Modewoche Mailand: Meilensteine der Mode

Eine der stärksten Kollektionen in Mailand: Versace auf Techno-Safari.
Eine der stärksten Kollektionen in Mailand: Versace auf Techno-Safari.(c) REUTERS (STEFANO RELLANDINI)
  • Drucken

Historische Literaturzitate, Designerpremieren, ein Selfie-Defilee: Die Modewoche in Mailand bot auf den Laufstegen Entertainment pur.

Lange Zeit war in der österreichischen Modelandschaft ein sehnendes Warten auf „den nächsten Helmut Lang“ üblich. Derlei ist zwar nicht zielführend, weil jede neue Position nur in völliger Eigenständigkeit reüssieren kann und Lang in einem Modesystem groß wurde, das es nicht mehr gibt. Wer der Wunschanalogie aber noch immer anhängt, vernehme: Ein aus Wien gebürtiger Designer ist in Mailand in die erste Riege der Branche vorgestoßen, er heißt Arthur Arbesser.

Innerhalb von drei Saisonen hat er sich in die oberste Liga der italienischen Designermode vorgearbeitet, mit gleich zwei Defileepremieren bei der Settimana della moda, wo Sommermode für 2016 gezeigt wurde, erklomm Arbesser nun fast schwindelnde Höhen. Anerkennung gebührt ihm einerseits für seine erste Kollektion für die Modemarke Iceberg: In kürzester Zeit entwickelte Arbesser eine stimmige Linie für die Sport- und Strickidentität der Brand, die nun neue Aufmerksamkeit genießt.

Wichtiger für Arbesser, dessen Firma auch in Wien eine Niederlassung hat und neuerdings von der hiesigen Wirtschaftsagentur gefördert wird, ist der Meilenstein des ersten Defilees mit seinem eigenen Label. Weniger verkopft als zuletzt, dabei doch mit raffinierten Details versehen, verspielt und feminin angelegt ist diese Kollektion, für die es angesichts von Arthur Arbessers Doppelverpflichtung eine umso stärkere eigenständige Identität braucht: Die Doppelübung gelang.

Versailles auf LSD. Enttäuschend verlief eine andere Designerpremiere: Massimo Giorgetti, mit seinem flotten Mailänder Label MSGM ein Liebkind der italienischen Modeszene, zeigte sich bei Pucci mit der Aufgabe, ein traditionsreiches Haus in die Zukunft zu führen, überfordert. Giorgettis Vorgänger bei Pucci, der Norweger Peter Dundas, versuchte indessen, seinem neuen Arbeitgeber, Roberto Cavalli, eine andere Vibe zu geben. Diese Premiere verdiente schon eher Applaus, wenngleich man Dundas' Ansinnen, sich aus Cavalli-Archiven inspirieren zu lassen, den oft erstaunlich körperfern geschnittenen Entwürfen nicht ansah.

Eine der besten Kollektionen in Mailand zeigte Donatella Versace und zwar, das ist bemerkenswert, schon zum zweiten Mal in Folge: Die Firma bereitet sich auf einen Börsengang 2016 vor, und die Grundenergie ist ausgezeichnet. Eine Show in neuem Industriearchitektur-Setting zu Techno-Musik ergänzte beeindruckend eine Großstadtdschungel-Safari-Kollektion, die Versace-gemäß mit viel Sexiness daherkam, zugleich aber geschmackvolle Garderobevorschläge beinhaltete. Versaces Sommermode ist zwar keine Hommage an die berühmte Safari-Kollektion von Yves Saint Laurent, doch eine gelungene Variation des Themas.

In der zweiten Saison von Alessandro Michele als Chefdesigner bei Gucci gehört seine Generalsanierung der Markenästhetik weiterhin zu den spannenderen Kapiteln der Mailänder Mode. Inspirationen kamen diesmal aus dem etwas entlegenen Eck der französischen Klassik: Die „Carte du Tendre“ von Madame de Scudéry ist zwar Romanisten ein Begriff, die Gucci-PR musste allerdings kurz den Larousse bemühen. Eine Parallele zur Literatur war am ehesten, dass auch Micheles kunterbuntem Klamottenladen ein bisschen „Editing“ ganz gutgetan hätte. Viele Einfälle gab es da, manche waren ganz lustig, in ihrer Gesamtheit aber doch zu sehr „Versailles auf LSD“.

Starke Handschrift. Viel Mut zu Farbe zeigte in seinem 41. Firmenjahr Giorgio Armani, sowohl in der Zweitlinie Emporio als auch in der Hauptkollektion. Dass Herr Armani freilich keineswegs nur als ein Meister der Nichtfarben zu gelten hat, zeigt ein Besuch des neu errichteten Ausstellungsraumes in Mailands Via Borgognone, im Herzen des Kreativviertels Zona Tortona. Armanis Mode gefällt freilich stets ästhetisch anspruchsvollen Frauen ohne Sinn für Schabernack. Für sie präsentieren in Mailand auch Labels wie Marni oder Jil Sander ihre Kollektionen.

Rodolfo Paglialungas Arbeit für Sander enttäuschte diesmal leider – das Wort Langeweile sollte einem während einer Modewoche dann doch nicht in den Sinn kommen. Consuelo Castiglioni hatte bei Marni deutlich bessere Einfälle – Colour-Blocking und großflächige Mesh-Oberflächen oder aus Kreisflächen zusammengesetzte Kleider erinnerten vage an Pop-Art: verspielter Klassizismus erster Güte.

Während die Marni-Frau eher in der Kunstwelt zu Hause ist, stach Tomas Maier als Kreativdirektor von Bottega Veneta mit seiner Kundin diesmal in See. Wunderliche Neopren-Kleider mit Zickzack-Steppnähten, aufgesetzte Kordel-Ornate und Ösenhalterungen für Spaghettiträger sind unter Umständen in dem Preissegment, in dem Bottega sich bewegt, ein wenig deplatziert. Ein gutes Händchen für den mit ihrer Modelinie assoziierten Look bewies in Mailand einmal mehr Veronica Etro: Die Vielfalt der Muster, mit der man Etro verbindet, passt nicht zu jedem Modetrend. Da aber heute der Wiedererkennungsfaktor einer charakteristischen Markenästhetik aufgrund des starken Mitbewerbs oft wichtiger ist als die Saison um Saison erneuerte Anmutung, hat Etros „Nomadic Garden“ beste Chancen, Wurzeln zu schlagen.

Berüchtigt unberechenbar ist Miuccia Prada, die es stets aufs Neue schafft, ihre Gäste zu überraschen: Ein Nachdenkprozess über das Gut-angezogen-Sein, Normativität von Geschlechterrollen, das Spiel mit dem Schönen und Hässlichen charakterisieren ihre Arbeit – auch in der Sommerkollektion, die eine Reflexion über das gebrochene und gelayerte Kostüm sein soll.
Nicht so sehr an ständiger Neuerfindung arbeiten Domenico Dolce und Stefano Gabbana: Ihre Kollektionen sind etwas vorhersehbar geworden, umso wichtiger wird das Präsentationsformat: Diesmal zeigte man eine Selfie-Modeschau. Models knipsten auf dem Laufsteg allerlei Schnappschüsse, das Ganze wurde über Instagram in die Welt getragen und obendrein im Show-Theater auf große Bildschirme gestreamed.

Wenn man vor lauter Bilderflut vergaß, die Kleider auf dem Laufsteg zu betrachten, war das kein Drama: Das Motto „Italia is Love“ hatte schon im Vorfeld eine gute Vorahnung gegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.