Secession: Der Künstler als träumende Schildkröte

(c) Secession 2015, Oliver Ottenschläger
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Josef Strau zeigt „Ablagerungen im Hintergrund meines Kopfes“, Kristin Oppenheim geheimnisvolle Soundinstallationen.

Künstler sind wie Schildkröten: Träumer, eingekapselte Beobachter. In der Secession stellt jetzt ein Künstler aus, der dieses Klischee teilt. „A Turtle Dreaming“ nennt Josef Strau, geboren 1957 in Wien, seine Einzelausstellung: Er ist diese träumende Schildkröte, zieht der unternehmerischen Betriebsamkeit die „romantische Arbeit“ vor. In diesem Sinn filmte der in New York lebende Strau mit seinem Telefon beiläufige Eindrücke aus der verschneiten Stadt: Eisschollen schwimmen auf dem Hudson River, Autos fahren langsam durch die Straßen, ein Glas Weißwein steht vor der Schneekulisse. Vier Bildfolgen sind in der Secession integriert in vier Räume, die die Form von Buchstaben haben: H, J, das hebräische Jod, das kyrillische Ja. Die Buchstaben bergen keinen tieferen Sinn, sagt Strau, sie seien „eine Art von Säulen, um die ich mich herumbewegt habe“. Dazu steht in jedem der Räume eine Schildkröte.

Strau hat die Videos, aber kein einziges der Objekte selbst angefertigt oder entworfen. Er sprach nur viel mit den Mitarbeitern, die sie aus seinen Erzählungen heraus entwickelten. Eine Verweigerung? Nein, die „träumende Schildkröte“ bevorzugt schlicht eine andere Praxis: Straus Material sind Texte. Für jede seiner bisherigen Ausstellungen fertigte er ein Textplakat an, bedruckt mit tagebuchähnlichen Beobachtungen, die die „Ablagerungen im Hintergrund meines Kopfes“ mit Gelesenem, philosophischen Überlegungen und Erinnerungen verflechten. 91 Plakate sind es, die jetzt alle in der Secession zusammenkommen. Sie bilden den Rahmen für die „Landschaftsausstellung“, wie Strau sie nennt.

Landschaft? In jedem Buchstaben-Raum läuft ein Musikstück. Diese Kompositionen seien sehr „amerikanisch“, denn sie zeigten „ein Interesse an Landschaft als Ausdrucksmittel.“ Das klingt alles nicht nur wirr, es ist auch eine wirre Ausstellung, in der nichts sinnstiftend zusammenkommt. Und doch ist sie durch die melancholische Stimmung der Videos merkwürdig charmant: ein leiser Versuch, dem lauten Kunstbetrieb etwas entgegenzusetzen – und sei es nur ein Traum.

Oppenheim: Geisterwald aus Textzeilen

In eine merkwürdige Zwischenwelt entführt uns auch Kristin Oppenheim mit ihren geheimnisvoll-düsteren Soundinstallationen. Sie habe schon als Teenager mit ihrer Stimme als Werkzeug gearbeitet, erzählt die Tochter des berühmten Land-Art- und Konzeptkünstlers Dennis Oppenheim. So schafft sie Klangräume, die von Erinnerung, traumähnlichen Zuständen, der inneren Stimme handeln. In der Secession hören wir im stockdunklen Kabinett Textpassagen aus „Where Did You Sleep Last Night“ von Nirvana, einem Song über eine verlorene Seele, den Oppenheim nur mit Stimmen inszeniert. Durch Überlagerungen und räumliche Verteilung der Töne schafft sie einen Geisterwald aus Textzeilen. Auch „Sally Go Round“ in der Passage zur U-Bahn und das Video mit dem Blick in blau gefärbte Bäume unten in der Galerie sind albtraumhaft interpretiert. Wie Atem schwellen die Töne an und ab, dreht sich die Kamera um die Bildmotive. Wäre da nicht die Leichtigkeit der Stimmen, die Schönheit der blauen Bäume, würde man wohl aus den Räumen flüchten. So aber wirken Oppenheims Installationen magnetisch, man verharrt.

Auf dem Cover der Schallplatte, die sie statt eines begleitenden Katalogs produziert hat, sieht man einen Schreitenden in psychedelisch-bunten Farben. Es sei ein Schlafwandler, sagt Oppenheim – welch schöne Ergänzung zu Straus träumender Schildkröte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2015)

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