Landestheater Niederösterreich: Zickenkrieg im Zauberwald

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Mit Shakespeares "Sommernachtstraum" startete die Saison in St. Pölten. Die Inszenierung hat vulgären Witz, feinsinnig ist sie nicht.

Die schöne Helena tobt. Sie schreit und spuckt und schlägt und fragt sich: Was wird hier für ein Spiel gespielt? Gerade noch wollte keiner der beiden Athener Jünglinge, Demetrius und Lysander, etwas von ihr, jetzt umgarnen sie beide und kriechen ihr mit den Fingern die Schenkel hoch. Die Szene ist nur eine Etappe der Tour de Force, die die vier jungen Verliebten durch den Zauberwald in Shakespeares „Sommernachtstraum“ treibt, der am Freitag in St. Pölten Premiere hatte. Es ist nicht die einzige Szene, in der unter Röcke geschaut, gegriffen und gezüngelt wird – die Inszenierung ist voller sexueller Anspielungen.

Es ist aber auch nicht die einzige Szene, in der gebrüllt, gezetert und grob gepackt wird, was sich packen lässt. Kraftvoll und ruhelos lenkt Regisseur Sebastian Schug die Figuren durch den Wald: Die junge Hermia (Lisa Weidenmüller) flieht hierhin mit ihrem Geliebten Lysander (Jan Walter), den sie in Athen nicht heiraten darf. Der ihr versprochene Demetrius (Pascal Gross) und die in diesen verschossene Helena (Swintha Gersthofer) folgen den beiden. Letztere bricht überzeugend abwechselnd in tiefe Enttäuschung, pubertäre Verzweiflung und rasende Wut aus, als das sommernächtliche Verwirrspiel – ausgelöst durch einen Zaubertrank – seinen Lauf nimmt. Schließlich artet das jugendliche Liebeschaos in Zickenkrieg aus: Da fliegen die High Heels, da werden Haare gerauft, übelste Drohungen ausgesprochen – und Helena flieht Hals über Kopf quer durch die Zuschauerreihen. Es ist eine amüsante, kurzweilige Vorstellung, die aber keine Zwischentöne zulässt: Zauberhaft ist dieses Spiel nicht.

Auch in den anderen Handlungsebenen vermisst man zuweilen das Märchenhafte, und die Szenen gestalten sich durchaus klamaukig: So ist der Elfenkönig Oberon (Lukas Spisser) ein anzüglicher Macho in Glitzer-Shorts, der sich mit seinem Hofnarren, Puck, so manchen Scherz erlaubt. Dieser (Elzemarieke de Vos) trägt blonde Mähne, Netzstrümpfe und Glitzerjäckchen und ist so gar nicht schelmisch, sondern ein debil angehauchter Vamp. Auch anderswo wird mit Geschlechterrollen gespielt, ein männlicher Elf im blinkenden rosa Tüllkleid tänzelt da etwa durch die Szenerie. Der Handwerker Zettel (Tobias Voigt), der in einen Esel verwandelt wurde, taumelt brünstig grunzend, mit Bondage-Maske und angeschnalltem Plastik-Penis über die Bühne – schließlich war der Esel schon in der Antike ein Symbol für Potenz und Fruchtbarkeit.

Ausgedehnter Sterbekampf

Freilich ist der vulgäre Witz nicht ganz abwegig (wenn auch nicht gerade originell) in einem Stück, das unter anderem von Sexualität als Machtmittel und selbstzerstörerischer Leidenschaft handelt. In der St. Pöltner Inszenierung, die Bettina Herings letzte Spielzeit als Intendantin einleitet, wirkt es etwas brachial und erschöpft sich mit der Zeit. Auflockernd ist da am Ende das Stück im Stück, das die Handwerker aufführen: Die Liebenden liegen sich selig in den Armen, während Michael Scherff als Thisbe in einem übertrieben ausgedehnten Sterbekampf quer durch Parkett und Loge das Publikum zum Brüllen bringt.

Nettes Detail: „Der Rest ist Schweigen“ sind ihre letzten Worte. Apropos Worte: Die Übersetzung von Angela Schanelec wird um effektvoll eingesetztes Neusprech erweitert: „Voll arg“ heißt es da etwa oder „Da ist ja kein Athener weit und breit – boring!“ Dazwischen wird noch gesungen, am Ende etwa: „You need the drugs to make you shine.“ War dieser Sommernachtstraum etwa nichts als ein Drogenrausch?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2015)

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