Snooker-WM: Echtes Genie und totaler Wahnsinn

150118 LONDON Jan 18 2015 Ronnie O Sullivan of England competes during the 2015 Snooker M
150118 LONDON Jan 18 2015 Ronnie O Sullivan of England competes during the 2015 Snooker M(c) imago/Xinhua
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Die WM im Crucible Theatre zu Sheffield bindet Besucher vor Ort und Zuschauer vor den TV-Schirmen. Der Brite Ronnie O'Sullivan, 39, elektrisiert mit Stößen, Tempo und Skandalen.

Sheffield/Wien. Snooker ist ein faszinierender Sport. Aber es ist höchst tückisch, dieses Spiel mit fünfzehn roten und sechs andersfärbigen Kugeln, die abwechselnd versenkt werden müssen. Der zwölf Fuß zählende Markentisch ist doppelt so lang wie sein Billard-Verwandter. Damit der Zauber wirkt, messen diese Kugeln nur 52,5 statt der 57 im Billard gängigen Millimeter. Wer den Tisch beherrschen will, muss täglich stundenlang trainieren. Und trotzdem ist man dann, selbst nach Übungsstunden sonder Zahl, zwar alles, nur kein Profi.

Wie Snooker wirklich funktioniert, ist ab heute wieder bei der jährlich in Sheffield anhebenden WM zu beobachten. Die 32 besten Spieler treffen sich im traditionell umgestalteten Crucible Theatre, Eurosport sendet live. Snooker ist in gewisser Weise nicht nur von Strategie, Technik und Geschick geprägt, es wird seit Jahren auch von einer wirklich unberechenbaren Konstante begleitet: Was macht Ronnie O'Sullivan?

„Keine Zeit zu verplempern“

Der Brite, 39, kann sich zum sechsten Mal die WM-Krone sichern. Zahlen dieser Natur sind dem grob, ungehobelt bis arrogant anmutenden Mann aus den West Midlands gleich. Zumal Stephen Hendry mit sieben Erfolgen die Nummer eins dieser Wertung bleiben wird, scheint der wegen seines ungeheuren Tempos als „The Rocket“ gefeierte Star vor Turnierbeginn gelassen. Er hatte lange Jahre ohnehin andere Sorgen: Drogenmissbrauch, Alkohol, Depressionen, der Vater saß 18 Jahre in Haft, Scheidung, Time-out, Fadesse und mangelndes Interesse am Snooker. „Ich habe zuletzt nur zwei Stunden pro Woche trainiert, also gar nichts“, sagte O'Sullivan dem „Guardian“. Er habe sich geändert, sein Sport habe sich geändert. Es gebe nun viele Protagonisten auf höchstem Niveau, mehrere Turniere, neue Pokale – „aber weniger Geld“, sagt er und obwohl er sich nicht als Geschäftsmann versteht oder des Geldes wegen spielt, müsse er Zahlen nennen. „Ich bin tausendmal mit meinem Schädel gegen die Wand gelaufen. Vor zehn Jahren bekam ich noch 350.000 Pfund von Sponsoren – ohne am Tisch zu stehen. Das ist vorbei. Ich will meine Zeit nicht mehr mit Ignoranten verplempern.“

O'Sullivan und Snooker, vor allem seine Aufführungen bei der WM, sind Legenden. Er gewann 2001, 2004, 2008, 2012 und 2013. Im Vorjahr unterlag der passionierte Boxer und Läufer („Hilft alles gegen die verdammten Depressionen“) im Finale Mark Selby mit 14:18, er verspielte trotz Hochform eine 10:5-Führung. Der Freund von Ron Woods ist ein „eigener Typ“, er sagt, was er denkt und wenn er die Lust verliert, spielt er schlecht – oder eben genial. 1997 gelang ihm das schnellste Maximum Break (147 Punkte) der Historie. Er benötigte 5:20 Minuten, das sind neun Sekunden pro Stoß. Er hat bislang dreizehn solcher Breaks geschafft, zu Buche stehen auch 776 Century Breaks („Ich schaffe 1000!“), also Spielaufnahmen mit mindestens 100 Punkten in Serie.

O'Sullivan kann mit der linken Hand genauso gut – manche meinen sogar besser – spielen wie mit der rechten. Geht ein Stoß daneben oder klickt eine Kamera im Publikum, kann er auch die Fassung verlieren. Da nützen Benimmregeln und feine Aufmachung nichts, Strafe hin oder her. Snooker war sein Leben, er opferte Zeit, Nerven und Schweiß. „Jetzt ist es das nicht mehr“, sagt Ronnie O'Sullivan. „Ich habe fünfmal die WM gewonnen, bin Champion. Das genügt. Ich lasse mich nicht mehr benützen.“ Das Finale startet am 3. Mai, womöglich mit ihm. Womöglich liefert er einen Eklat, „vielleicht bohre ich den Queue in eine Wand“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

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