Krisen-Erotik: Der linke Leader in Leder

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Das Phänomen Yanis Varoufakis war vor allem eines der Popkultur: Über „V“ als wilden Mix aus (alt)linkem Revoluzzertum, Hollywoodkitsch und Starker-Mann-Erotik – die auch im linken Populismus Tradition hat.

Warum wurde die kubanische Revolution mit ihrem Führer Fidel Castro so sexy, was machte Che Guevara zur globalen Ikone der Popkultur, in der man fast alles sehen konnte, was man wollte, solang es nur ein bisschen „radical chic“ hatte? Nicht kommunistische Parteizentralen haben das bewerkstelligt, sondern hauptsächlich westliche Journalisten. Man liebte die Bilder dieser Zigarre rauchenden „echten Männer“ wie ihrer aparten, stets dienstbereiten Gefährtinnen in Uniform, sie verhießen einer romantischen Linken Abenteuer, Rebellion, Erotik und den Kitzel der Gewalt, die man in der eigenen, ach so zivilisierten Demokratie kaum ausleben konnte.

Für ein paar Monate hat Yanis Varoufakis den „guten“ linken Macho und verwegenen Einzelkämpfer auf die westliche Weltbühne zurückgebracht; nur dass er nicht wie Che Guevara allmählich vom politischen Aktivisten zum Popstar und Sexidol wurde, sondern – obwohl beim Amtsantritt fast unbekannt – in wenigen Tagen dazu gemacht wurde. Eine so rasante Karriere als Kunstfigur wurde wohl kaum einem europäischen Politiker zuteil, da muss man schon fast an einen Barack Obama denken.

Lässt man die Entstehung der Medienfigur Varoufakis Revue passieren, sieht man aber, dass der Finanzminister gar nicht so viel dazu beitragen musste, um blühende Assoziationen mit allen möglichen Helden auszulösen. Es brauchte gar nicht den „Stinkefinger“-Skandal, es genügte, dass er die politische Bühne mit Accessoires betrat, die auf dieser nicht täglich vorkamen – mit Lederjacke, Motorrad, auffällig engen Hemden ohne Krawatte sowie dem Körper einer „Sexmaschine“ (wie er tatsächlich in Zeitungen genannt wurde). Den Rest erledigten fast im Alleingang die Berichterstatter – und am effizientesten nicht die griechischen, sondern die im „Feindesland“ Deutschland.

Che Guevara und seine „Mächtige“

Egal, ob sie positiv oder negativ gemeint waren: In den medialen Varoufakis-Inszenierungen wurden von Beginn an Bilder von (ausgerechnet in den „imperialistischen“ USA gedeihenden!) Blockbuster-Helden sowie von aufrechten linken Rebellen wild zusammengepinselt. Dieser Kombination hatte Che Guevara den Boden bereitet: 1952 tourte er als Medizinstudent auf seinem Motorrad „La Poderosa II“ („die Mächtige“) durch Südamerika, weil er „die Schnauze voll von der Medizinischen Fakultät, den Krankenhäusern und den Arztpraxen“ hatte. Erst auf dieser Reise (so geht die von ihm selbst gepflegte Legende) wurde er zum Homo politicus, zum Kämpfer für die Entrechteten, denen er auf seiner Reise begegnete. Varoufakis' Yamaha XJR 1300 kann dieser Uralt-Ikonografie linken Revoluzzertums zugeordnet werden, ebenso aber den Accessoires der „Rebels without a Cause“ à la James Dean: jener ziellos umherstreifenden jugendlichen Aussteiger in Hollywoodfilmen der Fünfziger- und Sechzigerjahre, denen Marlon Brando in „The Wild One“ (1953) das große Vorbild lieferte.

Brando trug in dieser Rolle eine Lederjacke, wie schon die als tollkühn gefeierten Jagdflieger im Ersten Weltkrieg. Auch Lenin in Sergej Eisensteins Film „Oktober“ trug eine, oder Bert Brecht, der sich 1927 ebenfalls demonstrativ proletarisch in Lederjacke abbilden ließ, Anarchisten trugen sie mit eingekreisten „A“. Ob weit rechts oder weit links, Leder signalisierte Aggressivität und Rebellion. Und wer rebelliert, wirkt authentisch.

Das Problem mit dieser Authentizität ist nur, dass sie umso künstlicher wirkt, je mehr sie demonstriert wird (oder andere glauben, dass man sie demonstriert). Und so wurde Varoufakis gerade durch sein Bemühen um eine spezielle „authentische“ äußere Erscheinung zur Kunstfigur. Die einen meinten die Vergleiche mit Bruce Willis („Die Hard“) oder Robin Hood ernst, die anderen ironisch, das war oft schwer zu unterscheiden. Ein Beispiel dafür ist die Facebook-Gruppe „V for Varoufakis“, gegründet von einem Fan, den Varoufakis' Konfrontation mit Dijsselbloem, dem Präsidenten der Euro-Gruppe, beeindruckt hatte. Der Titel spielt auf den auch verfilmten Comic „V for Vendetta“ an, in dem ein maskierter Freiheitskämpfer gegen einen faschistischen Staat kämpft. Immer noch prangt auf dieser Facebook-Seite das Motto „First they ignore you, then they ridicule you, then they fight you, and then you win“. Ein für den Varoufakis-Kult typisch diffuses Amalgam aus Ghandi und Gewerkschaft: Das Zitat wird gern, aber fälschlich dem Friedenskämpfer zugeschrieben, sicher wurde es mit ganz ähnlichem Wortlaut 1918 in einer Ansprache an US-Textilarbeiter gesagt.

Das Gespräch mit Dijsselbloem wurde in dessen Heimat als Rapsong parodiert, in Deutschland nahm Jan Böhmermann mit dem in der Manier der Band Rammstein gesungenen Song „V for Varoufakis“ die griechischen Klischees von den „Nazi-Deutschen“ ebenso aufs Korn wie deutsche Neidgefühle angesichts des griechischen Supermanns. „Our finance minister doesn't even have legs!“, heißt es darin – geschmacklos, aber treffsicher. Die Sexualisierung war wohl überhaupt das zentrale Merkmal aller Varoufakis-Inszenierungen. Auch hier mixen sich Popkultur und linke Tradition – die erotisierten Kämpferposen erinnern an den Männlichkeitskult der Guerrilleros. Varoufakis teilte aber auch zumindest tendenziell das Schicksal von Politikerinnen, die eine gewisse erotische Reizgrenze überschreiten: Man tendiert dazu, sie weniger ernst zu nehmen.

Weibliche Erotik ist weniger begehrt

Doch wie wäre es Varoufakis in Griechenland ergangen, hätte er sich als Frau so sexy gegeben? Schwer zu sagen, weibliche Minister sucht man unter Tsipras vergeblich. Eine rechte Abgeordnete, die im griechischen Parlament in engem Rock und T-Shirt erschien, wurde jedenfalls vom stellvertretenden Parlamentspräsidenten gerügt. Willkommener, zumindest in Krisen, ist wohl doch die männliche Erotik, solange sie dazu beiträgt, den „starken Mann“ hervorzukehren. Ob rechts oder links, sie ist ein traditionelles Werkzeug des Populismus. Sexualisierte Politiker können verunsichernd wirken, Varoufakis' demonstrative Virilität bewirkte das Gegenteil – zumindest bei seinen Landsleuten.

„Es ist dieselbe Kraft, die in der Fortpflanzung liegt, die auch im nationalen Pathos sich äußert“, schrieb Rudolf Steiner. Daher sei der Schlachtruf von der Freiheit der Völker immer irgendwie „Balzstimme des Hahnes“. Pathetisch trat auch Varoufakis ab, mit Sätzen wie „Minister no more“ und „Ich werde die Verachtung der Gläubiger mit Stolz tragen“. Sprachs – und schwang sich aufs Motorrad, ab in den Urlaub, mit der aparten blondmähnigen Ehefrau hinten auf dem Motorrad. Er mit, sie ohne Helm. Entscheidend war halt doch die Optik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2015)

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