Bresnik: "Kann diesen Patrioten-Scheiß nicht hören"

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Günter Bresnik, Langzeittrainer von Dominic Thiem, spricht in Paris über falsche Erwartungen und notwendige Schritte. Vom Daviscup hält er nichts - mit dem ÖTV rechnet er ab.

Die Presse: Ihr Schützling Dominic Thiem meint, viel besser als im Finale von Nizza könne er nicht spielen. Stimmen Sie zu?

Günter Bresnik: Das ist absoluter Schwachsinn! Bei seinem Finalspiel wären hundert Sachen zu verbessern gewesen, an denen arbeitet er auch. Er hat für seine Verhältnisse sehr gut aufgeschlagen, aber nicht gut retourniert. Oft spielt er zu verhalten, bewegt sich schlecht. Es war aber insofern das beste Match, das ich von ihm je gesehen habe, weil er über drei Stunden einen gewissen Level gehalten hat.

Sie sehen ihn im Training also noch besser spielen?

Freilich, viel besser. Schön ist, dass er ein Turnier gewinnt, ohne sein Potenzial voll auszuschöpfen.

Thiem sprach von der Erleichterung, sein erstes Turnier gewonnen zu haben. Hat ihn das verlorene Kitzbühel-Finale im Vorjahr noch lang beschäftigt?

Länger als notwendig, er hat die Wochen danach teils richtig schlecht gespielt. Ich halte das für absurd, so lang über Niederlagen nachzudenken. Jetzt hat er dieses Etappenziel Turniersieg erreicht. Ich hoffe, es war nicht der letzte.

Wie würden Sie ihn charakterisieren?

Für mich sind drei Faktoren wesentlich: Verstand, Herz und Charakter, das hat der Bursche alles. Er ist angstfrei, abseits und auf dem Tennisplatz. Vor Matches ist er nervös, danach lang aufgewühlt.

Ist er mit 21 Jahren noch Jugendlicher oder schon Erwachsener?

Für mich ist er ein Mann, der noch kein Kind gezeugt, kein Haus gebaut, keinen Baum gepflanzt hat. Diese drei Dinge fehlen ihm noch. Mit Dominic lassen sich ernste Gespräche führen, wenngleich er einen eigenartigen Humor hat, den viele Leute nicht verstehen. Das geht in die sarkastische Richtung.

Wie viel Zeit verbringen Sie mit ihm abseits des Platzes?

Das ist abhängig davon, wo wir sind. In Wien sehr wenig, auf der Tour sehr viel. Vergangene Woche waren wir jeden Tag gemeinsam Abendessen. Ich kenne Dominic seit zwölf Jahren, sein Vater ist mein bester Freund. Mit den Thiems verbringe ich privat viel Zeit, bin bei ihnen essen oder umgekehrt. Ich kenne alle von Dominics Freunden, dementsprechend privat sind manche Gespräche. Es geht also nicht nur um Song Contest und Fußball.

In welchem Bereich hat er sich in den vergangenen zwölf Monaten am meisten weiterentwickelt?

Im physischen, aber es ist immer noch Potenzial vorhanden. Sein Oberkörper ist gut definiert, die Beine sind es noch nicht ganz. Der nächste wichtige Schritt, der meines Erachtens folgen muss, ist einen eigenen Physiotherapeuten anzustellen. Ich habe einen Namen im Kopf, auf dessen Antwort warte ich. Ich nenne den Namen nicht, aber eines kann ich sagen: Es ist keine österreichische Lösung.

Das Team Thiem verfolgt hohe Ziele. Wie lässt sich denn etwa das Niveau eines Novak Djoković erreichen?

Durch harte Arbeit. Dominic hat eine technisch hervorragende Basis. Meine Idee ist es, dass er nun damit beginnt, ein System, einen eigenen Stil zu entwickeln. Sein Spiel soll wie ein Fingerabdruck sein, er soll eine spielerische DNA entwickeln. Die hat er noch nicht. Er darf seine Schläge nie aufgeben, das tut er aber immer wieder. Er spielt drei aggressive Schläge und als vierten einen Erholungsschlag. Das machen große Spieler nicht.

Gegen Pablo Cuevas, Nummer 23 der Weltrangliste, wird heute in der zweiten Paris-Runde eine starke Leistung notwendig sein.

Cuevas ist für mich der klare Favorit, ein richtig guter Spieler, speziell auf Sand. Wenn die Leute glauben, dass Dominic jetzt jede Woche jeden Spieler schlägt, der nicht Top fünf ist, dann irren sie sich gewaltig.

Das Thema Thiem und Daviscup beschäftigt Österreich. Es geht gar nicht mehr um finanzielle Entschädigungen, oder?

Es müssen sich Abläufe im Verband ändern, das habe ich ÖTV-Präsident Robert Groß erklärt. Ich will, dass diesen Lippenbekenntnissen auch Taten folgen.

Worum geht es Ihnen?

Ich vermisse ein Konzept des Verbands. Ich bin auch nicht allwissend, aber nur zu sagen, ich unterstütze die Jugend, ist für mich kein Konzept. Es geht darum, wie ich etwas umsetze. Ich verstehe nicht, dass in der Südstadt fünf Trainer für momentan einen Spieler, der es wert ist, beschäftigt sind. Es kann nicht Aufgabe des Verbands sein, verschlampte Talente mit 22 noch am Leben zu erhalten. Es braucht Trainer, die ihr Herzblut geben, nicht solche, die von acht Stunden am Tag zur zwei auf dem Platz stehen. Dann läuft etwas falsch.

In welchem Zusammenhang stehen aber all diese Punkte mit Thiems Antreten im Daviscup?

Er hat keine Verpflichtung, Daviscup zu spielen. Wenn man das möchte, so darf man auch Forderungen stellen. Ich kann diesen Patrioten-Scheiß nicht hören. Dominic war beim Bundesheer, ist hier zur Schule gegangen, zahlt seine Steuern in Österreich. Aber unabhängig davon: Ein Daviscup ist so etwas von unbedeutend für ein Tennisland, das ist ein Wahnsinn. Das ist rein medial gesteuert. Dominic spielt das ganze Jahr unter österreichischer Flagge, präsentiert in 60, 70 Matches pro Saison sein Heimatland. Der Daviscup ist im Vergleich dazu ein regionales Ereignis.

ZUR PERSON

Günter Bresnik (*21. April 1961 in Wien) ist Tennistrainer.

Er arbeitete mit Becker, Mansdorf, P. McEnroe, Leconte, Koubek, u. a. Aktuell ist er mit Dominic Thiem erfolgreich, er gewann zuletzt das Turnier in Nizza. Bresnik war ÖTV-Sportdirektor (1998) und zweimal Daviscup-Captain (1992–1993, 1998–2004). [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2015)

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