"Sicario": Ein Gesamtkunstwerk des Unbehagens

Sicario
Sicario(c) Constantin Film/ Richard Foreman, Jr. SMPSP
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Denis Villeneuve arbeitet meisterhaft mit den Mitteln des Horrorkinos. Die Ahnung von Gewalt durchzieht jede einzelne Szene. Aber gerade weil dieser Thriller so perfekt funktioniert, bleibt er fragwürdig.

Das Böse ist immer und überall. Das macht schon die Eröffnungssequenz von „Sicario“, dem finsteren neuen US-Thriller des frankokanadischen Regisseurs Denis Villeneuve, unmissverständlich klar. Bei einer FBI-Geiselbefreiungsaktion in Arizona unter der Leitung der Agentin Kate Mercer (Emily Blunt) werden die Leichen der Entführten im Mauerwerk des gestürmten Hauses entdeckt. Die Kamera fährt auf sie zu, gebannt von diesem grausigen Sinnbild eines namenlosen Schreckens, in dessen Schatten der ganze Film stehen wird. Kurz darauf fallen Teammitglieder Kates einer Sprengfalle zum Opfer, verantwortlich für das Blutbad ist ein mexikanisches Drogenkartell.

Die junge Ermittlerin sehnt sich danach, das Problem bei der Wurzel zu packen, und genau das bietet ihr Matt Graver (Josh Brolin) an – ein undurchschaubarer Einsatztruppenleiter mit dem Habitus eines gemütlichen Surfers, der zusammen mit dem nicht minder mysteriösen Alejandro (Benicio del Toro) einen unantastbaren Oberboss in Ciudad Juárez, der Welthauptstadt der Drogenkriminalität, zur Strecke bringen will.

Fatalistische Genremechanik

In Folge begibt sich Kate auf den Weg durch sämtliche Kreise der Hölle, ins Herz der Finsternis und darüber hinaus. Bald zeichnet sich ab, dass ihre Anwesenheit eher geduldet als geschätzt wird, und die meiste Zeit kann sie nur tatenlos zusehen, während sich ihre neuen Vorgesetzten, ohne mit der Wimper zu zucken, über jedes Recht und jede Moral hinwegsetzen, um ans Ziel zu gelangen. Der „War on Drugs”, so legt der Film nahe, ist vom „War on Terror“ nicht zu unterscheiden: Beide fordern im Angesicht eines skrupellosen Widersachers den seelischen Ausverkauf aller Beteiligten, beide können nicht gewonnen werden – nur stabilisiert. In seiner Verschränkung fatalistischer Genremechanik mit politischer Bestandsaufnahme wirkt „Sicario“ (in Mexiko ein dem Lateinischen entlehnter Begriff für Auftragskiller) wie eine albtraumhafte Kreuzung aus „No Country for Old Men“ der Coen-Brüder und Kathryn Bigelows prekärer Bin-Laden-Hatz „Zero Dark Thirty“; mit Ersterem teilt er sich gar einen Darsteller (Brolin) und den Kameramann (Roger Deakins).

Noch stärker als Villeneuves Vorgänger „Prisoners“ arbeitet „Sicario“ mit den Mitteln des Horrorkinos. Die Ahnung von Gewalt durchzieht jede Szene, und wenn sie ausbricht – wie in einer meisterlich inszenierten Auseinandersetzung auf der Autobahn nahe der mexikanischen Grenze – ist sie schnell, brutal und gnadenlos. Der Film überwältigt als Gesamtkunstwerk des Unbehagens: Seine sonnengebleichten Breitwand-Einstellungen summieren sich zu einer trockenen Bilderwüste, Jóhann Jóhannssons Soundtrack klingt stellenweise, als würden sich die Pforten des Hades in Zeitlupe öffnen. Das Narrativ kennt kein Pardon: Als sich Kate einen kurzen Moment der Entspannung gönnt, wird sie sofort für diese Nachlässigkeit bestraft.

Die Filmemacher leisten an allen Fronten Präzisionsarbeit, um ihr Publikum der bedrückenden Atmosphäre zu unterwerfen. Auch das Schauspiel ist formidabel: Besonders del Toro gebietet Ehrfurcht als wortkarger Söldner, der seine Menschlichkeit gegen kalte Entschlossenheit eingetauscht hat, und Blunt vermittelt glaubhaft den stetigen Zerfall ihrer Selbstgewissheit.

Weltbilder totaler Korruption

Aber gerade weil er so gut funktioniert, ist „Sicario“ ein äußerst fragwürdiger Film. Villeneuve will ihn als kompromisslosen politischen Kommentar verstanden wissen, doch sein haltloser Zynismus ist im zeitgenössischen Popkultur-Klima schon längst salonfähig. Die Ausweitung der moralischen Grauzone macht sich vor allem im US-Fernsehen bemerkbar, wo restlos desillusionierte Serien wie „Game of Thrones“ und „House of Cards“ zu den größten Erfolgen zählen. Wertentleerte Weltbilder totaler Korruption und Verunsicherung sind keine radikale Geste mehr – sie bestätigen bloß die gängige Haltung, dass eh alles wurst ist und sich daher auch nix ändern muss.

Die Besetzung einer Frau in der zentralen Rolle ist überdies weniger progressiv, als sie zunächst anmutet: Kate bleibt bis zum Schluss ein hilfloser Spielball der Männerbünde, die sie umgeben und ausnutzen. (Weibliche) Empfindsamkeit: Das ultimative Handicap im „Land der Wölfe“, wie Alejandro die Stadt Juárez umschreibt. Und obwohl „Sicario“ diese Misere zu betrauern scheint, schlägt er aus ihr einen Großteil seines Spannungskapitals.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2015)

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