"Kiss the Cook": Zahme Küsse für den Chefkoch

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"Iron Man"-Regisseur Jon Favreau wechselt mit "Kiss the Cook" das Genre. Auf der Karte: ein familienfreundlicher Film mit gutem Cast, dem im letzten Gang die Würze fehlt.

Restaurantkritiker können Gastronomen nicht nur in der Realität, sondern auch auf der Leinwand zum Schwitzen bringen. Das zeigte der französische Komiker Louis de Funès in „Brust oder Keule“ (1976) auf seine typische Art – die des cholerischen, aber liebenswerten Patriarchen. Als Herausgeber des „Guide Duchemin“, einer Anspielung auf den „Guide Michelin“, stattete er unzähligen Häusern inkognito seinen Besuch ab, ob als amerikanischer Tourist oder als betuchte ältere Dame. Was Duchemin schrieb, galt.

Im digitalen Zeitalter ist die Macht des Kritikers nicht kleiner geworden. In „Kiss the Cook“, dem neuen Film von „Iron Man“-Regisseur Jon Favreau, entscheidet Food-Blogger Ramsey Michel (Oliver Platt) in Los Angeles über das Schicksal der Gastronomen. Sein neuestes Opfer: der etwas heruntergekommene Gourmetkoch Carl Casper (Jon Favreau), dem er ein vernichtendes Zeugnis ausstellt. Zu bieder, zu mutlos sei er geworden. Beim einstigen Liebling der kalifornischen Gastroszene brennt aber obendrein privat der Hut. Nach der Trennung von seiner Frau (Sofia Vergara) verliert er auch die Bindung zum elfjährigen Sohn. Diese wird wieder gestärkt, als der grantelnde Koch von seinem Sprössling in die Welt von Twitter eingeführt wird. Der Social-Media-Neuling fordert seinen Kritiker via Kurznachricht auf, ihn nochmals zu bewerten. Dafür will er ein völlig neues Menü auf den Tisch bringen.

Doch dazu kommt es nicht: Restaurantbesitzer Riva (Dustin Hoffman) pfeift ihn zurück. Die Folge: ein Eklat, der mithilfe von Mobiltelefonkameras zu einem viralen Hit wird. Das Video macht den Koch zu einer Internetsensation, aber auch arbeitslos. Ausgerechnet der erste Ehemann seiner Exfrau hilft Casper in Form eines Imbisswagens. Auf vier Rädern will er die Liebe zu seinem Beruf wiederentdecken...

Kommerzieller Erfolg mit „Iron Man“

Mit einem kleinen Budget hat der 48-jährige Jon Favreau den Film „Chef“, so der Originaltitel, realisiert. Die Parallele zum eigenen Food-Truck ist naheliegend: Er hat das Skript geschrieben, Regie geführt, mitproduziert und spielt die Hauptrolle. Favreau wurde 1996 mit dem Drehbuch für „Swingers“ bekannt. Bis auf einige wenige Projekte hinter der Kamera machte er sich in den Folgejahren als Schauspieler einen Namen. Der große kommerzielle Durchbruch gelang ihm aber als Regisseur: 2008 mit der gelungenen Comicverfilmung „Iron Man“, die auch die Marvel-Erfolgswelle im Kino einläutete.

In seinem neuen Film nimmt Favreau bewusst den Fuß vom Gaspedal. „Kiss the Cook“ ist eine entschleunigte – letzten Endes– zahme (Tragi-)Komödie für Neun- bis 90-Jährige. Für sein Independent-Projekt hat der Regisseur für kleine Rollen befreundete Starschauspieler, darunter Robert Downey jr. (den Hauptdarsteller in „Iron Man“) und Scarlett Johansson, gewinnen können. Untermalt von stimmungsvollen kubanischen Rhythmen und sonnig-sommerlichen Schauplätzen ist der Film eine Art „Buena Vista Social Club“ für Freunde von opulent ins Bild gesetzten Speisen.

Man könnte fast von „Foodporn“ sprechen, wäre dieser Begriff nicht schon abgedroschen genug. Selten zuvor wurde dem Kinobesucher der Mund so wässrig gemacht wie in diesem Film. Achtung: Vegetarier sollten die ersten Minuten abwarten, ehe sie sich in den Kinosaal begeben, beginnt „Kiss the Cook“ doch mit dem Aufschneiden eines toten Schweins. Nach dem recht blutigen Aperitif folgt das herzhafte Entree – dank fein dosierter Seitenhiebe auf den anhaltenden Gastronomie- und Social-Media-Wahn der eindeutig beste Gang. Die Hauptspeise ist durchaus genießbar, dafür fehlt dem picksüßen Nachtisch die Würze. „Nein!“ „Doch!“ „Oh!“, würde der große Louis de Funès darauf wohl sagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2015)

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