Korea erobert mit Pop die Welt

Tanzende Girls mit Herzschmerz-Songs: K-Pop-Gruppen wie Apink haben Fans in der ganzen Welt.
Tanzende Girls mit Herzschmerz-Songs: K-Pop-Gruppen wie Apink haben Fans in der ganzen Welt.(c) APA/EPA/FAZRY ISMAIL (FAZRY ISMAIL)
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Popsongs und TV-Serien aus Südkorea begeistern Fans rund um den Globus. Die Stars bringen dem Land nicht nur viel Geld – sie dienen auch als mächtige diplomatische Waffe.

Die beiden Teenager blicken erschöpft in den großen Wandspiegel. Dann versuchen die Mädchen den Tanzschritt erneut: Step, Drehung, Step. Der Trainer schüttelt den Kopf, stoppt die Musik – „von vorn“, sagt er streng. Hier, in einem Erdgeschoss im Seouler Nobelviertel Gangnam, bastelt die Musikproduktionsfirma CT Entertainment gerade an einer Girlgroup, die die Glitzerwelt des K-Pops, der südkoreanischen Popmusik, erobern soll. Und damit Fans in der ganzen Welt.

Das Konzept der Band steht bereits – der Stil ist fixiert, Song und Musik werden gerade komponiert. Nur die meisten Bandmitglieder fehlen noch: Die beiden 14-Jährigen wurden unter hunderten Bewerberinnen ausgewählt, vier weitere Gleichaltrige werden gerade gecastet. Doch bevor ihr Traum einer Popstarkarriere richtig starten kann, müssen noch harte Jahre vergehen: „Frühestens 2018 sind sie bereit“, sagt CT-Entertainment-Boss Hwang Sung Wook. Bis dahin will er die Mädchen in erstklassige Sängerinnen, Tänzerinnen, Schauspielerinnen verwandeln. Und Fremdsprachen müssen sie beherrschen, für die Auslandsauftritte.

Ihre Ausbildung übernimmt CT-Entertainment, sie ist Teil des mehrjährigen Vertrags der Mädchen. Nach ihrem Debüt werden die Ausbildungskosten von der Gage abgezogen, das gehört zum Standard einer K-Pop-Karriere. Genauso wie tägliches, stundenlanges Proben, am Nachmittag nach der Schule, am Wochenende, in den Ferien. Oft bis tief in die Nacht hinein.

Gangnam Style. Produzent Hwang kennt sein Metier. Wenige Stockwerke über den Girls probt die Boygroup Romeo. Die sieben zum Teil blondierten Schönlinge mit ihren über die Augen fallenden Stirnfransen tanzen perfekt aufeinander abgestimmt zum Song über kaputte Herzen, große Leidenschaften und bitteren Weltschmerz. Romeo hatte erst im Mai sein Debüt und zählt bereits zu den Top-drei-Newcomern des Genres. Auch die lässig wirkenden Romeos haben jahrelanges, hartes Training hinter sich.

„Wenn K-Pop-Stars ihre Karriere starten, sind sie ausgebildete Künstler. Das unterscheidet sie von internationalen Kollegen“, sagt Park Sung Hyun, Kommunikationsexperte an der Youngsan Universität. Das Konzept der minutiös zusammengestellten „Fertig-Band“ wirkt: Für Südkoreas Bubblegum-Pop mit seinen süßlichen Songs, attraktiven Sängern und makellos inszenierten Tanzperformances begeistert sich seit Jahren ganz Asien – und nicht nur: Die oft riesigen Bands mit bis zu einem Dutzend Mitgliedern dominieren auch Charts von Afrika bis Lateinamerika.

Nur im Westen tun sich die hochstilisierten K-Pop-Artisten schwer. „Europa und die USA sind zu weit weg. Nicht nur geografisch, auch kulturell“, sieht das Park pragmatisch. Aber sogar der schwierige Westen hatte seinen K-Pop-Moment: 2012 tanzte (fast) ganz Europa und Amerika zum Hit „Gangnam Style“. Wobei der rundliche Sänger Psy mit seinem bissigen Song (er macht sich über die Gangnam-Schickeria lustig) untypisch für K-Pop ist: Ironie gehört nicht zum Standardrepertoire, das eher auf den Herzschmerz der coolen, braven Sänger-Kids setzt.

Aber nicht nur K-Popsänger brechen Herzen rund um den Globus. Auch TV-Stars aus Südkorea können auf Fangemeinschaften weltweit zählen. Von Japan, China, Malaysia, den Philippinen bis hin zu Russland, Usbekistan und dem Iran kleben ganze Familien abends am TV-Bildschirm, um die letzten Entwicklungen südkoreanischer Seifenopern zu verfolgen. Die Liebes-, Intrigen-, Streit- und Tränendramen sind an ihre Exportmärkte angepasst: So verstößt keine einzige Passage der Serien, die im Nahen Osten ausgestrahlt werden, gegen den strengen islamischen Moralkodex.

Soft Power. Diese „koreanische Welle“ ist kein Produkt des Zufalls. Die imposante „unsichtbare Hand“ hinter Hallyu (so die koreanische Bezeichnung) befindet sich in den höchsten Machtzirkeln: Laut der US-koreanischen Autorin Euny Hong gab Präsident Kim Dae-Jung Ende der 1990er-Jahre den Impuls, das bis dahin auf trockene Technologieprodukte spezialisierte Südkorea zum Topexporteur von Unterhaltungsindustrie zu machen.

So wurde mitten in der dunkelsten Phase der Asienkrise die Popkulturbranche quasi aus dem Boden gestampft: Ein staatliches Planungskomitee wurde errichtet, Milliarden flossen in Forschung und Subventionen für die Unterhaltungsindustrie. Das ist bis heute unverändert: Konzerthallen und Popzentren werden ebenso von Steuergeld mitfinanziert wie Initiativen, um K-Kultur im Ausland zu bewerben.

Der Erfolg: Geschätzte 11,6 Mrd. Dollar brachte allein 2014 die K-Welle ein, sie erhöhte die koranische Industrieproduktion um 4,3 Prozent. Vom Glamour koreanischer Stars profitieren Kosmetik- bis Lebensmittelhersteller, und der Fremdenverkehr boomt: Touristen strömen nach Südkorea, um die Drehorte ihrer Lieblingsserien zu besuchen oder Autogramme ihrer Idole zu ergattern und in teuren Fanshops einzukaufen. Nachdem der TV-Hit „Winter Sonata“ in Japan gesendet worden war, nahm der japanische Tourismus nach Südkorea um 40 Prozent zu.

Noch bedeutender als der finanzielle Profit ist der Imageeffekt: In nur wenigen Jahren habe sich das einst so rigide, erzkonservative und verschlossene Südkorea in „das coolste Land Asiens verwandelt“, schreibt Hong in ihrem witzigen Buch „The Birth of Korean Cool“. Vom Coolnessfaktor profitiert Seoul politisch: Die Regierung setze Popkultur gezielt ein, „um Einfluss zu gewinnen. Sie entwickelt so ihre Soft Power“, konstatiert Hong. Ganz genau so, wie es die USA mit Jeans, Hollywood und Musik getan hatten.

Tatsächlich: „Vor einem offiziellen Auslandsbesuch wird recherchiert, welche K-Pop-Band oder TV-Serie in diesem Land am beliebtesten ist“, schildert Park, der lange als Popkulturexperte für die Regierung arbeitete. Wie erfolgreich K-Wave-Diplomatie ist, zeigt China: Dank der K-Welle sei Südkorea dort enorm populär. Das wirke sich auch auf die offizielle Herzlichkeit gegenüber Präsidentin Park Geun-hye aus, die in Peking wie ein Star empfangen wird.

Popkultur ist auch eine Waffe gegen Erzfeind Nordkorea: Während der Spannungen im Sommer dröhnte über die Grenze K-Pop aus südkoreanischen Megalautsprechern. Aus dem Süden eingeschmuggelte TV-Serien und Poplieder sind eine heiß begehrte, verbotene Ware im stalinistischen Land. Dank seiner Musik und Filme sei Südkorea dort „Sinnbild der Freiheit geworden“, sagt Park. So wie einst die USA im kommunistischen Osten.

Sogar die verhasste Ex-Kolonialmacht Japan, die noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg auf Korea herabblickte, wurde bezwungen. K-Pop und K-Serien verdrängten lokale Konkurrenten, Politiker zitieren koreanische Seifenopernhelden. Vor allem aber: Der romantische koreanische TV-Schönling ist laut Hong zum Prototyp des idealen Boyfriends geworden – „einer, auf den Verlass ist“. Wenn das nicht erfolgreiche Soft Power ist . . .

Koreanische Welle

K-Wave. Die koreanische Welle („Hallyu“) bezeichnet die weltweite Popularität koreanischer
Popkultur – vor allem von TV-Serien und Popmusik, aber auch Computerspielen, Mode, Küche oder Kosmetika. Hallyu hat Fans in ganz Asien – aber u. a. auch in der arabischen Welt, Afrika, Russland und Lateinamerika.

Hits. Beliebte Bands sind etwa Exo oder Girls Generation.

Ein Hit (vor allem in China) war unlängst die TV-Serie „My Love from the Star“.

Business. Geschätzte 11,6 Mrd. Dollar brachte 2014 die „K-Welle“ ein, sie erhöhte die koranische Industrieproduktion um 4,3 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

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