Grabstätten statt Gehalt: Am Balkan wird mit Naturalien bezahlt

Die Wirtschaft läuft in vielen Staaten Ex-Jugoslawiens schlecht. Das spüren auch die Arbeitnehmer.
Die Wirtschaft läuft in vielen Staaten Ex-Jugoslawiens schlecht. Das spüren auch die Arbeitnehmer.(c) REUTERS (MARKO DJURICA)
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Lieber Ziegelsteine als gar keinen Lohn: In den Staaten des früheren Jugoslawien werden Beschäftigte immer öfter mit Naturalien entlohnt.

Belgrad. Mehr als sechs Monate warteten die 315 Angestellten der serbischen Schmuckfabrik Zlatara Majdanpek vergeblich auf ihr Gehalt. Schließlich hatte ihnen ausgerechnet die von ihnen geprägte Gottesmutter Maria zumindest die Teilerlösung aus ihrem langen Jammertal zu bringen. Weil der in Zahlungsschwierigkeiten geratene staatliche Betrieb die aufgehäufte Schuldenlast gegenüber seinen Beschäftigten nicht begleichen konnte, entlohnte er sie im September schließlich mit goldenen, aber unverkäuflichen Gedenkmünzen: Im Durchschnitt habe jeder Beschäftigte an die 25 Golddukaten mit einem Gewicht von jeweils zwei Gramm erhalten, vermeldete die sichtlich erleichterte Werksdirektorin Milica Jasenski: „Acht Kilo Goldmünzen hätten wir nie verkaufen können.“

Für ganze zehn ihr noch zustehende Monatsgehälter habe sie nichts als Münzen erhalten, die sie für maximal 100.000 Dinar (830 Euro) verkaufen könne, klagte daraufhin die Angestellte Milena Vodanovic: „Das ergibt ein Monatsgehalt von 83 Euro – und ist alles andere als fair.“ Die Gewerkschaft ist da ungleich versöhnlicher und kleinlauter. Im Wesentlichen seien die Beschäftigen des Betriebes „zufrieden“, versicherte der Gewerkschafter Dejan Matejevic: „Sie machen Verlust, aber das ist besser, als gar nichts zu erhalten.“

Naturalien aller Art

Tatsächlich sehen sich immer mehr Arbeitnehmer in den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien mit dem Problem konfrontiert, dass Gehälter oft monatelang nicht ausbezahlt werden. Ob angeschlagene staatliche oder private Firmen: In Zahlungsschwierigkeiten geratene Unternehmen gehen angesichts der wirtschaftlichen Situation immer häufiger dazu über, ihre Arbeitnehmer in Naturalien zu bezahlen.

Die Naturalienbezahlung sei keineswegs mehr eine Seltenheit, berichtet der Gewerkschafter Tane Peulic in der mit 200.000 Einwohnern zweitgrößten bosnischen Stadt Banja Luka. Auf dem Bau würden die Arbeiter immer häufiger mit Backsteinen, Ziegeln, Werkzeug oder Fliesen entlohnt und in der Holzindustrie entsprechend mit Möbeln. Es komme sogar vor, dass Beschäftige ihre Löhne in Gestalt von Abflussrohren erhielten: „Wenn der Arbeitgeber kein Geld hat, stimmen die Arbeiter notfalls jeder Bezahlung zu.“

Erinnerung an 1990er-Jahre

Bei der Rückkehr zur Entlohnung in Naturalien fühlen sich Ökonomen zunehmend an das katastrophale Kriegsjahrzehnt der 1990er-Jahre erinnert. Auch während der damaligen Hyperinflation seien die Gehälter oft in Naturalien ausgezahlt worden, erklärt die Belgrader Wirtschaftsprofessorin Slavica Manic: „Aber das waren Nahrung und andere Utensilien für das alltägliche Leben. Mit Goldmünzen lassen sich Kinder kaum ernähren.“

Ob Gutscheine für den Einkauf in firmeneigenen Möbel-, Baustoff- oder Supermärkten oder die Vergabe von Lebensmitteltüten statt Gehältern: Die immer populärer werdende Praxis der Entlohnung in Naturalien beobachten die ohnehin schwachen Gewerkschaften mit entsprechender Besorgnis. Naturalienbezahlung sei während der UNO-Sanktionen und während des Bombardements durch die Nato-Streitkräfte üblich gewesen, sagt Zoran Mihajlovic von Serbiens Verband der unabhängigen Gewerkschaften. Problematisch sei nicht nur die Berechnung des Gegenwerts der erhaltenen Waren: „Arbeiter, die schon lang keine Gehälter mehr erhalten haben, stimmen allem Möglichen zu“, so der Arbeitnehmervertreter.

Lieber Brennholz als Grab

Goldmünzen lassen sich wenigstens versilbern. Andere Beschäftigte faktisch bankrotter Betriebe haben mehr Schwierigkeiten, für ihre Arbeit noch irgendeine brauchbare Gegenleistung zu erhalten.

Für Schlagzeilen sorgte im vergangenen Jahr die bizarre Offerte der Stadtwerke im südserbischen Kurort Vrnjačka Banja: Als Ausgleich für die nicht ausbezahlten Gehälter bot der Kommunalbetrieb gratis Grabplätze für Beschäftigte und deren Angehörige an. Es meldeten sich nur zwei Interessenten: Der Rest ließ sich lieber mit Brennholz ausbezahlen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)

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