Grippe droht? Ausgiebig schlafen, sieben, acht Stunden!

(c) FABRY Clemens
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Zu wenig Schlaf kann viele chronische Leiden bringen, von Diabetes bis zu Herzkrankheiten, vermutlich steht er auch hinter der „Epidemie der Fettleibigkeit“.

Der so klare Immanuel Kant hatte auch fixe Ideen, etwa die, „dass jedem Menschen von Anbeginn her vom Verhängnisse seine Portion Schlaf zugemessen worden, und der, welcher zu seiner Lebenszeit in Mannsjahren zu viel (über ein Drittheil) dem Schlafen eingeräumt hat, sich nicht eine lange Zeit zu schlafen, d.i. zu leben und alt zu werden, versprechen darf“ (Von der Macht des Gemüts durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein).

Kant hielt sich daran, ging um zehn zu Bett, ließ sich um 4.45 Uhr wecken – von seinem Diener Lampe: „Es ist Zeit!“ –, die Sparsamkeit zahlte sich aus, er wurde fast 80. Na ja, vielleicht ist es eher daran gelegen, dass er keinen ausschweifenden Lebenswandel hatte und eine gute Konstitution: Warum wir überhaupt schlafen, war lang ungeklärt, vermutlich liegt es daran, dass das Gehirn dann Müll entfernt, metaphorisch – Überflüssiges vergisst, Wichtiges verfestigt – wie, ganz handfest, Stoffwechselprodukte. Klar ist hingegen, dass es ganz ohne Schlaf gar nicht geht: Ratten sterben an Schlafentzug rascher als an Hunger, Folterern ist die Methode wohlvertraut.

Und immer klarer wird, dass es mit wenig Schlaf nicht gut geht: 1960 haben US-Amerikaner acht bis neun Stunden am Tag geschlafen, heute sind es sieben. Im Gegenzug legten die Körper zu, an Gewicht, auch in den Sechzigern begann in den USA die „Epidemie der Fettleibigkeit“ (Weltgesundheitsorganisation WHO), zur Jahrtausendwende war sie so verbreitet, dass erdweit mehr Menschen übergewichtig waren als mangelernährt. Viel spricht dafür, dass das von der parallel laufenden „Epidemie der Schlaflosigkeit“ gekommen ist.

Diese bringt nicht nur Fett, sie bringt viele Leiden, von Diabetes bis zu Herzkrankheiten, Verdacht gibt es auch bei Brustkrebs, es liegt vermutlich immer daran, dass durch den zu kurzen Schlaf – bzw. durch die zu kurze Dunkelheit und die bis zur „light pollution“ zunehmende Dauerbleuchtung – die inneren Uhren durcheinandergeraten.

Nur sechs Stunden? Viren gewinnen!

Aber zu kurzer Schlaf bringt nicht nur chronische Leiden, er sorgt auch für Arbeits- und Autounfälle etc. Und er steht im Verdacht, das Immunsystem so sehr zu schwächen, dass es auf aktuelle Herausforderungen nur unzureichend reagiert und etwa Grippeviren nicht abwehrt. Darauf deutete eine Studie, die Sheldon Cohen (Carnegie Mellon University) 2009 publizierte. Sie hatte allerdings die Schwäche, dass die Teilnehmer ihre Schlafdauer selbst notiert haben – und dabei überschätzt man die Dauer leicht. Deshalb hat Cohen die Studie nun gemeinsam mit Aric Prather (UC San Francisco) wiederholt, diesmal wurden die Probanden eine Woche lang in ein Hotel einquartiert. Dort schliefen sie so, wie sie es zu Hause auch getan hätten, dort wurden sie Grippeviren ausgesetzt: Von denen, die weniger als sechs Stunden pro Nacht schliefen, erkrankten 4,2-mal so viele wie von denen, die über sieben Stunden Schlaf hatten (Sleep 31.8.).

„Schlaf war wichtiger als alles andere, es war ganz gleichgültig, wie alt, gebildet, sozial gestellt die Menschen waren oder ob sie Raucher waren“, erklärt Prather: „In unserer geschäftigen Kultur gibt es einigen Stolz darauf, nicht zu schlafen und viel zu leisten. Wir müssen zurück zur Einsicht, dass Schlaf zu unserem Wohlbefinden gehört.“

Wie viel nun? Sieben, acht Stunden, viel mehr aber auch nicht, da hatte Kant durchaus recht: Auch zu viel Schlaf wird mit Krankheiten in Verbindung gebracht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2015)

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