Die letzte Mission des Königs

GERMANY BIATHLON WORLD CUP
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Biathlon-Altmeister Ole Einar Björndalen ist einer der erfolgreichsten Sportler aller Zeiten. Der Norweger startet nun in seine 24. und letzte Weltcupsaison.

Schon oft sind Glanz und Mythos einer ganzen Karriere mit dem Aufschieben des Abschieds zerstört worden. Ole Einar Björndalen ist nun 41 Jahre alt, man könnte meinen, auch der norwegische Nationalheld hat den rechten Augenblick versäumt. Doch wenn jemand mit 40 noch in der Lage ist, Olympia-Gold in einer Ausdauersportart wie Biathlon zu gewinnen (Sotschi 2014), sind die Zweifel wohl unbegründet. Außerdem: Björndalen kennt sein „Ablaufdatum“. Der kommende Winter wird seine Abschiedssaison sein, das hat er bereits angekündigt.

Dem norwegischen Biathlonsport steht jedenfalls eine besondere Saison bevor, denn mitten in Björndalens Abschiedstour fällt vom 3. bis 13. März 2016 die Heimweltmeisterschaft in Oslo. Sie soll die große Bühne für den Abtritt der Legende werden. Weil Björndalen erklärt hat, sich in erster Linie auf Oslo zu konzentrieren, ist ihm auch der ganz große Coup zuzutrauen. Der Altmeister verfügt nach wie vor über die körperlichen und mentalen Fähigkeiten, noch ein oder zwei Siege einzufahren, bevor er das Gewehr endgültig in den Schrank stellt.

Nicht zuletzt dank Björndalen blickt Norwegen auf eine strahlende Biathlongeschichte zurück. Das skandinavische Team sieht sich in der Tradition, nicht nur Höchstleistungen zu vollbringen, sondern auch das beste zu sein. Die vergangene Saison beendeten die Herren zum zweiten Mal in Folge und zum vierten Mal in den vergangenen sechs Wintern mit dem Sieg in der Nationenwertung.

Bei der Heim-WM müssen mehr Goldmedaillen als je zuvor gewonnen werden, das ist der Anspruch der norwegischen Fans. Rund um den Holmenkollen wurden bereits neue Tribünen errichtet, unter der ältesten Skisprungschanze der Welt werden die Wettkämpfe stattfinden. Mitte November waren beinahe 60.000 Tickets verkauft. Auch zu den Siegerehrungen im 20 Autominuten entfernten Zentrum der Hauptstadt werden tausende Zuschauer erwartet.


Alkohol ist tabu. Sollte Björndalen in Oslo das Podest erklimmen, wäre er schon 42. Bei der Heim-WM ist der Altmeister aber auch als Teamleader gefragt. Der Druck auf die ohnehin hochkarätige Herrenmannschaft mit den weiteren Topstars Emil Hegle Svendsen und den Brüdern Johannes Thingnes und Tarjei Boe wird riesig sein. Allerdings hat auch kein anderes Team einen Mann mit acht olympischen Goldmedaillen, 19 WM-Titeln und 94 Weltcupeinzelsiegen in seinen Reihen, der noch dazu alterslos zu sein scheint. Johannes Thingnes, der jüngere der beiden Boe-Brüder, ist erst 22 Jahre alt, er könnte Björndalens Sohn sein.

Dass sich Björndalen in einem Sport mit derart hoher Leistungsdichte so lang an der Spitze gehalten hat, ist vor allem seiner Akribie und seinem Perfektionismus geschuldet. Der Routinier ist der leidenschaftlichste Analytiker unter den Biathleten.

Rigoros macht er sich daran, alle Faktoren auszuschalten, die seine Leistung in irgendeiner Art mindern könnten. Einige seiner Eigenheiten sind inzwischen legendär. Björndalen ist beispielsweise davon überzeugt, dass die Böden in den Hotels selten wirklich sauber sind. Früher hatte er deshalb stets einen eigenen Staubsauger dabei. Neuerdings bedeckt er den gesamten Hotelteppich mit Plastik. Eine Methode, die inzwischen Nachahmer gefunden hat. Wo auch immer Norwegens Langläufer oder Biathleten bei Großereignissen residieren, der Boden wird penibel abgeklebt. Ein solch hohes sportliches Niveau so lang zu halten, ist aber auch für Björndalen nicht ohne Entbehrungen möglich. Für Skandinavier eher untypisch beschloss er schon in seiner Jugend nach einem Vollrausch keinen Tropfen Alkohol mehr zu trinken. Björndalen zeichnet sich dabei durch absolute Konsequenz aus, nicht einmal nach seinen Olympia-Siegen hat er eine Ausnahme gemacht.

Der Norweger besitzt außerdem die Fähigkeit, sich zu quälen. Er selbst sieht die Schinderei im Ausdauersport aber gar nicht als Qual. Es gebe zwar unschöne Einheiten, die vor allem mental an die Substanz gehen würden, hat Björndalen einmal erklärt, aber daran habe er sich längst gewöhnt. Inzwischen habe sich bei ihm sogar eine Art Sucht danach entwickelt.

Noch immer übt sein Sport mit der Kombination aus extremer physischer Belastung in der Loipe und größtmöglicher Ruhe beim Schießen eine große Faszination auf den Routinier aus. Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Technik, der mentale Druck am Schießstand, das alles reize ihn mindestens so sehr wie früher. Kürzlich sagte Björndalen, sein Training sei trotz einiger gesundheitlicher Probleme im Frühsommer gut gelaufen. Bei den ersten Tests mit dem Team im Oktober am Holmenkollen war er ganz vorn mit dabei. Im schwedischen Östersund startet Björndalen nun in seine 24. Weltcupwinter.


Traumquoten. Zum Saisonauftakt wird heute vor der Mixed-Staffel die neue Single-Mixed-Staffel (13.30, live ARD) ausgetragen. Eine Frau und ein Mann bilden ein Team, beide müssen viermal schießen und die entsprechenden Runden laufen. Das neue Event diene vor allem dazu, weniger starken Nationen eine Medaillenchance in einem Teamwettbewerb zu geben, heißt es vonseiten der Internationalen Biathlon Union (IBU). Nicht jedes Land habe schließlich vier Topathleten für die herkömmliche Staffel.

Die IBU reagiert damit auf den Biathlon-Boom der vergangenen Jahre. Die Zahl der Zuschauer in den Stadien steigt ebenso wie die Präsenz im Fernsehen. Zu den ursprünglichen Rennen im Einzel und der Staffel kamen im Lauf der Zeit mit den Sprintrennen, dem Verfolgungsrennen und dem Massenstart immer neue Formate hinzu.

Deutschland ist das beste Beispiel für den Höhenflug des bewaffneten Langlaufs: Biathlon ist inzwischen der beliebteste Wintersport beim deutschen TV-Publikum, ARD und ZDF freuen sich regelmäßig über Traumquoten, der durchschnittliche Marktanteil der Liveübertragungen liegt bei knapp 25 Prozent. Während die IBU in der Vermarktung offenbar vieles richtig gemacht hat, haben es auch die TV-Macher geschafft, die Spannung der Wettkämpfe in die Wohnzimmer zu übertragen.

Dass das Konzept, das der Sportart zugrunde liegt, ein militärisches ist – die ersten Biathleten waren Skisoldaten –, stört dabei ebenso wenig wie die ständigen Dopingfälle. Auch der Biathlon blickt auf einige dunkle Kapitel zurück, darunter auch Episoden mit österreichischer Beteiligung. Die IBU hat nun die letzten Betrugsfälle aufgearbeitet und Sanktionen verhängt, Russland muss nach den positiven Tests von Alexander Loginow, Jekaterina Jurjewa und Irina Starych die Höchststrafe von 100.000 Euro zahlen. Die IBU kündigte weitere Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der Welt-Antidopingagentur (Wada) an.

Hochfilzen als Wegweiser.
Für die ÖSV-Biathleten soll der Winter zumindest erfolgreicher verlaufen als der vergangene mit nur wenigen Podestplätzen und ohne WM-Medaille. Vor allem bei den Heimbewerben in Hochfilzen (11. bis 13. Dezember) wollen die rot-weiß-roten Athleten aufzeigen. Im Vorjahr war Simon Eder als Weltcupgesamt-15. bester heimischer Biathlet. Leistungsträger Dominik Landertinger hat nach immer wiederkehrenden Gesundheitsproblemen sein Training umgestellt. Seine Renneinsätze sollen nun behutsamer geplant werden.

Nach vier Gesamtsiegen in Folge wird heuer einmal mehr Ausnahmekönner Martin Fourcade der große Gejagte sein. Doch bevor der Franzose zu den Biathleten nach Östersund reist, ist er bei den Langläufern im finnischen Kuusamo über zehn Kilometer Freistil an den Start gegangen und hat dort den respektablen 22. Rang belegt.


Wie der Rivale. Fourcade ist allerdings nicht der erste Biathlet, der sich bei den Langläufern versucht. In der Vergangenheit machte auch Björndalen mehrfach einen Abstecher zu den Spezialisten. Der Norweger feierte als bislang einziger Athlet in beiden Disziplinen Weltcupsiege.

Steckbrief

Ole Einar Björndalen wurde am 27. Januar 1974im norwegischen Drammen geboren.

Weltcup
Debüt 1992,

94 Einzelsiege, davon einer im Langlauf, sechs Gesamtweltcupsiege.

Olympia
Achtmal Gold, viermal Silber, einmal Bronze. 2002 gewann er in Salt Lake City alle vier Biathlon-Bewerbe.

WM
19 Gold-, zwölf Silber-, neun Bronzemedaillen.

Privat
Björndalen ist geschieden und lebt in Obertilliach (Osttirol).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2015)

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