kann die Extreme nicht mehr übertreiben“. Fußbäder lindern den Schmerz, „das Wasser löst die Spannung, das Bizarre auf, es neutralisiert“. Seltsam, wie gesagt – „aber nicht ohne Schönheit“.

Nach der Pause: Brahms. Er hat für Schläpfer „etwas Kreatürliches“: „Es gibt viele Bilder. Ich habe einmal den Tänzern gesagt: Ihr seid Gnus, die in der Dämmerung grasen, ihr müsst aber immer diese Gefahr mittragen. Das sind zwar Menschen, die da tanzen, aber die klassische Tanztechnik ist seltsam aufgebrochen, sie hat, vor allem im ersten Satz, etwas Animalisches.“ Der zweite Satz sei wiederum „ganz klassisch, akademisch, wo die Tänzerinnen wie die Kathedralen stehen“ und er selbst von Ballettklassikern wie „Giselle“ oder „Schwanensee“ inspiriert war. Der dritte Satz ist ein Solo „für meine Muse“, die bald 16Jahre für ihn tanzt: Klein und „relativ behäbig“ sei Marlúcia do Amaral, und sie mache in diesem Part „praktisch nichts“, sogar die hohen Beine habe er ihr „völlig zurückgedämmt“ – keine Beinhebung über 20Grad. Keso Dekker, der auch viele Hans-van-Manen-Werke ausstattete, hat die hautengen Kostüme gestaltet, bemalt. „So entsteht häufig, wenn die Tänzer stehen, ein Stillleben, dass man nicht weiß: Ist das real oder ist es ein Gemälde?“

Was macht Schläpfers Erfolg aus? „Ich biedere mich nicht an. Ich mache keinen ,Nussknacker‘, nur damit die Kasse klingelt“, sagt er. „Wir sind auch nicht immer super, aber wir sind mehr wir selbst als andere Kompanien.“ Und: „Das Publikum spürt, dass da einer etwas tut, woran er glaubt.“

„Sinfonien“, Ballett am Rhein: 18.4., 19.30Uhr, Festspielhaus St. Pölten; Einführungsgespräch um 18.30Uhr; Programmpräsentation 2015/16 um 17Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

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