Wie Start-ups das Arbeiten neu erfinden

M´onica Clavijo-Barroso führt ihr Start-up nach ihren eigenen Vorstellungen.
M´onica Clavijo-Barroso führt ihr Start-up nach ihren eigenen Vorstellungen.Die Presse
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Start-ups arbeiten oft nicht nur an innovativen Ideen, sie denken auch das Arbeiten neu. Flexible Arbeitszeiten oder gar nur eine Viertagewoche: Was funktioniert und was lässt sich auch auf andere Firmen anwenden?

Mónica Clavijo-Barroso kennt die Arbeitswelt auch anders. Zwölf bis 15Stunden hat sie selbst früher am Tag gearbeitet. Die gebürtige Spanierin war als Marktingdirektorin in der Hotellerie ständig unterwegs. Ist zwischen Wien, Barcelona, Brüssel hin- und hergeflogen und sagt heute von sich selbst: „Das bringt nichts. Die Leute können nicht ihr Bestes geben, wenn sie so gestresst sind. “

Mittlerweile macht Mónica Clavijo-Barroso alles anders. Bereits vor neun Jahren hat sie ihr Start-up Perfecto4U gegründet, aber erst seit einem Jahr betreibt sie die Geschenksuchmaschine so richtig als kleine Firma. Mit Mitarbeitern, die zum Teil in Spanien, Deutschland und bei ihr in Wien sitzen. Perfecto4U funktioniert wie Google – nur für Geschenke. Auf der Plattform können Geschenkideen nach unterschiedlichsten Kategorien gesucht werden, etwa „für abenteuerlustige Frauen“ oder „für den Metro Mann“, weiters nach Anlässen (Geburt, Schwangerschaft), Alter oder „Last Minute“. Die Idee dafür hatte Clavijo-Barroso, weil sie selbst als Vielreisende nie Zeit hatte, nach Geschenken zu suchen. „Und im Internet gibt es so viel, aber es ist alles so ungeordnet.“

Vier Tage arbeiten, drei Tage frei. Doch nicht nur mit ihrer Geschäftsidee will sie innovativ sein, sondern auch mit der Art, wie sie diese führt. Clavijo-Barroso und ihre Mitarbeiter arbeiten genau vier Tage die Woche, von Montag bis Donnerstag. Freitag, Samstag und Sonntag sind frei. „Ich bin nicht einverstanden, dass Menschen fünf Tage die Woche arbeiten und nur zwei Tage frei haben“, erklärt sie ihre Motivation. Sie glaubt, dass die drei freien Tage notwendig sind, damit sich ihre Mitarbeiter gut erholen. „Am Montag sind sie voller Kräfte“ und effizienter – was sich langfristig auf den Erfolg des Unternehmens auswirke.

Freilich, „es ist nicht leicht, nur vier Tage die Woche zu arbeiten. Und ich bin nicht Mutter Teresa“, fügt sie hinzu. Damit das Arbeitszeitmodell funktioniert, müssen ihre Mitarbeiter in den vier Tagen sehr komprimiert arbeiten. „Das kann auch nicht jeder. Einen gewissen Druck muss man schon aushalten können“, sagt sie. Die Ziele in ihrer Firma sind sehr genau definiert, das Erreichen dieser kontrolliert sie als Chefin wochenweise: Wie viele Geschäfte wurden kontaktiert, wie viele Aussendungen gemacht etc. Alles wird genau festgelegt. „Der Marketingplan ist bei uns fünf Zentimeter dick.“

Im Gegenzug erhalten ihre Mitarbeiter auch ein Maximum an Freiheit. Sie dürfen von wo auch immer arbeiten und haben keine fixen Arbeitstageszeiten – nur am Donnerstag gibt es das wöchentliche Treffen. „Da sind wir dann weniger effizient, weil wir uns so viel zu erzählen haben“, sagt Clavijo-Barroso. Damit das Office für Kunden erreichbar ist, wird das Telefon an zwei virtuelle Assistenten ausgelagert, die in Deutschland sitzen. Sie erledigen für das Start-up auch die Büroarbeit und leiten Anrufen weiter.


Zwei Monate Urlaub. Auch den Sommer verbringt Perfecto4U anders. Zwei Monate bezahlten Urlaub gibt es für alle Mitarbeiter. Wobei jeder zwei Wochen davon telefonisch erreichbar sein sollte, quasi auf Abruf Telefondienst hat. Wieder glaubt Clavijo-Barroso, dadurch die Leistung ihrer Mitarbeiter steigern zu können. „Das sind genau die Auszeiten, die sich die Menschen wünschen und die sie auch brauchen. Und man arbeitet ja auch unterbewusst weiter. Auf einmal hat man die Lösung für ein Problem, bei dem man vorher nicht weitergekommen ist.“

Dass gerade Mütter von ihrem Modell profitieren, liegt auf der Hand. Trotzdem sei es reiner Zufall gewesen, dass alle außer einer Kinder haben. Das Problem, Kinder und Karriere in ein Leben zu packen, kennt Clavijo-Barroso noch aus ihren früheren Jobs. Da sei es immer eine Katastrophe gewesen, wenn ein Kind krank gewesen sei. Mit den flexiblen Arbeitszeiten ist das kein Problem mehr. „Ich kann doch nicht auf tolle Mitarbeiterinnen verzichten, nur weil sie Mütter sind“, argumentiert sie. Und diese danken es ihr mit vollem Einsatz. Obwohl Perfecto4U erst vor einem Jahr so richtig gestartet ist und auch ihre Mitarbeiter noch nicht länger dabei sind, ist das Unternehmen bereits in Deutschland, Spanien und Österreich vertreten – und in den schwarzen Zahlen. „Und ich hatte noch nie so motivierte Mitarbeiter“, fügt Clavijo-Barroso hinzu.

Zeit wird immer wichtiger. Mit neuen Arbeitszeitmodellen setzt sich auch Sophie Martinetz mit ihrer Firma Seinfeld Professionals auseinander. Sie und ihre Geschäftspartnerin, Bettina Stomper-Rosam, bieten quasi das Arbeitsumfeld für Northcote.Recht, eine von den beiden gegründete Marke für Anwälte. Diese sind bei Northcote selbstständig tätig, sie bekommen aber von Martinetz und ihrer Firma alles organisiert: vom Backoffice bis zum Marketing. „Wir halten den Anwälten sozusagen den Rücken frei, und sie müssen auch intern mit niemandem konkurrieren“, erklärt Martinetz.

Auch hier herrscht ein flexibles Arbeitsmodell, die Anwälte lassen sich bevorzugt nach Projekten bezahlen und nicht nach Stunde. Jeder kann von wo auch immer arbeiten, kommt und geht, wie es sein Tagesablauf – die meisten haben Kinder – braucht.

„Die Leute lieben bei uns die Arbeit und auch ihr Leben – das ist heutzutage schwierig umzusetzen“, sagt Martinetz. Auch die 38-Jährige kennt die andere Arbeitswelt, wo ausschließlich der Beruf den Alltag bestimmt. Sie war bei der Bawag beschäftigt, davor bei der Barclays Bank in London. Eine Situation hat sie dort nachhaltig geprägt. Als sie einmal in den Lift gestiegen sei, habe sie ihre Kollegen gefragt, wie es ihnen gehe – und alle hätten geantwortet, wie genervt und erschöpft sie schon seien. Da sei für sie klar gewesen, dass es anders gehen müsse. „Ich wollte eine Firma gründen, die institutionell etwas ändert. Ich wollte einen Unterschied machen“, sagt sie. Auch, weil das Thema andere betrifft. „Geld ist für unsere Generation wichtig, aber es hat seine Grenzen – dafür wird Zeit immer wichtiger“, sagt sie.

Das ist auch schon bei großen Unternehmen angekommen, die zunehmend auf die Hilfe von Seinfeld Professionals setzen. Auch, wenn sie dafür viele Vorurteile abbauen müssen. „Die größte Angst der Firmen ist immer die vor der Nichtkontrollierbarkeit“, erklärt Martinetz. Auch höre sie immer, dass „nur die guten Leute zu Hause arbeiten dürfen“. Das versteht sie nicht. „Die schlechten Leute arbeiten auch im Büro schlecht. Da muss ich mir als Führungskraft etwas überlegen“, argumentiert sie. Grundsätzlich, sagt sie, „hilft es sehr, wenn ich weiß, was ich von meinem Mitarbeiter erwarte. Der Chef muss sich überlegen: ,Wofür bezahle ich diese Person?‘“

Ohnehin heißt flexibel zu arbeiten nicht, auf Strukturen zu verzichten. „Eine totale Strukturlosigkeit gibt es auch bei uns nicht. Ich arbeite circa 30Stunden die Woche und flexibel, aber auch bei uns hat sich ein Rhythmus herauskristallisiert“, sagt sie.

Flexibilität muss planbar sein. Das Backoffice für die Anwälte muss etwa zu gewissen Zeiten besetzt sein. Bei Northcote macht man das „bedürfnisorientiert“. Das heißt, die Mitarbeiter dürfen sich die Arbeitszeiten untereinander aufteilen. Die eine arbeitet vielleicht an fünf Tagen die Woche wenige Stunden am Tag, die andere an zwei Tagen alle ihre Stunden. „Flexiblität muss auch planbar sein. Es geht nicht alles auf Zuruf. Sonst kann niemand darauf reagieren“, erklärt Martinetz. Es sei auch „ehrlicherweise nicht einfach, die unterschiedlichen Zeitwünsche unter einen Hut zu bringen“, sagt sie. Aber Firmen müssten eben lernen, so flexibel zu sein.

Langfristig glaubt nämlich auch sie, dass solche Modelle zum Unternehmenserfolg beitragen. „Unsere Anwälte haben große Kunden und sehr lange Kundenbindungen“, erklärt sie. Was keine Selbstverständlichkeit sei. Und die Stimmung in der Kanzlei, die sei einfach super.

Flexibel

Perfecto4U ist eine Suchmaschine für Geschenke. Die User können auf der Seite Geschenkideen nach Anlässen, Geschlecht, Typ oder Last Minute suchen und werden dann an die jeweiligen Online-Shops weitergeleitet. perfecto4u.com

Seinfeld Professionals. Sophie Martinetz und Bettina Stomper-Rosam beschäftigen sich mit einer neuen Art des Arbeitens.
seinfeldprofessionals.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

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