Oscar Wilde vor Gericht: "Ich mag die Vernünftigen nicht"

Oscar Wilde vor Gericht:
Oscar Wilde vor Gericht: "Ich mag die Vernünftigen nicht"(c) imago/Leemage (imago stock&people)
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Vor 120 Jahren wurde der Autor Oscar Wilde auf dem Höhepunkt seines Schaffens wegen "grober Unzucht" zu zwei Jahren Haft verurteilt. Seinen Absturz hatte er selbst ins Rollen gebracht.

Die Schrift auf dem Kärtchen ist schwer zu entziffern, und das entscheidende Wort ist falsch geschrieben: "To Oscar Wilde posing Somdomite" ("Für Oscar Wilde posierender Somdomit") steht auf der Visitenkarte, die der Marquess of Queensberry am 18. Februar 1895 im Albemarle Club in London für Oscar Wilde abgibt. Sie wird den britischen Dichter und Dandy ins Verderben stürzen.

Queensberry ist der Vater des damals 24-jährigen Lord Alfred Douglas, genannt "Bosie" und seit vier Jahren Wildes Liebhaber. Vergebens hat Queensberry seinem Sohn mit Geldentzug gedroht, wenn er die "ekelhafte Beziehung" nicht beende. Bei der Premiere von Wildes Stück "The Importance of Being Earnest" scheiterte er mit dem Versuch, einen Skandal zu inszenieren. Doch die Provokation mit der Visitenkarte zeigt Wirkung: Der Autor klagt wegen Verleumdung. Warnungen besorgter Freunde, er könne damit in eine Falle tappen, verhallen ungehört.

Wilde und Douglas
Wilde und Douglas(c) imago/Leemage (imago stock&people)

Und so stehen Wilde und sein Anwalt im April 1895 im Old Bailey Gericht einer bestens vorbereiteten Gegenseite gegenüber. Queensberrys Verteidiger Edward Carson hat Zeugenaussagen über (als "Sodomie" bezeichnete) homosexuellen Kontakte gesammelt und drängt den anfangs souverän auftretenden Schriftsteller im Verhör nach und nach von der Rolle des Klägers in die des Angeklagten.

Zu Beginn des Prozesses wird Wildes Werk seziert, was immer wieder in schlagfertige Rededuelle zischen Autor und Anwalt mündet. Könne "Dorian Gray" nicht als "perverses Buch" interpretiert werden? "Nur durch Rohlinge und Ungebildete", kontert Wilde. "Verruchtheit ist ein Mythos, den gute Menschen erfunden haben, um die seltsame Anziehungskraft der anderen zu erklären", ztitiert Carson aus dem Werk "Sätze und Lehren zum Gebrauch für die Jugend": "Glauben Sie, dass das wahr ist?" Wilde: "Ich glaube selten, dass etwas, das ich schreibe, wahr ist."

Als Carson eine Nachricht an Douglas vorliest, beschwert sich der Verfasser: "Sie lesen sie sehr schlecht." Er sei kein Künstler, antwortet der Anwalt. "Und wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, wenn ich Sie manchmal aussagen höre, bin ich froh darüber".

"Alles, was ich schreibe, ist außergewöhnlich"

In einem anderen Brief bezeichnet Wilde Douglas als "meinen wunderbaren Jungen". Ob das denn ein gewöhnlicher Brief sei? "Alles, was ich schreibe, ist außergewöhnlich", stellt Wilde fest. Doch als es um sein Privatleben geht, schwindet die Gelassenheit des 40-Jährigen zunehmend. Das können auch genervte Witzchen nicht überdecken: Hat er einen 16-jährigen Diener geküsst? "Aber nein, nie im Leben. Er war ein besonders unscheinbarer Junge."

Strikt verneint Wilde gleichgeschlechtliche Beziehungen. Er befinde sich einfach gerne in der Gesellschaft junger Männer: "Es war mir eine Freude, mit denen zusammen zu sein, die jung, lebhaft, glücklich, achtlos und frei sind. Ich mag die Vernünftigen nicht, und ich mag die Alten nicht."

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Schließlich bleibt Wilde aber nichts anderes übrig, als die Klage fallen zu lassen. Zu spät: Wenige Stunden später wird er verhaftet und der "groben Unzucht mit anderen männlichen Personen" angeklagt. Nur rund drei Wochen nach dem ersten Prozess befindet er sich wieder vor Gericht - diesmal auf der Anklagebank. Die Geschworenen werden sich nicht einig, der Prozess muss wiederholt werden. Nun spricht ihn die Jury schuldig: Am 25. Mai 1895 wird Wilde zur Höchststrafe von zwei Jahren Zuchthaus mit schwerer Arbeit verurteilt. Das sei der schlimmste Fall, den er je gehabt habe, und die Höchststrafe sei eigentlich noch zu gering, wettert der Richter.

Die Jahre im Gefängnis bringen Wilde, wie er schreibt, dem Wahnsinn nahe. Nach seiner Freilassung im Mai 1897 lebt der in Dublin geborene Dichter unter dem Namen Sebastian Melmoth in Frankreich. Seine Frau schickt ihm etwas Geld, seine beiden Söhne sieht er nicht mehr. Mit "Bosie" verbringt er einige Wochen in Neapel, bevor sie sich endgültig trennen.

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"Ich esse nicht, ich schlafe nicht. Ich lebe von Zigaretten", klagt Wilde in einem Brief. Mittellos und vereinsamt stirbt er am 30. November 1900 im Alter von 46 Jahren in einem Pariser Hotelzimmer. Die Todesursache ist nicht Syphilis, wie es lange heißen wird, sondern eine komplizierte chronische Mittelohrentzündung. Ohrenschmerzen plagten Wilde schon vor seiner Verurteilung, in der Haft sollen sie sich drastisch verschlimmert haben.Merlin Holland: Oscar Wilde im Kreuzverhör

Karl Blessing Verlag

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