Starke Frauen: Wunsch nach Kraft

Kathrin Elias und Martina Lang (v. l.) im Crossfit-Studio.
Kathrin Elias und Martina Lang (v. l.) im Crossfit-Studio.Die Presse
  • Drucken

Frauen entdecken zunehmend Kraftsportarten für sich. Das verändert auch ihr Körperbild – Frauen mit muskulösen Körpern sind schon längst zum Vorbild für viele geworden. Doch welche Motivation steckt dahinter?

Die Frau hat keine leichte Aufgabe in der Hand. Mit offensichtlicher Anstrengung und hoch konzentriert drückt sie die beiden Hanteln in die Höhe. Einmal, zweimal, dreimal. Ihr Blick ist angestrengt, als sie wie ein Boxer vor dem Kampf Springschnur springt, Sit-ups mit einem Ball in der Hand macht – und schließlich die Boxhandschuhe anzieht, um mehrmals gegen einen Sandsack zu schlagen.

Ein ganz normales Fitnessvideo, wäre es nicht die First Lady of America, Michelle Obama, die hier (im Zuge einer Kampagne) ihr tägliches Training in der Kraftkammer öffentlich macht. Die Frau des Präsidenten trifft damit einen Nerv der Zeit. Ihre muskulösen Oberarme sind längst ein Vorbild für Millionen von Menschen geworden. So wie der durchtrainierte Oberkörper von Schauspielerin Cameron Diaz und die Kurven von Sängerin Beyoncé, die sich ebenfalls für Michelle Obama mit Hanteln in der Hand filmen ließ.

Wer dieser Tage in Wien durch Fitnessstudios streift, wird eine ähnliche Entwicklung sehen: Frauen mit kräftigen Oberkörpern (oder auf dem Weg dorthin) heben Kugelhanteln und verziehen das Gesicht unter dem Gewicht von Stangen mit 40-Kilo-Ringen an jeder Seite. Fitnesskurse, in denen Kniebeugen, Strecksprünge und Ausfallschritte die Luft zum Dampfen bringen, sind regelmäßig mit weiblichen Teilnehmern voll. Yoga, Pilates, Zumba – die bei Frauen beliebten Work-outs – gibt es noch in Hülle und Fülle. Sie werden aber zunehmend von Kraftkursen verdrängt.

110 Kilo mit der Langhantel. „Dein Körper ist echt krass.“ Diesen Satz hat die 29-jährige Kathrin Elias gerade eben wieder im Fitnessstudio gehört, als sie Gewichte auf einer Bank in die Höhe stemmte. Gerade etwas mehr als 1,65 Mehr groß kann die blonde, hübsche Frau mehr als 110 Kilo mit der Langhantel hochheben. An ihrem Körper gibt es kein Gramm Fett, die Oberarmmuskeln heben sich gut definiert vom Rest ihres kompakten Körpers ab. Kathrin Elias und ihre 27-jährige Kollegin Martina Lang gehören zu jener Gruppe Frauen, die die neue Art von Körperlichkeit stolz zeigen. Stärker als viele Männer, leistungsfähig, unübersehbar aufrechter Gang – ohne übertrieben aufgeblasen zu wirken. „Ich habe Bodybuilder nie als ästhetisch empfunden. Aber das hat damit zu tun, dass ich immer wollte, dass mein Körper eine Leistungsfähigkeit an den Tag legt. Genauso wie ich will, dass sich mein Gehirn angeregt fühlt“, sagt Elias.

Nackt gut aussehen. Zum Crossfit sind die beiden zufällig über Freunde gekommen. Mittlerweile arbeiten beide als Trainerinnen. Die eine Vollzeit, die andere Teilzeit – und sie beobachten an sich selbst und anderen einen Wandel. „Vor fünf Jahren war ich noch froh, wenn eine zweite Frau im Training da war, mittlerweile sind es deutlich mehr Frauen als früher“, sagt Elias. Und es kämen regelmäßig neue hinzu. Als Motivation für ihr Training nennen die Frauen immer das Gleiche: Sie wollen sportlicher und gesünder sein. Zumindest lautet so die offizielle Antwort, wenn sie gefragt werden. „Wenn man sie dann inoffiziell fragt“, sagt Elias, „dann kommt zu 90 Prozent die Antwort: ,Ich möchte nackt gut aussehen.‘“

Möglichkeiten, ihre Körper zu stählen, haben die Kundinnen genug. Bei den jetzt modernen Kraftsportarten wie Crossfit oder HIIT (High-Intensity Interval Training, siehe Artikel unten) arbeitet man immer hochintensiv und definitiv außerhalb der Komfortzone. „Das Ziel ist, so sehr an deine Grenzen zu gehen, wie es an dem Tag, zu der Uhrzeit und in dem Lebensabschnitt für dich möglich ist“, meint Elias.

Dafür wird jeden Tag ein neues Kern-Work-out zusammengestellt, das unter der Anleitung eines Trainers und individuell angepasst durchgeführt wird. Anders als sonst trainieren Frauen und Männer dezidiert gemeinsam. Zum Training werden Gewichte, Ringe, Klimmzüge und Hanteln in jeder Variation verwendet – alles Dinge, die man bisher eher Männern zugeschrieben hat. Wobei Crossfit eben nicht zum reinen Ausbilden von Muskeln gedacht ist, sondern ein ganzheitliches Trainingsprogramm sein soll. Die Fitness des Körpers ist dabei ein Kreis, der sich in alle Richtungen gleich ausprägen soll. Wer also gut im Laufen ist, muss mehr Kraftübungen machen und umgekehrt.

Am Ende steht nicht der perfekte Körper, sondern die perfekte Leistung. „Ich mag meinen Körper. Aber nicht nur, weil er durchtrainiert ist, sondern weil ich weiß, was er leisten kann“, sagt Lang, die ihre Haare, ebenso wie Elias, offen über den Schultern trägt. Auch Jugendforscher Philipp Ikrath glaubt, dass hinter den kraftvollen Frauenkörpern etwas anderes steckt als der Wunsch nach vielen Muskeln. „Ich glaube nicht, dass es dabei um eine ästhetische Frage geht“, sagt er. „Ich glaube, dass ein muskulöser Körper etwas aussagt: Kraft, Durchhaltevermögen, Selbstbewusstsein. Und das trifft heutzutage auch auf Frauen zu. Warum sollten Frauen daher nicht auch einen wettbewerbsfähigen Körper wollen?“


Viele Akademiker. Anders formuliert: Wenn Frauen beruflich das Gleiche wollen wie Männer, warum sollten sie dann auch einen anderen Körper haben? Auch glaubt Ikrath, dass man es sich in einer gewissen Gesellschaftsschicht nicht mehr leisten kann, untrainiert und nicht gepflegt auszusehen. „Die Wettbewerbsfähigkeit wird auf den Leistungsträger reduziert“, sagt er. In den Crossfit-Vienna-Clubs The Loft und The Dungeon im siebten und achten Bezirk, wo Elias und Lang trainieren, sind es jedenfalls vor allem Akademiker und Hochgebildete, die sich dem Training aussetzen.

Angst vor zu vielen Muskeln. Wobei gerade bei Frauen, die neu anfangen, immer die Angst mitschwingt, zu muskulös oder zu breit zu werden. Sie sehe das besonders oft in den Probestunden, sagt Elias. „Die Frauen mustern mich dann von oben bis unten und sagen: Na ja, ich möchte aber nicht zu breit werden oder nicht zu trainiert aussehen.“ Großes Gelächter. Auch Lang erlebt das immer wieder: „Ich sage dann: Ich trainiere zwei bis drei Stunden am Tag und wenn ihr das auch wollt, dann wird euer Körper auch mehr Muskeln aufbauen.“ Bei einer Stunde werde das aber nicht so stark der Fall sein.

Dabei steht die Angst der Frauen auch für ein Missverständnis. Für Lang und Elias haben sich ihre Körper so entwickelt, weil sie ihre Leistungsfähigkeit erweitern wollten. Die Motivation kam von innen – und hat sich halt in Muskeln geäußert und nicht umgekehrt. „Ich habe oft das Gefühl, dass wenn man einer Frau sagt, dass sie stark sein wird, man zuerst zum Ausdruck bringt, dass sie schwerer oder breiter sein wird“, sagt Elias. Dabei gehe es auch um Selbstbewusstsein, Auftreten und Selbstwert.

Auch dass man muskulösen Menschen gern vorschnell die Intelligenz abspricht, findet sie nicht in Ordnung. So wie ihre Kunden haben viele der Trainer bei Crossfit Vienna ein Studium abgeschlossen. Lang bald ihr Kunststudium, einer ihrer Kollegen Chemie und Elias selbst hat BWL absolviert und im Finanzbereich gearbeitet.

Trotzdem wird es wohl noch eine Weile dauern, bis sich das neue Frauenbild durchsetzt. Denn noch fallen die beiden auf. „Wir leben in einer Blase“, sagen beide. Die Art von Aufmerksamkeit, wie Elias sie im Fitnesstudio erlebt hat, ist für sie Alltag. Als Crossfit-Trainerin ist sie beruflich viel unterwegs – und wird in neun von zehn Fällen beim Security-Check auf dem Flughafen angesprochen. Lang war kürzlich auf einer Hochzeit, wo sie „mehr Oberarm hatte, als die Hälfte alle Männer“ vor Ort. „Mich hat einmal ein Kunde gefragt, wie ist das so ist, wenn man dann dauernd angestarrt wird“, sagt Elias. Sie findet das in Ordnung. Erstens, weil sie gern Role Model ist. Zweitens, weil die Reaktionen grundsätzlich positiv seien. Und: „Es ist total okay, wenn jemand sagt: ,Das ist nicht mein Körperbild.‘“

Die Angst der Mutter. Widerstand gab es dafür seitens der Familie. Langs Mutter hatte anfangs Angst, dass die Tochter sich mit Anabolika Muskeln auftrainieren könnte, um nachher als Bikini-Model von Wettbewerb zu Wettbewerb zu fahren. „Sie als gut gebildete Person hatte keine Ahnung, was es heißt, mental und körperlich stark zu sein. Und dass eine innere Stärke auch im Körper zum Ausdruck kommt“, sagt Lang. Mittlerweile sei die Mutter aber stolz auf die Tochter. Langs kleine Schwester hat nun ebenfalls zu trainieren begonnen.

Und was heißt das langfristig? Dass sich Frauen und Männer immer mehr annähern? Ja, glaubt Trendforscher Ikrath. Und zwar in beide Richtungen. „Wir sehen ja jetzt auch schon die Gegenbewegung, dass Männer, die behaart sind, als unhygienisch empfunden werden.“ Kathrin Elias und Martina Lang sehen starke Frauenkörper jedenfalls auch als Ausdruck von Emanzipation. Und wenn mehr Menschen begreifen würden, dass „stark“ etwas mit innerer Stärke zu tun hat, meinen sie, dann wäre schon einmal viel getan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kraftsport
Mode

Raus aus der Komfortzone

Ob drinnen oder draußen, allein oder gemeinsam. Die aktuellen Fitnesstrends verlangen einem alles ab.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.