Jubiläum: Wie sehen wir in Zukunft fern?

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Am Samstag wird das Fernsehen in Österreich 60 Jahre alt. Dass es so lange bestehen würde, haben am Anfang nicht alle geglaubt. Doch wohin geht es weiter? Sechs Thesen.

In seinen Anfangstagen haben nur wenige an das Fernsehen geglaubt: „In des Kastl schaut eh kana eini“, meinte Bundeskanzler Julius Raab 1956. Damals war das Fernsehen in Österreich gerade einmal ein Jahr alt. Am Nachmittag des 1. August 1955 startete das regelmäßige Fernsehversuchsprogramm, gesendet wurde aus einer adaptierten Schule in Wien Meidling. Das Programm umfasste zunächst nur zwölf Stunden im Monat, Zuschauer hatte es wenige. Dafür bereitete es den Chefredakteuren Kopfzerbrechen: „Wird das Fernsehen der Presse schaden?“, fragten sie sich in einer der ersten Diskussionen, die über die bläulich flimmernden Schwarz-Weiß-Bildschirme lief.

60 Jahre später gibt es die Zeitungen noch – und wir schauen noch immer „eini in des Kastl“. Nur dass es eben nicht immer ein „Kastl“ ist, sondern manchmal die ganze Wand einnimmt oder in die Hosentasche passt. Das Fernsehen hat Farbe und Profil gewonnen und muss sich dennoch eine ähnliche Frage stellen wie einst die Zeitungen: „Wird das Internet dem Fernsehen schaden?“ Zum Geburtstag blicken wir nicht zurück, sondern voraus und wagen sechs Thesen zur Zukunft des TV.

1 Kleineres Lagerfeuer, mehr Gesprächsstoff

Der familiäre Kreis vor dem Lagerfeuer wurde zum Halbkreis vor dem TV-Gerät – und der wird immer kleiner. Dafür ist die Diskussionsrunde, in der das Erlebte kommentiert und diskutiert wird, gewachsen. Am „second screen“ wird neben dem Fernsehen gefacebookt, getwittert, nach Zusatzinformationen gegoogelt. Die Fernsehmacher haben das Potenzial erkannt – der „Tatort“ hat einen eigenen Twitter-Blog, Armin Wolf reagiert während der Sendung auf Einträge der Zuschauer zur „ZiB“. So wird Fernsehen interaktiv.

2 „Second screen“: Ein Bildschirm reicht noch lange nicht

Schon im analogen Zeitalter wollte das Fernsehen interaktiv sein. Doch wegen der sperrigen Technologie (man musste erst zum Festnetztelefon greifen) kam die Interaktivität über Publikumvotings und Telefon-Quizspiele kaum hinaus. Die Verknüpfung von Fernsehen und Internet bietet nun neue technische Möglichkeiten: Mit einer ARD-/ZDF-App zur Fußball-WM 2014 konnte man z. B. im Video-Stream schon aus 20 verschiedenen Kamera-Perspektiven wählen. Bald wird man bei Quizshows wirklich mitspielen, statt nur mitraten, und den Verlauf der Lieblingssendung aktiv mitgestalten.

3 Wann, wo und wie ich will: König Kunde macht Programm

Video-on-Demand und Streaming machen Fernsehen individuell planbar. Man stellt sich sein Programm selbst zusammen, statt es von den TV-Stationen (deren Online-Mediatheken immer beliebter werden) fertig serviert zu bekommen. Auch die Portionen sind nicht mehr vorgegeben: Statt in einzelnen Folgen werden Serien oft im Ganzen konsumiert; das Bedürfnis nach Binge Watching steigt mit der Gefahr, durch Spoiler im Internet vorzeitig über das weitere Geschehen einer Serie informiert zu werden.

4 Noch mehr Wahl, noch mehr Qual(ität)

Wird das lineare Fernsehen bald Geschichte sein? Nicht ganz. Vor allem im News-Sektor und bei Live-Übertragungen und -Shows sind die klassischen TV-Stationen gut aufgestellt. Doch es wird schwieriger, sich durchzusetzen – die Zeit der Markentreue ist vorbei. Gab es früher nur die TV-Kanäle FS 1 und FS 2 zur Auswahl, kann man heute allein in Österreich aus Dutzenden TV-Sendern wählen (und da sind die Internet-Angebote noch gar nicht dabei). Die Ansprüche der Zuschauer steigen damit – und das Angebot wird weiter wachsen. Gegen Netflix, Amazon und YouTube wirken selbst internationale Fernsehgrößen wie die BBC eher unscheinbar.

5 Fernsehmacher überall? Dein Nachbar, der Reporter

Diese These drängt sich nicht erst auf, seit der YouTuber LeFloid die deutsche Kanzlerin interviewt hat: Technische Barrieren halten heute keinen mehr auf, selbst Fernsehen zu machen. Man braucht weder teures Equipment, noch Sendetechnik oder eine eigene Frequenz. Manchmal reicht schon ein Smartphone: Der „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann etwa sendet regelmäßig mit der App Periscope Live-Filme von Events oder seiner morgendlichen Jogging-Runde. In Zukunft werden wir auch Breaking-News nicht mehr aus dem Fernsehen erfahren. Denn egal, wann und wo etwas Unerwartetes passiert: Jemand, der ein Handy eingesteckt hat, ist immer in der Nähe.

6 Wofür wir gerne zahlen: Der Siegeszug von Netflix und Co.

Wer einst ORF schauen wollte, der kam an der Rundfunkgebühr nur vorbei, wenn er sich mit dem Attribut Schwarzseher anfreunden konnte. Heute darf man ganz legal via Internet ORF schauen, ohne Gebühren zu zahlen (wenn man es wirklich nur über das Internet tut). Gleichzeitig zeigt sich, dass TV-User sehr wohl bereit sind, für Angebote zu zahlen: Der Siegeszug von On-Demand-Anbietern ist nicht aufzuhalten, Netflix zählt weltweit schon 65 Millionen Nutzer. Damit ändert sich grundlegend, was wir unter „Fernsehen“ verstehen: Laut Begriffsbestimmung ist es „unidirektional“ und „synchron“ – zumindest war es das einmal.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2015)

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