Goodbye Hipster, hello Yuccie!

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Eben wurde der viel verspottete Hipster für tot erklärt, schon ist ein Nachfolger gefunden: der Yuccie. Er will Karriere machen - und sieht immer noch wie ein Hipster aus.

Es ist, zugegeben, ziemlich einfach, sich über ihn lustig zu machen. Dieser Bart! Diese Nerdbrille! Unter dem Holzfällerhemd blitzt das eine oder andere Tattoo hervor. Er fährt mit dem Rad (so öko!) vom Flohmarkt kommend, wo er sich mit Vintage-T-Shirts eingedeckt hat, zu seinem IT-Start-up, wo er Bio-Fairtrade-Kaffee mit Sojamilch trinkt. Den trank der Hipster schon, darauf legt er Wert, als der Rest der Stadt noch gar nicht wusste, wie Sojamilch schmeckt. Denn wenn der Hipster etwas für sich beansprucht, dann, dass er alles schon früher kannte als die breite Masse, zu der er sich – Gott bewahre – nicht zählt. Oder, anders gesagt (auch das ein Witz über Hipster): Er hatte schon Follower, bevor es überhaupt Twitter gab.

Ja, es ist ziemlich einfach, sich über den Hipster lustig zu machen. Vor wenigen Tagen erst wurde eine Gruppe Hipster in Schweden ob ihrer Vollbärte (und weil sie ungünstigerweise eine schwarze Flagge mithatten) für IS-Terroristen gehalten, Polizeieinsatz inklusive. Noch selten ist über eine Jugendkultur so viel Häme und Hass hereingebrochen, ist eine Jugendgruppe mit so viel Spott versehen und so pauschal als Sündenbock – für die Gentrifizierung ganzer Stadtviertel, für ihr politisches Desinteresse, für ihren Pseudoindividualismus – verwendet worden. Bemerkenswert ist das auch deshalb, weil die Hipster, anders als andere Jugendbewegungen wie Punks oder Rapper, die bewusst provozieren wollen, eine friedliche Gruppierung sind, die abseits von Bart und Mode und der Riesenportion Ironie, mit der alles und jeder versehen wird, nicht sehr auffällig agieren.

Jetzt ist der Hipster jedenfalls offiziell für tot erklärt worden, auch wenn man auf den Straßen von Berlin-Prenzlauer Berg und Wien-Neubau eher einen gegenteiligen Eindruck bekommt. „Der Hipster ist tot!“ schreibt das Feuilleton dies- und jenseits des Atlantik. In den Rufzeichen, die hinter die Titel gesetzt wurden, schwingt unübersehbare Begeisterung mit: Endlich! Ausgerufen hat das Ende des Hipsters ein Parade-Vertreter der Gruppe (gut gebildet, Radfahrer mit Schnauzbart, lebt in einem, nun, hippen Viertel von Brooklyn), der nicht mehr als Hipster bezeichnet werden will: David Infante, ein 26-jähriger Autor, hat als neue Jugendbewegung den Yuccie ausgerufen: Yuccie steht für „Young Urban Creative“ (und wird, vielleicht eine eher ungünstige Konnotation, ausgesprochen wie „yucky“, was sich wiederum mit „grauslich“ übersetzen lässt).

Der Yuccie also ist, wenn man so will, der neue Hipster. Man könnte auch sagen: Der Hipster ist ein bisschen älter geworden (Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung verortet die Hipster in der Altersgruppe zwischen 16 und 30 Jahren) und will jetzt Geld verdienen. Er sieht immer noch aus wie ein Hipster, arbeitet immer noch „irgendwas mit Medien“, im PR-Bereich oder hat ein Start-up gegründet (Hauptsache kreativ), will aber – daher die Anspielung an den Yuppie der 1980er – auch Karriere machen.

Das sei auch einer der wenigen Unterschiede zwischen Yuccie und Hipster, sagt Jugendforscher Ikrath. „Für den Hipster ist das Geldverdienen nicht das oberste Ziel, was nicht heißt, dass er nicht trotzdem Geld verdient.“ Der Yuccie will nicht nur kreativ, sondern dabei auch finanziell erfolgreich sein.

Wie der Hipster ist auch der Yuccie ein begnadeter Selbstdarsteller, der möglichst individuell sein will (und dabei, so der alte Vorwurf, übersieht, dass er genauso aussieht wie die anderen), ist kreativ, gut gebildet, lebt in angesagten Vierteln einer Großstadt, ist modebewusst (sehr, sehr modebewusst) und technikaffin.

Den Mainstream lehnt er ab, „er ist konsumkritisch, konsumiert aber trotzdem gern“, sagt Ikrath. Dafür brauchen Yuccie wie Hipster eine Geschichte: Sie trinken Wein, der aus diesem einen speziellen Weingut kommt. Die Marmelade: selbst eingekocht. Die Möbel: am Flohmarkt zusammengekauft und neu gestrichen. Die Musik: Indie, Alternative. Sie bevorzugen selbstverständlich Craft Beer – oder hängen ihren Spießerberuf als Jurist gleich an den Nagel, um selbst Craft-Beer-Brauer zu werden. (Letzteres Beispiel stammt von Yuccie-Erfinder Infante selbst.)

Das alles unterstreicht die Idealisierung des einfachen, bescheidenen Lebens, das schon der Hipster der 1950er (siehe Artikel rechts) hochhielt, wie Ikrath in seinem eben erschienenen Buch über die Hipster schreibt. All das sei aber keine Abkehr von den gesellschaftlichen Wertvorstellungen, sondern sei „bestenfalls eine moderate Form der lebensweltlichen Kritik am bewusstlosen Massenkonsum“.

Selbst eingekocht statt industriell gefertigt, selbst gestrickt statt bei der großen internationalen Modekette gekauft. Wobei – und das ist gleichermaßen das Dilemma der Hipster/Yuccies wie auch Zeichen ihrer Bedeutung – die Modeketten ihren Stil längst übernommen und für die breite Masse aufbereitet haben: Holzfällerhemden (und -blusen, denn natürlich gibt es auch die Hipsterin, wiewohl sie optisch weniger auffallen mag), Trucker-Kappen und Vintage-Leibchen für alle. Die einstige Subkultur ist längst tonangebend, zumindest ästhetisch.

Bedient haben sich die Hipster – die Bewegung nahm in den USA schon in den frühen 2000er-Jahren ihren Anfang – dabei übrigens beim sogenannten White Trash, der weißen Unterschicht, deren typische Merkmale – Vollbart, Holzfällerhemd, Tattoos, ärmellose Unterleibchen – sie übernommen haben und als – ironisches, natürlich – Statement tragen. Eine Solidarisierung mit der Gesellschaftsschicht, von der sie sich ihren Stil (Ikrath nennt das nicht unpassend „Proll-Ästhetik“) abgeschaut haben, ist damit aber nicht verbunden: „Die Symbole verweisen dabei auf nichts. Die Bezüge sind rein ästhetischer Natur.“

Tonangebend

Auch abseits der ästhetischen Ebene sind die „Großstadt-Holzfäller“ (© „Süddeutsche“) für Ikrath nicht nur nicht tot, sondern im Gegenteil – möglicherweise künftig eben unter dem neuen Label Yuccies – eher dabei, noch stärker an Bedeutung zu gewinnen. „Man darf nicht vergessen: Das sind gut gebildete, urbane Kinder der oberen Mittelschicht, die jetzt schon kulturell einflussreich sind. Wenn die erst einmal in den Führungsetagen sitzen, werden ihre Werte noch mehr an Einfluss gewinnen.“

Und für Nachschub sei gesorgt. Aus Befragungen von Jugendlichen weiß Ikrath, dass dieses Mindset auch bei den Jüngeren vorhanden ist: Möglichst individuell sein, sich gut vermarkten können, ein hohes Maß an Flexibilität mitbringen (und dabei nicht wissen, was die Zukunft bringt): Das findet man heute genauso bei einem Teil der 14-Jährigen. „Die nennen sich dann vielleicht nicht mehr Hipster und tragen keine Jutesäcke und schief geschnittenen Stirnfransen mehr“, die Geisteshaltung sei aber doch sehr ähnlich.

Für Ikrath sind die Hipster (bzw. Yuccies) überhaupt ein Produkt unserer gegenwärtigen Gesellschaftsordnung: Sie leben in der Gegenwart, hinken dem Zeitgeist nicht hinterher, lehnen ihn aber – wie frühere Jugendkulturen wie Hippies oder Punks – auch nicht ab, ja sie repräsentieren ihn perfekt. Sie gründen Start-ups, sind extrem auf ihr Äußeres bedacht, denken zuerst an sich selbst und leben im Hier und Jetzt.

Auch die Ironie als zentraler Modus, um sich mit der Unübersichtlichkeit der Welt auseinanderzusetzen, werde zwar speziell den Hipstern zugeschrieben, sei aber generell typisch für die Generation der Millennials (siehe Infobox). Den Vorwurf, Hipster seien so schrecklich unpolitisch, lässt Ikrath nicht so ganz gelten. „Unter den jüngeren Menschen ordnet sich fast niemand mehr einer politischen Richtung zu, das ist kein Spezifikum der Hipster.“

Interessant dabei, und das unterscheidet diese Jugendkultur von anderen, ist, dass sich Hipster ungern als Hipster bezeichnen oder sich dieser Gruppe zugehörig fühlen. Auch Patrick Ridlmair, der optisch manches Klischee des Hipster erfüllt, sieht sich nicht als Hipster. Für ihn ist die Bezeichnung „eine Modeerscheinung“, auch wenn er beruflich täglich mit vielen Männern zu tun hat, die man optisch des Hipstertums verdächtigen würde: Ridlmair arbeitet im Bobobezirk Neubau (Bobos sind sozusagen erwachsen gewordene Hipster) im Brothers' Barbershop, wo sich (nicht nur) Hipster ihre Bärte trimmen lassen. Ob sich die Hipster eher mit dem Begriff Yuccies anfreunden, der noch nicht so negativ besetzt ist, wird sich weisen: Noch wird Yuccie nicht so inflationär verwendet wie Hipster.

Alles ist im Fluss

Und was danach kommt? Generell, sagt Ikrath, verlieren die einzelnen Jugendszenen an Bedeutung: Zwar gibt es noch die Skater, die Technoszene, die Hip-Hopper, das Zugehörigkeitsgefühl der Jugendlichen werde aber weiter abnehmen. Demnach ist auch keine neue, große Jugendszene in Sicht, vielmehr sucht sich jeder aus den Gruppen, was ihm gefällt. „Alles ist im Fluss, nichts mehr greifbar.“ Extremes Beispiel dafür ist der Rapper Romano, der Elemente von Rap, Hip-Hop und Metal vereint. „Früher wäre das undenkbar gewesen: Metal und Rap waren immer verfeindet.“

Heute geht das okay. Die nächste Generation, für die irgendwann ein neuer Name gefunden wird, wird möglicherweise ein Sammelsurium aus Versatzstücken alter Jugendszenen sein. Ein bisschen Hip-Hop, ein bisschen Skater. Vielleicht. Und ziemlich sicher auch: eine Portion Yuccie.

Neues Buch

„Die Hipster. Trendsetter und Neo-Spießer“ des Wiener Jugendforschers Philipp Ikrath ist soeben bei Promedia erschienen (17,90 €, E-Book: 14,90 €).

Generation Y

Als Generation Y (oder Millennials) wird jene Generation bezeichnet, die etwa von 1990 bis 2010 im Teenageralter war.

Yuccies (Young Urban Creative) sind eine Mischung aus Hipstern und den karrierebewussten Yuppies (Young Urban Professionals) der 1980er.

Zahlen

1950In den 50er-Jahren wurde der Begriff „Hipster“ für eine Jugendsubkultur verwendet.

2000Anfang des 21. Jahrhunderts tauchte der Begriff als Bezeichnung einer neuen Jugendkultur wieder auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2015)

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Renaissance einer Jugendkultur

Die Hipster gab es schon in den 1950ern, die Gemeinsamkeiten mit der heutigen Generation halten sich trotz Namensgleichheit in Grenzen.

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