Karmasin: "Aus Sicht der Familien ist das brutal"

Sophie Karmasin
Sophie KarmasinDie Presse
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Familienministerin Sophie Karmasin rüttelt am Absetzbetrag für Alleinerzieher. Mit dem Betreuungsangebot für Kinder im Sommer ist sie alles andere als zufrieden – vor allem was die Volksschulzeit betrifft.

Gerade im Sommer haben viele Eltern Probleme, Betreuungsplätze für ihre Kinder zu finden. Wie organisiert es Ihre Familie?

Sophie Karmasin: Jetzt ist es einfacher, meine Kinder können schon phasenweise allein bleiben. Ich weiß aber aus eigener Erfahrung: Im Volksschulalter ist es am schwierigsten. Viele Kindergärten sind im Sommer zumindest einige Stunden geöffnet. Für Kinder im Volksschulalter gibt es kaum Betreuungsangebot. Aus Familiensicht ist das brutal.

In diesen Fällen helfen meist nur Großeltern oder Geld. Was, wenn man beides nicht hat?

Das ist genau der Punkt! Es liegt zwar nicht in der Verantwortung meines Ressorts, aber ich frage mich schon: Warum sind Schulen in den Sommermonaten nicht geöffnet? Hier müsste man sich besser organisieren.

Sollte man die Sommerferien verkürzen?

Selbst wenn man sie um zwei Wochen verkürzt, würden immer noch sechs bis neun problematische Wochen bleiben. Nein, das Betreuungsangebot muss verbessert werden und leistbar sein.

Organisiert von der öffentlichen Hand?

Ja.

Was würden Sie vorschlagen?

Man könnte eine schulische Begleitung anbieten – zum Beispiel freiwillige Englischkurse im August. Oder zumindest Vereinen die Möglichkeit geben, die Gebäude zu nutzen. Denn warum schließen wir diese teuren Einrichtungen zweieinhalb Monate lang?

Sollt man Lehrer zu den Kursen verpflichten?

Das muss nicht sein, hier gibt es sicher andere Möglichkeiten. Aber obwohl es aus Sicht der Eltern ein Riesenthema ist, wurde es in der Bildungsgruppe (Arbeitsgruppe der Regierung, Anm.)noch nie besprochen.

Werden Sie Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) darauf ansprechen?

Das habe ich schon – ich habe aber noch keine Antwort bekommen.

Warum denn das?

Das müssen Sie die Frau Bildungsministerin fragen.

Aber wenn Sie mit ihr gesprochen haben, muss es doch eine Antwort gegeben haben.

Ja, aber die waren nur: Wir werden das verfolgen. Mehr nicht. Das ist eher eine Verzögerungstaktik.

Womöglich ist es auch eine Geldfrage.

Das wage ich nicht zu beurteilen.

Nicht nur im Sommer, im ganzen Jahr hinkt Österreich bei der Betreuung der unter Dreijährigen nach ...

Ja, zusammen mit den Tageseltern liegt die Betreuungsquote bei 25 Prozent.

Die EU gibt aber 33 Prozent vor.

Da haben wir dringenden Aufholbedarf. Deswegen haben wir uns im Bund auf eine Ausbauinitiative von 305 Millionen Euro geeinigt. Länder und Gemeinden müssen dies ergänzen. Und jetzt muss man das Geld verbauen.

Wann werden Eltern aber eine tatsächliche Verbesserung zu spüren bekommen?

Wir warten hier ganz dringend auf Zahlen der Statistik Austria, die Ende Juli kommen sollten. Hier gibt es eine Verzögerung, die ich nicht verstehe und von der ich sehr enttäuscht bin. Wir müssen wissen, wie der Ausbau der Plätze funktioniert. Um ihn gegebenenfalls zu verbessern.

Liegt diese Verzögerung denn an den Ländern?

Wahrscheinlich teils teils. Sie ist jedenfalls schade.

Apropos Länder: Sie verhandeln gerade die Verlängerung der 15a-Vereinbarung über das verpflichtende Gratiskindergartenjahr. Wie ist der Stand der Dinge?

Wir sind in guten Gesprächen mit den Ländern. Wir wollen die Fünfjährigen weiter unterstützen. Zusätzlich wollen wir aber eine Strategie für die Vierjährigen entwickeln, die noch nicht im Kindergarten sind. Denn wie wir wissen, sind Kinder, die zwei Jahre lang im Kindergarten waren, besser auf die Schule vorbereitet.

Also ein zweites verpflichtendes Gratiskindergartenjahr?

Das wäre eine Möglichkeit. Mir geht es darum, möglichst alle Vierjährigen einzubeziehen. Wie man das effizient löst, diskutieren wir gerade.

Wie reagieren die Bundesländer darauf?

Am Ziel scheitert es jedenfalls nicht.

Sondern?

Da der Kindergarten Länderkompetenz ist, gibt es überall einen anderen Status quo. Einen gemeinsamen Nenner zu finden ist schwierig. Es spreizt sich manchmal am Stellenwert des Kindergartens. Manche Länder wollen und können Gratisbetreuung finanzieren, andere nicht.

Welche denn nicht?

Kärnten, die Steiermark und Salzburg bieten nur für Fünfjährige und halbtags Gratisplätze an. Die anderen Länder sind sehr großzügig.

Wünschen Sie sich bei solchen Themen einen weniger stark ausgeprägten Föderalismus?

Das ist ein ambivalentes Thema. Gerade bei der Kinderbetreuung würde ich meinen, dass sie auf regionaler Ebene sehr gut funktionieren könnte. Weil der Bedarf dort am ehesten bekannt ist. Aber wir brauchen eine einheitliche Sicht der Dinge.

Aber auch bei den Vierjährigen wird die Frage der Finanzierung wichtig sein.

Geld spielt immer eine Rolle, keine Frage. Aber die Mittel im Kindergartenbereich wurden 2014 vom Bund extrem aufgestockt. Da ist es legitim, von den Ländern einen Fortschritt zu fordern.

Sie verhandeln mit Heinisch-Hosek die Reform des Kinderbetreuungsgeldes. Es hakt bei der Väterkarenz: Laut SPÖ soll ein Drittel des Geldes daran gebunden sein.

Die Väterbeteiligung muss steigen, hier sind wir uns einig. Nur will ich es etwas anders erreichen. Derzeit sind 17 Prozent des Geldes an die Väterkarenz geknüpft. Die SPÖ will 33 Prozent. Auch ich will den Anteil erhöhen, aber man muss es zu Ende denken. Alleinerzieher würden etwa um diesen Betrag umfallen. Das wäre zu hart.

Könnte man dem nicht gegensteuern – und Alleinerzieher etwa anders unterstützen?

Das kostet alles Geld. Wir werden aber einen guten Mittelweg finden.

Wenn Ihnen 33 Prozent zu viel sind, welcher Anteil wäre für Sie vertretbar?

Mehr als zwanzig Prozent.

Wie lang werden Sie noch verhandeln?

Ich weiß nicht, ob es sich wirklich nur an den 33 Prozent spießt – oder ob es andere Überlegungen gibt, warum man keine Kompromisslösung findet.

Welche denn?

Kollegin Heinisch-Hosek und ich sind in ständigen Gesprächen. Die Forderung nach den 33 Prozent habe ich aber aus den Medien erfahren. Wenn das so ein dringender Wunsch ist, frage ich mich, warum ich ihn in den vergangenen vier Monaten nicht gehört habe.

Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) fordert 33 Prozent.

Ja, und auf einmal muss es auch die SPÖ tun?

Kürzlich wurde auch der Absetzbetrag für Alleinerzieher kritisiert. Auch dieser hemmt indirekt die Aufteilung der Kinderbetreuung.

Auch wir diskutieren darüber intensiv. Wenn wir eine partnerschaftlichere Aufteilung wollen, müssen wir uns darüber Gedanken machen, ob dieser Absetzbetrag noch zeitgemäß ist.

Soll er also abgeschafft werden?

Wir werden uns im Rahmen einer Reform des Familienlastenausgleichsfonds alle Familienleistungen ansehen. Dann werden wir uns auch damit beschäftigen.

Stoßen Sie eigentlich auf viel Widerstand bei den konservativeren ÖVP-Frauen?

Insgesamt spüre ich mehr Rücken- als Gegenwind, aber Veränderungen sind immer mit einer gewissen Kritik verbunden. Es ist natürlich, dass es Widerstände gibt.

So wie beim Thema Flexi-Quoten: Sie fordern – je nach Branche – Frauenquoten auf Führungsebene. Sind Sie mit der Frauenministerin darüber noch im Gespräch?

Ja, auch hier sind wir uns einig, was die Zielsetzung betrifft.

Es scheint so, als wäre man sich relativ oft beim Ziel einig. Letzten Endes scheitert es aber doch immer wieder am Weg dorthin.

Ich glaube nicht, dass es bei diesem Thema an der Ministerin und mir scheitert. Da gibt es schon andere Interessenvertretungen, die sich dagegen aussprechen.

Also die Wirtschaftskammer.

Das haben jetzt Sie gesagt.

Ja.

Ja, wobei – mit einer Selbstverpflichtung könnten sie schon gut leben.

Steckbrief

Seit Dezember 2013
ist Sophie Karmasin Ministerin für Familien und Jugend. Die 48-Jährige ist parteifrei, wurde aber von der ÖVP in die Regierung geholt.

Von 2006 bis 2013
arbeitete die gebürtige Wienerin als Geschäftsführerin im Familienunternehmen Karmasin Motivforschung. Unter anderem analysierte sie die heimische Politik – bevor sie Ministerin wurde.

Karmasin studierte Psychologie und Betriebswirtschaftslehre an der Uni Wien.

Sie ist verheiratet und Mutter zweier Söhne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

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